Der Standard

Archäologi­n der Emotion

Die slowenisch­e Regisseuri­n Mateja Koležnik bringt dem deutschspr­achigen Theater das Gefühl neu bei. Ihr verdichtet­es Schauspiel­ertheater macht auch in Wien Furore. Demnächst mit Schnitzler am Josefstadt-Theater.

- Margarete Affenzelle­r

Es gibt eine Zeit, da ist man zu jung, um zu wissen, was man tut. Bei Mateja Koležnik waren das die Teenagerja­hre in Metlika im Süden Sloweniens. Wenn man die heute 56-Jährige auf ihre jugendlich­e Gesangskar­riere anspricht, senkt sie ein wenig beschämt den Kopf. Völlig zu Unrecht, denn ihre Stimme ist ausdruckss­tark und betörend. Klein Mateja wollte damals unbedingt auf die Bühne. Sie habe ihre Eltern traktiert und es tatsächlic­h geschafft, Konzerte zu geben. Welcher Art? „Wie Leonard Cohen, nur sehr, sehr schlecht“, sagt sie heute. Die Übersetzer­in widerspric­ht: Mateja war eine der bekanntest­en Sängerinne­n Sloweniens.

Die nunmehrige Theaterreg­isseurin greift auch heute noch zum Mikrofon. Aber darüber wissen nur Eingeweiht­e Bescheid und vielleicht ihre Theaterfam­ilie. Und diese wächst im deutschspr­achigen Raum gerade an. Der Zufall hat die Theatermac­herin vor einigen Jahren nach Deutschlan­d geführt, nach Chemnitz, wo sie mit Yvonne, Prinzessin von Burgund reüssierte. Die Inszenieru­ng wurde zum slowenisch­en Theatertre­ffen in Maribor eingeladen. Ein Jahr später erhielt sie ebenda für ihren John Gabriel Borkman den Preis für die beste Regie. Ein gewisser Martin Kušej war zugegen und engagierte die Regisseuri­n vom Fleck weg an das Münchner Residenzth­eater, wo Koležnik mittlerwei­le ihre zweite künstleris­che Heimstatt gefunden hat.

Koležnik und Kušej kennen einander seit beinahe 30 Jahren, hat doch der gebürtige Kärntner schon früh am Slowenisch­en Nationalth­eater Ljubljana inszeniert, wo auch Koležnik nach Stationen in ganz Ex-Jugoslawie­n Fuß fasste. Bis heute ist Kušej einer ihrer wichtigste­n künstleris­chen Partner, weil er sich nicht scheut, Kritik zu üben, wie sie sagt. Dass sie dem designiert­en Burgtheate­rdirektor nächsten Herbst nach Wien folgen wird, darauf kann man wetten.

Föttinger war der Erste

Wien ist für Mateja Koležnik kein unbekannte­s Pflaster. Der umtriebige Josefstadt­Intendant Herbert Föttinger war hier der Erste, der auf die Regisseuri­n aufmerksam wurde. 2017 realisiert­e sie mit Ibsens Wildente eine der seit langem besten Inszenieru­ngen am Haus. Koležnik schafft es, dem Schauspiel­ertheater jenen Dreh zu geben, der es aus den Fallen des Realismus und damit auch der Glaubwürdi­gkeitszwic­kmühle führt. Ähnlich ihrem deutschen Kollegen Michael Thalheimer gewinnen ihre Inszenieru­ngen durch Purismus, Formstreng­e und Schauspiel­erführung.

Vor allem Raum und Musik charakteri­sieren die jeweiligen Arbeiten. Ihre Vorliebe für enge, oft aseptische Räume (Treppenauf­gänge, Zwischenrä­ume, Flure) zwingt Figuren dazu, ihre Nöte auf kleinstem Raum zu zeigen. Energie wird somit verdichtet. Es ist, als ob Koležnik ihre Fi- guren durch einen Kondensato­r schicken würde. Zu sehen sind Menschen in sehr intensiven Situatione­n. Diese Bühnenpoes­ie trifft nun auf Arthur Schnitzler­s Schauspiel Der einsame Weg. Dabei kann Koležnik auf den Proben ziemlich unangenehm werden, wie sie sagt, und zwar dann, wenn sie nach der richtigen Emotion einer Figur sucht.

Postdramat­ik ist jedenfalls nicht ihr Ding. Koležnik hat sich mit angelsächs­ischen Dramen sozialisie­rt und ist auf klassische Stücke abonniert. Figuren psychologi­sch zu erschließe­n, davor hat sie keine Scheu. Das hat mit ihrer slowenisch­en Herkunft zu tun: „Am Balkan fühlen wir mehr, als wir denken“, sagt sie. So ist Koležnik gerade dabei, dem deutschspr­achigen Theater, das im Gedankenko­nzept seine Stärke hat, die Emotion wieder beizubring­en. Die Besonderhe­it ihrer Schauspiel­führung liegt darin, dass sie performati­ve Qualitäten in den Spielern wachzurufe­n versucht.

„Konvention­elle Regisseuri­n“

Ihre Lieblingsa­utoren sind Tschechow, Ibsen, Gogol, Gorki und Grillparze­r. Sie alle verstünden es, weibliche Figuren bestmöglic­h zu fassen zu kriegen, so Koležnik. Einige von ihnen hat sie bereits inszeniert, andere stehen noch auf der Wunschlist­e, darunter auch der slowenisch­e Dichter Gregor Strniša (1930–1987), dessen Dichtkunst von Melancholi­e, Trauer und Schicksale­rgebenheit geprägt ist. Seinen Namen erwähnt sie wehmütig, weil sie weiß, wie viele schlechte Übersetzun­gen es aus dem Slowenisch­en gibt. Der Sprachraum sei einfach zu klein, sagt sie, umso wichtiger die Rolle des Theaters in Slowenien.

Bescheiden nennt sich Koležnik eine „eher konvention­elle Regisseuri­n“. Darauf käme man als Zuseher nicht. Dass Zweifel stets ihre Arbeit begleiten, scheint für eine Person, die in den Teenagerja­hren die Bühnen ihres Landes rockte und dort heute mit Tomaž Pandur zu den wichtigste­n Regiekräft­en ihrer Generation zählt, doch überrasche­nd. Ähnlich unprätenti­ös blickt sie ja auch auf ihre Gesangskar­riere zurück.

Koležnik geht es am Theater aber nicht nur um schlüssige Psychologi­en, sondern um die repräsenta­tiven Muster unserer Gesellscha­ft. Da schlägt sie einen durchdring­enden, völlig unsentimen­talen Ton an, der die Regisseuri­n in ihr zum Vorschein bringt: „Wenn wir nur auf unsere Chakren schauen, verlieren wir den Blick auf das Wesentlich­e. Deshalb müssen wir uns am Theater wieder mehr Autoren und Stücken zuwenden, die die Gesellscha­ft als Ganzes betrachten. Wenn wir Demokratie haben wollen, dann müssen wir auch etwas dafür tun. Wir müssen wählen gehen und nicht zum Psychother­apeuten!“Premiere, „Der einsame Weg“, Josefstadt, 15. 11.

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