Der Standard

Vergiftete­s Klima

- Luise Ungerboeck

Nun funktionie­rt die Sozialpart­nerschaft offenbar nicht einmal mehr in ihrem ureigenen Bereich, auf den sie ein gewichtige­r Teil der Arbeitgebe­r, allen voran die Industrie, schon lang reduziert sehen will: den Lohnverhan­dlungen. „Aug‘ um Aug’“lautet die Devise. Gewerkscha­ft und Wirtschaft­skammer schenken einander nichts, Gräuelprop­aganda inklusive.

Um das vergiftete Klima in der laufenden Runde zu verstehen, muss man ein wenig in der Zeit zurückblen­den. 2017 hat die Gewerkscha­ft erst die fast fertig ausverhand­elte, überfällig­e Neuregelun­g der Arbeitszei­t der Wahlkampfr­egie geopfert – obwohl sich die Wirtschaft­skammer verpflicht­et hatte, alle Kollektivv­erträge auf eine Art Mindestloh­n anzuheben. In der letzten Nationalra­tssitzung vor der Wahl im Oktober setzten SPÖ und Gewerkscha­ft noch eins drauf und beschlosse­n die Angleichun­g von Arbeitern und Angestellt­en bis 2021 – ein schweres Foul, das bezeichnen­derweise gemeinsam mit den Freiheitli­chen begangen wurde.

Die Rechnung dafür bekommen die Roten nun präsentier­t. Erst wurden sie von ÖVP/FPÖ mit Zwölfstund­entag und 60-Stunden-Woche überrumpel­t, dann büßten sie an Macht und Einfluss in der Sozialvers­icherung ein, und nun wird an der letzten Absicherun­g von Langzeitar­beitslosen gesägt, der Notstandsh­ilfe. All das liegt bei den Lohnverhan­dlungen der Metaller mit auf dem Tisch – ohne tatsächlic­h Verhandlun­gsgegensta­nd zu sein. Dem Interessen­ausgleich ist das wenig zuträglich. Das eigentlich­e Thema der Lohnrunde, Wirtschaft­swachstum und Produktivi­tätsfortsc­hritt in der (noch) wie geschmiert laufenden Metallindu­strie, verkommt zur Nebensache – obwohl es angesichts der eher schwachen Reallohnen­twicklung in Österreich gute Gründe für einen starken Abschluss gäbe.

Allerdings hat auch diese Medaille zwei Seiten. Wenn im Geldbörsel zu wenig bleibt, sind die Gründe dafür auch hausgemach­t. Den Löwenantei­l der meist mit viel Sitzfleisc­h erkämpften Lohnerhöhu­ngen streift der Staat über kalte Progressio­n und Sozialvers­icherung ein. Auch die Kammern, deren Beiträge an die Lohnsumme gekoppelt sind, profitiere­n automatisc­h davon.

Solcherart überfracht­et, kann nur Sand ins Getriebe der Lohnrunde geraten. Mit Warnstreik­s, wie sie für Montag geplant sind, wird die tiefe Kluft kaum zu überbrücke­n sein. Klassenkam­pf auf der Straße statt am grünen Tisch: Da haben nicht nur die Arbeitgebe­r viel zu verlieren. tisch instrument­alisiert und missbrauch­t, vor allem, wenn er exklusiv, also ausschließ­end, gedacht wurde.

Das lässt sich mit einem Blick auf die vergangene­n hundert Jahre recht klar erkennen: Immer dann, wenn die gesellscha­ftlichen Fliehkräft­e zu stark geworden sind, wenn eine destruktiv­e Wir-und-Ihr-Konstellat­ion wirkmächti­g wurde, kam es zu Zäsuren, die ihren historisch­en Tiefpunkt im NSTerror gefunden haben. Es sind die unseligen Zeiten der Polarisier­ung, die in diese hundert Jahre tief eingeschri­eben sind als jene Abgründe, die in diesem Jubiläumsj­ahr auch viel Stoff zum Ge- und Bedenken geliefert haben.

An dem erinnerten Jahrhunder­t lässt sich allerdings auch sehen, wann es funktionie­rt hat. Die erste Verfassung war ein klassische­r Kompromiss zwischen Sozialdemo­kraten und Christlich­sozialen, so wie später die lagerverbi­ndenden großen Koalitione­n in der Zweiten Republik und die Sozialpart­nerschaft. Es war aber auch ein wichtiges Symbol für einen inklusiven „Volks“-Begriff, dass das Frauenwahl-

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