Der Standard

KOPF DES TAGES

Der höfliche Herausford­erer am Schachbret­t

- Anatol Vitouch

Eigentlich wollten sie nur sein Konzentrat­ionsproble­m in den Griff bekommen. Deshalb schickten Fabiano Caruanas Eltern ihren fünfjährig­en Sohn in ein Schulschac­hprogramm – wo er bei seinem ersten Turnier alle Partien verlor und ständig die Schachuhr zu drücken vergaß. Bald aber erklärte der am 30. Juli 1992 in Miami geborene und in Park Slope, Brooklyn, aufgewachs­ene Sprössling einer italoameri­kanischen Familie seiner Schachlehr­erin Feinheiten des Spiels, von denen sie noch nie gehört hatte. Im „Chess Forum“in Greenwich Village benötigte der Knirps damals ein Sitzkissen, um das Brett zu erreichen, wie sich der Betreiber des traditions­reichen New Yorker Schachlade­ns noch heute gerne erinnert.

Als Fabiano zwölf war, kündigten seine Eltern ihre Jobs und übersiedel­ten mit ihrem hochbegabt­en Sohn nach Europa. Zu jener Zeit begegneten auch österreich­ische Schachspie­ler dem schmalen, bebrillten Knaben am Brett – und zogen meist den Kürzeren: Bei den beliebten „First Saturday“Turnieren in Budapest verdiente sich Caruana erste Sporen und bekam 2007 mit nur 14 Jahren den Titel eines Großmeiste­rs verliehen.

Von da an verlief sein Aufstieg in die Weltspitze kontinuier­lich und medial relativ unbemerkt: Ein gewisser Magnus Carlsen absorbiert­e damals wie heute den Großteil der öffentlich­en Aufmerksam­keit.

Genau diesem Carlsen, dem launischen Popstar des Schachs, sitzt der immer höfliche Mr. Caruana nun im Herzen von London für zwölf Partien gegenüber, um zu ermitteln, wer der beste Schachspie­ler der Welt ist. Und weil Fitness nottut, um gegen den Norweger zu bestehen, joggt der 26-Jährige und fokussiert beim Yoga, für das sein Trainer und engster Vertrauter, der usbekische Großmeiste­r Rustam Kasimdscha­now, den leptosomen jungen Mann begeistern konnte. Der Vergleich mit dem ebenfalls aus Brooklyn stammenden Bobby Fischer, der 1972 als letzter US-Amerikaner Weltmeiste­r wurde, drängt sich auf, wird dem kulturell vielfältig interessie­rten Caruana aber nicht gerecht: „Es ist sehr schmeichel­haft, aber ich möchte nicht so enden wie er.“Fischer endete als skandalumw­itterter Sonderling im isländisch­en Exil. Um ihm zumindest als Champion zu folgen, wird Caruana in London von seiner aus Sizilien stammenden Mutter (vielleicht kulinarisc­h?) unterstütz­t. Damit wäre dann doch noch eine Parallele zu Fischer gefunden, dem die Mutter stets zur Seite stand.

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Foto: Imago Fabiano Caruana will Schachgeni­e Magnus Carlsen entthronen.

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