Der Standard

Ein Meister in Turings Team

In Bletchley Park entziffert­e er mit Alan Turing die deutschen Geheimcode­s, auch am Schachbret­t fand er verborgene Kombinatio­nen – eine Erinnerung an Hugh Alexander.

- Von ruf & ehn

Er hat den Krieg um viele Monate verkürzt und so Hunderttau­senden das Leben gerettet. Er war ein Kybernetik­er im Dienste des britischen Geheimdien­stes und hat im Zweiten Weltkrieg die Codes der deutschen Chiffrierm­aschine Enigma entziffert. Am Ende wählte er – als Schwuler verfolgt und gedemütigt – den Freitod und biss in einen von ihm selbst vergiftete­n Apfel.

Die Rede ist von Alan Turing (1912–1954), dem Regisseur Morten Tyldum mit The Imitation Game einen aufregende­n Film widmete. Weniger bekannt ist, dass Turings wichtigste­s Experiment­ierfeld für die Entwicklun­g künstliche­r Intelligen­z das Schachspie­l war. Turings frühe Vorhersage, dass in einem halben Jahrhunder­t Schachprog­ramme stärker spielen würden als Menschen, erwies sich als richtig. Mehr noch: Heute imitieren junge Großmeiste­r wie Magnus Carlsen und Fabiano Caruana, die derzeit in London um die Weltmeiste­rschaft kämpfen, das Spiel der Computer, um erfolgreic­h zu sein, und nicht umgekehrt.

In Turings Team der Codebreake­r befanden sich während des Krieges auch Schachmeis­ter wie Harry Golombek und Stuart Milner-Barry. Der beste Spieler in Turings Team war allerdings der aus Cork stammende Hugh Alexander. Der Mathematik­er wurde 1940 von Turing rekrutiert und leistete wichtige Beiträge beim Angriff auf die deutschen Codes. Nach dem Krieg leitete Alexander die kryptoanal­ytische Abteilung des Geheimdien­stes. Wiewohl zeitlebens Amateur, spielte er Schach auf großmeiste­rlichem Niveau. Mehrfach vertrat er in den 30er-Jahren England bei den Schacholym­piaden, 1938 gewann Alexander die britische Meistersch­aft. 1953 blieb er beim Traditions­turnier in Hastings ungeschlag­en und besiegte unter anderem Fast-Weltmeiste­r David Bronstein.

Alexander starb 1974 während eines Fernschach­turniers im 65. Lebensjahr; dabei blieben einige seiner Partien unvollende­t – ein Umstand, der ihn, wie es in einem Nachruf hieß, „außerorden­tlich geärgert haben musste“. Er brachte die Dinge gerne zu Ende. Wie stark Alexander spielte, zeigt die folgende Partie gegen Michail Botwinnik vom berühmten Radiomatch der UdSSR gegen England im Juni 1946. Alexander hatte am Spitzenbre­tt die erste Partie verloren, dann schlug er mit Weiß zurück. Das britische Team verlor dennoch klar, der Kalte Krieg hatte begonnen.

Den scharfen Winawer-Franzosen kannte der angehende Weltmeiste­r wie kein Zweiter. Der Rückzug 5… La5 6.b4 cxd4 7.Sb5 sieht Weiß in Vorteil.

Stellt Schwarz vor die Entscheidu­ng, ob er den Königsflüg­el verteidigt (mit 7… 0-0 oder 7… Kf8) oder ihn aufgibt und zum Gegenangri­ff übergeht.

Also Letzteres.

Scheinbar das Aktivste, doch solide Alternativ­en sind 9… Dc7 oder 9... Sbc6 Noch stärker ist 10.Se2! dxc3 11.Sg3! Sd7 12.Sh5 d4 13.f4, wie Paul Keres später emp- fahl. Botwinnik lässt sich auf den Bauerngewi­nn ein, konnte aber mit 10... Sbc6 seine Entwicklun­g vorantreib­en. Ist Schwarz weiter gierig, bekommt er nach 11... Dxa3 12.Sf3 Sbc6 13.Ld3 Probleme.

Ein notwendige­s Qualitätso­pfer, wie 14... 0–0–0 15.Sxf7 bzw. 14... Tf8 15.h4 und 14... Sd8 15.Lb4 zeigen. Auch nach 15... Dxe5+ 16.Kd1 ist Weiß im Vorteil.

Weiß verliert zwar das Rochaderec­ht, doch seine von den Läufern unterstütz­ten Freibauern werden gefährlich­er. Noch stärker sieht 18.Ld3 Se3+ 19.Lxe3 Dxe3 20.Dh5 nebst h2-h4 aus. Droht Matt und einen Bauern. gewinnt

Ein Missgriff. Nach 21... Sc4 22.Td1 S6e5 wäre Schwarz im Spiel geblieben. Jetzt ist Schwarz in Nöten, weil seine Zentral- stellung auseinande­rbricht. Langsamer geht es nach 22... Sxd3+ 23.cxd3 e5 24.Dxe5 Dxg6 25.Dxd4 Dc6+ 26.Dc3 zu Ende. Übersieht den taktischen Schlag 23.La5! e5 (23… b6?? 24.La6 matt) 24.Df6, Dd6 drohend, der sofort gewann.

Wieder machte 24.La5 sofort alles klar.

Jetzt entscheide­t der g-Bauer.

Noch schneller ging 29.Txe3 e4 30.Lxe4! dxe4 31.Td1 Dg5 32.Tc3+.

Das viel ästhetisch­ere Ende als 32.Tee1.

Oder 32... Sxe2 33.Lf5 bzw. 32... Df3 33.Le8 Df5 34.Dxf5. Zu wenig bringt 33... Sxe2 34.Lxe2 Df2 35.Dh5.

Oder 37... Dd6 38.La6! Dxa6 39.Tc3+ Kd6 40.Dd8 mit Einkreisun­g.

Wie es Botwinnik auch dreht und wendet, er kann den großen materielle­n Nachteil nicht ausgleiche­n. Verzweiflu­ng, denn 39... Lxb3+ 40.cxb3 öffnet nur die c-Linie für den Turm. Wenn 40... a6, so 41.Lg4 Lxb3+ 42.cxb3. 1–0 Dc7 2. Kc6Tcxb4/ b4+!1. 2864:

 ??  ?? Kryptoanal­ytiker und Schachmeis­ter: Matthew Goode als Hugh Alexander in „The Imitation Game“ Dh3 24.Lxe3 24... e525… dxe3 26.g7 Dg4 27.h3 Dg1+ 28.Kb2 Dg3 29.Lg6 Sd4 30.g8D 31.Dxg8+ Kc7
Kryptoanal­ytiker und Schachmeis­ter: Matthew Goode als Hugh Alexander in „The Imitation Game“ Dh3 24.Lxe3 24... e525… dxe3 26.g7 Dg4 27.h3 Dg1+ 28.Kb2 Dg3 29.Lg6 Sd4 30.g8D 31.Dxg8+ Kc7
 ??  ?? 16.Dxf7 22.Df4!34.Dh6+ Kc7 35.Txe3 De5 36.Ka2 Sf5 37.Dg5 Le6 39.Teb3
16.Dxf7 22.Df4!34.Dh6+ Kc7 35.Txe3 De5 36.Ka2 Sf5 37.Dg5 Le6 39.Teb3
 ??  ?? 17... Sf5 18.g6 32.Dh7!
17... Sf5 18.g6 32.Dh7!
 ??  ?? 23...29... Txg8
23...29... Txg8
 ??  ?? Da5 10.Tb1
Da5 10.Tb1
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria