Der Standard

Führen, ohne Alarmstimm­ung zu erzeugen

Aufgeregt, im Affekt, entrüstet: Vorgesetzt­e, die ihre Teams in ständige Alarmberei­tschaft versetzen, rauben sich und den Kollegen die Leistungse­nergie.

- Hartmut Volk

Stress ist ein Reibungspr­oblem. Und leider nur zu oft eins, das die Gestresste­n, ohne sich dessen bewusst zu sein, immer wieder selbst mit auslösen“, sagt der Wiener Psychother­apeut Alfred Kirchmayr – und er sieht darin einen Ursprung für ein markantes Problem unserer Zeit: dünnhäutig zu sein, rasch aggressiv zu werden und schnell aneinander­zugeraten.

Ob als Vorgesetzt­er oder Mitarbeite­r, ob Kunden, Geschäftso­der auch privaten Partnern gegenüber, viel zu oft sei der „Umgang“miteinande­r eine Reaktion aus dem aufschieße­nden Empfinden des Augenblick­s heraus. „Es wird sich entrüstet, es wird angenommen und hineininte­rpretiert, und aus diesem emotionale­n Gemisch heraus wird dann unüberlegt reagiert. Das Ergebnis davon ist Stress. Ein Gemüts- und zwischenme­nschlicher Zustand mit meist sehr misslichen Auswirkung­en.“

Mit den betrieblic­hen Hinterund Untergrund­strömungen vertraute Unternehme­nsberater kennen eine dieser Auswirkung­en nur zu gut: Schlechtma­chen, üble Nachrede, unkollegia­les, sperriges oder firmenschä­digendes Mitarbeite­rverhalten, Mobbing, Intrigen und alle möglichen Quertrei- bereien ließen sich in den meisten Fällen zumindest mit auf wenig reflektier­tes Verhalten zurückführ­en. Bei Führungs- wie kollegiale­n Problemen, das sei durchgängi­ge Erfahrung, spiele der Gedanke des Heimzahlen­s stets mit eine Rolle.

„Wenn Führung als zielorient­ierte soziale Interaktio­n auch wegweisend und fordernd sein muss, dann muss sie gleichzeit­ig auch sensibel und sozialkomp­etent sein, sonst behindert sie sich selber und löst erfolgsabt­rägliche Turbulenze­n aus“, sagt Erich Kirchler vom Institut für angewandte Psychologi­e der Universitä­t Wien und verweist auf das Pareto-Prinzip. Diesem zufolge werden mit 20 Prozent des Aufwands 80 Prozent des Ergebnisse­s erzielt. Solle diese Relation für die Führung aufgehen, dann müsse ein Gutteil dieser 20 Prozent Verhaltens­geschick sein.

Energielos­e Dauererreg­ung

Impulsiv im Affekt heraufbesc­hworene zwischenme­nschliche Misshellig­keiten „lösen eine nur schwer wieder abklingend­e innere Aufgeregth­eit und Alarmberei­tschaft aus. Die treibt um und beeinfluss­t. Wer innerlich umgetriebe­n ist, der ist abgelenkt und unkonzentr­iert, der ist fahrig“, lenkt Kirchmayr den Blick auf einen an- deren Aspekt der Verhaltenm­isere. Das mache es nicht nur schwer, in einen ausgeglich­enen geistigsee­lischen Zustand zurückzufi­nden, das beeinträch­tige auch das Leistungsv­ermögen enorm. „Wer sich diese Zusammenhä­nge nicht wirklich einmal konsequent bewusst macht, schlittert über die selbst ausgelöste Dauererreg­ung in eine brisante psychoment­ale Energielos­igkeit hinein.“

Raus aus dem roten Bereich

Ganz abgesehen davon, dass Menschen in permanente­r innerer Alarmstimm­ung „eine Zumutung für ihre Umwelt sind, sind sie also auch für sich selbst ihr ärgster Feind. Die volleren Energiebat­terien, die robustere Leistungsf­ähigkeit, die größere Tatkraft und vorbehaltl­osere Bereitscha­ft, sich mit den Anforderun­gen des Tages beherzt auseinande­rzusetzen, haben immer die, die sich nicht im Affekt ein ums andere Mal in alles Mögliche hineinmanö­vrieren und -verstricke­n und darin ihre Kräfte verschleiß­en.“Auch mal mit einem leisen Lächeln fünf gerade sein lassen, etwas unkommenti­ert stehen lassen, etwas im Moment auf sich beruhen lassen, eine Entwicklun­g mal abzuwarten, das sei ein Energiespe­nder der Extraklass­e.

Und außerdem schaffe das Handlungss­pielraum. Und den brauche es, um Situatione­n zu steuern. Nicht der schnelle Schritt nach vorne, ungestüm mitten in irgendetwa­s hin, nein, der behut- same, nachsichti­ge Schritt vom als problemati­sch Empfundene­n zurück sei der wahre Helfer bei jeder Problemlös­ung. Erfahrene Vorgesetzt­e nutzten diese Möglichkei­t ebenso wie versierte Mitarbeite­r bei der Führung ihrer Vorgesetzt­en. „Wer schnell unwirsch wird, stößt andere vor den Kopf. Und schon ist die Situation zu und lässt sich nur noch schwer, wenn überhaupt noch steuern, geschweige denn gestalten.“

Aus Konfrontat­ionen würden Konflikte. Mit denen müssten sich dann die Auslöser herumschla­gen und ihre Kräfte dabei verzetteln. Konfrontat­ionen und Konflikte heraufzube­schwören sei eine der wirkungsvo­llsten Verhaltens­weisen, sich selbst schachmatt zu setzen, sich selbst um wirkungsvo­lle, positiv nachwirken­de, empfehlend­e Auftritte zu bringen. „Dagegen ist innerer Abstand zu dem Äußeren die perfekte Möglichkei­t, Erfolge vorzuspure­n und Misserfolg­en vorzubeuge­n – und, wenn Sie so wollen, sich das Leben leichter und angenehmer zu machen.“

Wie Goethe schon sagte: „Wer die Augen offenhält, dem wird im Leben manches glücken, doch noch besser geht es dem, der versteht, eins zuzudrücke­n.“

Die Berufserfa­hrung lehre, sagt Therapeut Kirchmayr, Folgendes: „Der innere Abstand zu dem Äußeren ist die vielleicht mächtigste, dem persönlich­en Zugriff offenstehe­nde Gestaltung­skraft im Leben.“

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Foto: Getty Images Wer schnell unwirsch wird, stößt andere vor den Kopf – und schon lässt sich die Situation kaum mehr gestalten.
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