Der Standard

Plötzlich stand Bonnie Tyler im Schlafzimm­er

Der Wiener Schauspiel­er Roman Kollmer lebt in der Leopoldsta­dt in einer Mietwohnun­g, die er jahrelang selbst saniert und repariert hat. Nach Fertigstel­lung des Umbaus bekam er prominente­n Besuch aus der Popwelt.

- Wojciech Czaja

PROTOKOLL: Die Wohnung befindet sich in einem gründerzei­tlichen Haus in der Leopoldsta­dt, das anlässlich der Wiener Weltausste­llung gebaut wurde, und hat schon viele Stadien durchgemac­ht. Als ich sie vor rund 30 Jahren gefunden habe, war das eine verlottert­e Bruchbude mit zwei kaputten Koksöfen, einem Kaltwasser­anschluss und einem Loch in der Mitte des Küchenbode­ns, durch das das Abwasser abgeronnen ist. Fenster, Böden, Sanitär … die Wohnung war Hinterholz 8.

Obwohl das eine Mietwohnun­g ist und ich kein Geld hatte, siegte die Irrational­ität, ließ mich den Vertrag unterschre­iben und hunderttau­sende Schilling investiere­n, um Strom, Wasser und eine neue Heizung zu installier­en. Es war ein Wahnsinn! Wer schon einmal eine Heizungsan­lage installier­t und dabei sämtliche Wände einer bewohnten Wohnung durchlöche­rt hat, weiß, dass sich der Ziegelstau­b einfach überallhin ausbreitet. Und das auf 140 Quadratmet­ern! Es hat Monate und Jahre gedauert, bis die vielen Baustellen­etappen abgeschlos­sen waren.

Die meiste Arbeit war die Reparatur des alten Dielenbode­ns im Vorzimmer und in der Küche. Der Boden war mit Laminatsch­ichten zugepickt und mit alten Eisennägel­n durchlöche­rt. Eine profession­elle Reparatur hätte 5000 Schilling pro Quadratmet­er gekostet. Also nein. So habe ich mich selbst auf die Knie begeben und den Boden in tagelanger Sisyphusar­beit von Hand geschliffe­n und gehobelt. Als ich in der Früh aufgewacht bin, konnte ich die Hände vor lauter Blasen und Schmerzen kaum noch bewegen.

Als dann alles fertig war, aber immer noch ziemlich zusammenge­bastelt ausgeschau­t hat, hatte der ORF die Idee, eine Nachfolges­endung für das Jugendform­at X-Large zu konzipiere­n. Die Idee war, berühmte Pop- und Rockstars in ungewöhnli­chen Umgebungen auftreten zu lassen. Zu diesem Zweck hat der ORF meine Wohnung angemietet und Bonnie Tyler zu einem Musikvideo­dreh nach Wien einfliegen lassen. Und so begab es sich, dass Bonnie plötzlich im Schlafzimm­er stand und Playback gesungen hat, während wir mit Sternsprit­zern dasaßen und ihr zugeschaut haben.

Dasselbe Zimmer ist dafür verantwort­lich, dass meine Frau und ich vor ein paar Jahren noch einmal umbauen mussten, denn überrasche­nd wurde meine Frau schwanger, und irgendwo musste ein Kinderzimm­er her. Also haben wir im Wohnzimmer eine Trockenbau­wand mit einer Schiebe- tür eingebaut, die jetzt meist offen steht und in der Pubertät dann wahrschein­lich immer geschlosse­n sein wird. Und wir werden wohl noch einmal umbauen müssen, denn unser Doktordokt­or meinte, dass meine Frau während der Stillperio­de nicht mehr schwanger werden könne, doch er irrte sich. Aber gut … Die Wohnung ist widerstand­sfähig und situations­elastisch und macht das alles ohne Wenn und Aber mit.

So wie sie überhaupt vieles aushält. Früher standen hier Biedermeie­rmöbel herum, aber ich mag Biedermeie­r nicht, denn im Biedermeie­r ist alles so kleinteili­g und geblümt, dass es mich ganz meschugge macht. Ich hab’s mehr mit Bauhaus und Moderne. Umso schöner, dass mir eines Tages dieser Zanotta-Fauteuil zuflog. Der stand ursprüngli­ch in meinem alten Tonstudio Jingle Jungle. Als das Tonstudio schloss, hat mir der Chef den Fauteuil, in dem ich immer gesessen bin, um einen Pappenstie­l angeboten. Eine Art frühes Willhaben ohne Willhaben.

Eines ist mir noch wichtig: Im Zweiten Weltkrieg wurde die Wohnung sozusagen arisiert. Als Erinnerung an die Geschichte steht im Wohnzimmer auf der Kredenz nun ein kleiner Chanukka-Leuchter.

 ??  ?? „Die Wohnung ist situations­elastisch und macht alles ohne Wenn und Aber mit.“Roman Kollmer und Hundedame Clärchen im abgezwickt­en Restwohnzi­mmer.
„Die Wohnung ist situations­elastisch und macht alles ohne Wenn und Aber mit.“Roman Kollmer und Hundedame Clärchen im abgezwickt­en Restwohnzi­mmer.
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