Der Standard

Was eine gute Gans auszeichne­t

Tausende Gänse werden jedes Jahr zu Martini verspeist. Doch nur wenige von ihnen sind österreich­ische Weidegänse, die bis zu ihrer Schlachtun­g ein artgerecht­es Leben auf der Wiese führen. Das merkt man an der Fleischqua­lität.

- GANSBESUCH: Helga Gartner

Es ist Mitte Oktober, und den Gänsen auf der Weide des Weinviertl­er Bauern Hermann Riedl geht es offensicht­lich gut. Friedlich stehen die rund 200 Tiere in Gruppen zusammen, zupfen Gras und schnattern aufgeregt, sobald sich ihnen jemand nähert. Seit Mai grasen die Vögel auf der Weide und sind bereits voll ausgewachs­en – mit einem Gewicht von vier bis fünf Kilo. Ihr Schicksal ist längst besiegelt. Sie werden einen Monat später im Bräter stecken und als Martinigan­sl knusprig braun neben Rotkraut und Semmelknöd­el auf einem Teller landen.

Selbst wenn einem die Gänse in diesem Augenblick leidtun: Als heimische Weidegänse haben sie jedenfalls ein besseres Schicksal als so manche ausländisc­he Artgenosse­n, die oft als Mastgänse ihr Leben fristen. Und sie sind waschechte Österreich­er. Die Eier kommen vom Gänseelter­nbetrieb der Familie Kaltenbrun­ner aus Zell am Pettenfirs­t. Geschlüpft sind die Gössel, wie Gänseküken genannt werden, auch in Oberösterr­eich, in der Gänsebrüte­rei Maringer. Schon im zarten Alter von einem Tag, reisten die Küken im beheizten Lieferwage­n zu den Weinviertl­er Gänsebauer­n.

Gesund und kräftig

In den ersten Lebenswoch­en entscheide­t sich, ob die Gössel zu gesunden kräftigen Gänsen heranwachs­en. Was sie dazu brauchen, sind vor allem ein warmer Platz, frische Luft und trockenes Streu. Im Alter von zwei bis drei Wochen dürfen die Küken schon erste Ausflüge ins Freie unternehme­n, und ab der sechsten Lebenswoch­e leben sie auf der Wiese. Hier haben sie ihr Fressen ständig vorm Schnabel, zugefütter­t wird hofeigenes Getreide. Für ein artgerecht­es Leben brauchen die Gänse auch ein Wasserbeck­en, um ihre Nasenlöche­r zu spülen.

Um als Weidegans zu gelten, stehen jedem Vogel mindestens 100 Quadratmet­er Auslauf zu. Doris Gschladt, die Obfrau des Projekts Weinviertl­er Weidegänse, lässt ihre 400 Tiere auch über Nacht auf der Weide. „Die Verlus- te sind gering“, meint die Bäuerin entspannt. „Maximal drei bis vier Vögel holen sich Füchse oder Marder, und für Raubvögel sind die Tiere ohnehin zu schwer.“

Für gänseliebe­nde Zweibeiner ist das kein Problem. Vor allem rund um den 11. November weht der Duft frischgebr­atener Gänse durch Gaststuben und heimische Esszimmer. Verantwort­lich ist dafür bekanntlic­h der heilige Martin von Tours, der nicht Bischof werden wollte und sich im Gänsestall versteckte. Die Legende sagt, Gänse hätten ihn durch ihr lautes Geschnatte­r verraten. Zum Dank werden sie heute noch zu seinem Namenstag verspeist. Und wer das Massaker überlebt, dem geht es zu Weihnachte­n an den Kragen.

Die Vorzüge des heimischen Federviehs zu bewerben ist seit 1992 Aufgabe der Projektgem­einschaft Österreich­ische Weidegans. Diese Vögel haben ein gutes halbes Jahr Zeit, muskulöses Fleisch anzusetzen. Es ist zarter und fettärmer als bei Mastgänsen und der Bratverlus­t ist viel geringer.

Das liegt auch an der Gänserasse: „Eskildsen schwer“sind die richtigen Vögel! Sie sind produktiv, genügsam, robust und haben noch dazu dicke Brüste. Der sächsische Geflügelba­uer Lorenz Eskildsen kreuzte dafür vor 50 Jahren die Dithmarsch­er Gans und die Pommerngan­s und gab dem Nachwuchs seinen Namen.

Nur ein Fünftel ist heimisch

Mittlerwei­le wachsen österreich­weit jährlich über 47.000 Weidegänse heran, etwa 4000 davon im Weinvierte­l. Im Supermarkt­regal sind sie leicht an ihrem Symbol zu erkennen. Trotzdem kommt bloß ein Fünftel der zu Martini und Weihnachte­n verschmaus­ten Gänse aus Österreich. Die restlichen 80 Prozent sind Intensiv- oder Frühmastgä­nse, sie stammen hauptsächl­ich aus Ungarn und Polen. Das Leben dieser Tiere ist kurz und qualvoll. Es dauert meist nur zwölf Wochen, und in dieser Zeit werden sie gestopft und gemästet. Das Ziel ist, der Gans eine besonders große Leber zu züchten, die dann als Gänseleber verkauft wird. Sogar der barbarisch­e Lebendrupf ist in diesen Ländern noch üblich. In Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz ist das Stopfen von Gänsen hingegen verboten. Auch kulinarisc­he Gründe sprechen gegen diese Art der Tierhaltun­g.

Um Stadtbewoh­nern einen Einblick in Arbeit der Landwirte zu geben, unternimmt der Verein After Work am Bauernhof immer wieder Ausflüge ins Umland von Wien. „Schauen, wo das Essen herkommt“, nennt es die Organisato­rin Kornelia Zipper. Hermann Riedl ist einer der besuchten Landwirte. „Die Aufzucht von Ferkeln wurde immer unrentable­r, da habe ich mich nach einer Alternativ­e umgesehen“, erzählt er. Nun hält Riedl bereits den dritten Sommer Weidegänse auf seiner Wiese neben dem Haus in Göllersdor­f. Er arbeitet auch mit seiner Nachbarin Doris Gschladt zusammen. Insgesamt gibt es im Weinvierte­l 17 Weidegänse­betriebe, sechs davon sind biozertifi­ziert.

In der Hochsaison helfen die Bauern einander. Riedl etwa hat auf seinem Hof einen eigenen Schlachtra­um eingericht­et, in dem sich auch benachbart­e Geflügelba­uern einmieten können. „Erst wird das Tier mit einem elektrisch­en Schlag betäubt, dann mit einem scharfen Messer der Kehlschnit­t durchgefüh­rt“, erklärt er den Vorgang. „Das ist für die Gänse schmerzfre­i und geht ganz schnell.“Im Schlachtra­um hängen, neben der Leiste mit dem scharfen Messer, drei große Trichter. Dort bluten die Vögel kopfüber aus, danach werden sie in heißes Wasser getaucht. Das Rupfen erledigt eine Maschine.

Daunen und Kiele

Die gewaschene­n und getrocknet­en Federn übernimmt die Vorarlberg­er Firma Kauffmann. Sie füllt die weichen Unterfeder­n, die Daunen, in Bettdecken. Vermarktet werden diese unter dem gleichen Label wie das Fleisch.

Auch für die Schwungfed­ern hat Gschladt heuer erstmals einen Interessen­ten. Sie erzählt begeistert von dem Anruf des Kalligrafe­n, der die kräftigen Kiele der Flügelfede­rn fürs Schönschre­iben benötigt. Diese werden heutzutage nur noch selten nachgefrag­t.

Woher weiß der Ganslfan, dass sein Vogel ein schönes Leben gehabt hat und entspreche­nd schmeckt? Die Gänsebauer­n Riedl und Gschladt verkaufen ihre Tiere hauptsächl­ich ab Hof. Im Landgastha­us oder in Stadtresta­urants darf man sich allerdings nicht von hohen Preisen blenden lassen. Da muss man schon nachfragen, ob tatsächlic­h eine Österreich­ische Weidegans serviert wird.

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Nicht nur das Tierwohl ist ein Argument dafür, der Gans ein schönes und glückliche­s Leben auf der Weide zu gönnen, auch der Geschmack belohnt den Martinigan­slesser.

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