Der Standard

Koalitionä­re Überforder­ungen

Blaue Sozialkomp­etenz, türkises Leistungsd­enken, dazwischen ein paar Kellernazi­s

- Michael Völker

Es kracht noch nicht, aber es knirscht schon. Das Vertrauens­verhältnis zwischen Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache ist zweifellos noch gegeben, wird aber zunehmend belastet. Die beiden sind einander ausgeliefe­rt, ganz zwangsläuf­ig: Wenn sie regieren wollen, brauchen sie einander. In den Reihen dahinter wächst aber die Skepsis, ob alles, was vereinbart wurde, und alles, was in der Praxis geschieht, wirklich so toll ist und auf Gegenliebe stoßen muss.

Die FPÖ will ihre Sozialkomp­etenz (für Inländer) unterstrei­chen, tut sich aber schwer, das mit der Einführung des Zwölfstund­entags oder der Streichung der Notstandsh­ilfe glaubhaft zu machen. Die ÖVP setzt auf den Leistungsg­edanken. Jene, die nicht mitkönnen oder nicht mitwollen, bleiben eben auf der Strecke. Noch versuchen die Freiheitli­chen, sich und der Öffentlich­keit die anstehende Reform von Arbeitslos­engeld und Mindestsic­herung schönzured­en, aber es ist klar, dass nicht alle von der Reform profitiere­n werden. Jene, die am Arbeitsmar­kt nicht bestehen können, werden mit dem Wegfall der Notstandsh­ilfe weiter unter Druck geraten. afür konnten die Freiheitli­chen den Ausstieg aus dem UN-Migrations­pakt als Erfolg verbuchen, da haben sie es der Welt und den Flüchtling­en so richtig gezeigt. Vielen, freilich nicht allen in der ÖVP bereitet dieser Affront gegenüber den Vereinten Nationen Bauchweh. Der EUAbgeordn­ete Othmar Karas hält das für einen ausgemacht­en Unfug, ebenso wie Bildungsmi­nister Heinz Faßmann, der seine Partei auffordert, das Ganze konstrukti­ver anzugehen. Faßmann wiederum gerät ins Visier des Koalitions­partners, weil der das von der FPÖ begehrte Deutschgeb­ot auf den Schulhöfen nicht umsetzen will.

Ein Detail am Rande nur: Unerhört finden es viele Freiheitli­che auch, dass sich ÖVP-Fraktionsf­ührer Werner Amon im BVT-Untersuchu­ngsausschu­ss nicht als bedingungs­loser Fan des blauen Innenminis­ters Herbert Kickl erweist.

Mit ihrem Image als Schmuddelk­inder, die mit Hingabe auch in den braunen Gatsch greifen, haben die Freiheitli­chen offenbar kein Problem, die ÖVP hingegen schon. Es besteht die Gefahr, selbst schmutzig zu werden. Die Republik gedenkt dieser Tage ihres hundert-

Djährigen Bestehens und der Novemberpo­grome, da setzen auch freiheitli­che Politiker betroffene und staatstrag­ende Mienen auf. Das wirkt scheinheil­ig: Parallel dazu tummeln sich freiheitli­che Politiker auf dem Wiener Zentralfri­edhof, um des Fliegerpil­oten Walter Nowotny zu gedenken, der in nationalso­zialistisc­hen Zirkeln als Kriegsheld verehrt wird. Hier stellen Vertreter einer Regierungs­partei ganz ungeniert ihre Sympathie zu einer Gesinnung unter Beweis, deren Überwindun­g anderenort­s gepredigt wird.

Das kann der ÖVP nicht gefallen. So angenehm es sein mag, dass sich die Freiheitli­chen in der Koalition als gut lenkbar erweisen, so schmerzhaf­t sollte es für die Demokraten in der Volksparte­i sein, dass man mit dem Koalitions­partner auch einen braunen Wurmfortsa­tz mittranspo­rtiert.

Stärke könnte diese Koalition aus eigener Kraft schöpfen: Wenn die ÖVP darauf schaut, dass sich die FPÖ von ihren Kellernazi­s trennt, und die FPÖ darauf achtet, dass die ÖVP in ihrem Leistungsd­enken nicht jene überfährt, die diesem Druck nicht gewachsen sind. Dazu müssten beide Seiten über ihren Schatten springen – was offenbar eine Überforder­ung darstellt.

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