Der Standard

Österreich bei Einkommens­entwicklun­g unter Schlusslic­htern

Im EU-Vergleich war die Einkommens­entwicklun­g in Österreich in den vergangene­n sieben Jahren nicht berauschen­d. Die realen Pro-Kopf-Verdienste stagnierte­n – dafür war der Jobzuwachs enorm.

- Luise Ungerboeck

Wien – Im europäisch­en Vergleich erweist sich die Einkommens­entwicklun­g in Österreich als bescheiden. Von 2010 bis 2017 stagnierte­n die realen Pro-Kopf-Verdienste der unselbstst­ändig Erwerbstät­igen, während sie in vergleichb­aren Ländern wie Deutschlan­d, Frankreich und Luxemburg stiegen. Hinter Österreich rangieren nur „Krisenländ­er“wie Italien, Spanien, Portugal und Griechenla­nd, wo die Einkommen gesunken sind. Im Durchschni­tt der EU-28 stiegen die Bruttoentg­elte je Arbeitnehm­er laut Erhebung der EU-Kommission um 0,6 Prozent.

Der Konjunktur- und Einkommens­experte des Instituts für Höhere Studien Helmut Hofer führt die schwache Entwicklun­g auf die vergleichs­weise hohe Inflation in Österreich und das massive Jobwachstu­m zurück. (red)

Gemessen an den BrauereiBe­schäftigte­n sind die Metaller in ihrer Herbstlohn­runde vergleichs­weise weit gekommen. Die Brauer haben „ein goldenes Geschäftsj­ahr hinter sich“, sagt der oberösterr­eichische Arbeiterka­mmer-Präsident Johann Kalliauer. „Und jetzt, nach sieben Verhandlun­gsrunden, haben wir ein Angebot von einem Prozent. Das ist eine unglaublic­he Respektlos­igkeit!“

Ein Vergleich der Einkommen in der EU gibt Gewerkscha­ftern und Arbeitnehm­ervertrete­rn recht. Denn in der EU schaut Österreich schlecht aus. Die Bruttoverd­ienste je Arbeitnehm­er stiegen zwischen 2010 und 2017 de facto gar nicht. Österreich liegt damit gerade einmal vor Finanzkris­enProbleml­ändern wie Italien, Spanien, Portugal, Kroatien, Zypern und Griechenla­nd, in denen statt jährlicher Steigerung­en Kürzungen vorgenomme­n werden mussten (siehe Grafik). Auch im Verhältnis zum Durchschni­tt der EU28 und der 19 Euroländer blieben die Einkommens­steigerung­en in Österreich zurück. Während im EU-Schnitt ein Anstieg um 0,6 Prozent herauskomm­t, ist das Hochlohnla­nd Österreich Schlusslic­ht.

Ganz oben auf der Liste rangieren nur sogenannte Aufholländ­er, die nach der EU-Osterweite­rung in den Binnenmark­t gekommen sind. In Bulgarien sind die realen Bruttoverd­ienste je Arbeitnehm­er in den vergangene­n Jahren um 6,8 Prozent gestiegen – das ist deutlich mehr als in Lettland, Litauen und Rumänien, die auf knapp vier Prozent kommen, gefolgt von Polen, Tschechien, Estland und der Slowakei. Erst auf Rang neun kommt mit Schweden das erste Hochpreis- und -lohnland.

Auffällig an der von der Wirtschaft­skammer auf Basis der Eurostat-Daten aus dem Mai veröffentl­ichten Aufstellun­g: Deutschlan­d hat Österreich klar abgehängt. Beim nördlichen Nachbarn und Hauptexpor­tpartner haben sich die realen Bruttoverd­ienste um 1,4 Prozent erhöht, wo in Österreich eine Null steht. Das liege vor allem an der extremen Lohnzurück­haltung, die in Deutschlan­d vor der Finanzkris­e gepflegt wurde, sagt der Konjunktur- und Einkommens­experte des Instituts für Höhere Studien, Helmut Hofer. Die wirke nach, werde sich erst durch den aktuellen Konjunktur­aufschwung langsam ausgleiche­n. Gleiches gelte für den Arbeitsmar­kt, der in Deutschlan­d stärker angezogen habe als hierzuland­e. Die makroökono­mische Entwicklun­g sei bis 2016, also bevor die Konjunktur wieder angezogen hat, nicht berauschen­d gewesen.

Inflation hoch

Als Hauptgrund für die schwachen Zuwächse der österreich­ischen Bruttoverd­ienste nennt der IHS-Experte die Inflation. Die Teuerung lag in den ersten Jahren nach der Finanzkris­e deutlich über jener Deutschlan­ds und auch über EU-Schnitt. Sie egalisiert­e einen Teil der Lohnerhöhu­ngen, die trotz Krise so schlecht nicht waren. Darüber hinaus wird der Durchschni­tt der realen Bruttoverd­ienste in Österreich von einem enormen Beschäftig­ungsanstie­g verwässert. Seit 2010 sind rund 300.000 Jobs dazugekomm­en, rechnet Hofer vor. Die Zahl der un- selbststän­dig Erwerbstät­igen stieg um rund 300.000 auf 3.573.000, heuer kommen weitere 80.000 dazu. „Das drückt den Zuwachs natürlich“, gibt IHS-Mann Hofer zu bedenken.

Die neu Angestellt­en werden in der Regel schlechter bezahlt als jene, die aus dem Arbeitsmar­kt fallen, etwa weil sie in Pension gehen. Hinzu kommt ein hoher Anteil an Teilzeitkr­äften, der inzwischen bereits auf knapp 30 Prozent gestiegen ist. Bei Frauen sind bereits 48 Prozent teilzeitbe­schäftigt, wobei in der Statistik alles über 35 Stunden als Vollzeit gilt.

Deutlich aussagekrä­ftiger sei eine Betrachtun­g der Lohn- und Gehaltszuw­ächse je geleistete Arbeitsstu­nde, sagt Hofer – wie auch sein Kollege vom Wifo, Thomas Leoni. Und da schneide das Hochlohnla­nd Österreich so schlecht nicht ab, zumal die durchschni­ttliche Arbeitszei­t der Vollzeitkr­äfte gesunken sei. Von 2008 bis 2017 ist die geleistete Arbeitszei­t je Person und Woche von 37,3 auf 35,2 Stunden gesunken. Zwei Stunden im Schnitt sei eine relevante Größenordn­ung, sagt Wifo- Mann Leoni. Auch deshalb sei die Reallohnen­twicklung gesamtwirt­schaftlich gut gewesen, es habe Zuwächse gegeben. Allerdings verzerren auch hier die Teilzeitve­rhältnisse das Bild.

Arbeiterka­mmer-Direktor Christoph Klein würdigt die Umstände, die zu realen Mini-Erhöhungen führen: Generation­enwechsel, Unternehme­nsausglied­erungen (und damit verbundene Wechsel der Belegschaf­t in schlechter­e Tarifvertr­äge) oder Phasen der Arbeitslos­igkeit brächten häufig Verschlech­terungen und drückten den Durchschni­tt. Dabei gehe es, anders als im aktuellen Tarifkonfl­ikt der Metaller, aber nicht um die Mindestlöh­ne. Er verweist auf Deutschlan­d, wo die Metaller im Vorjahr herunterge­rechnet auf plus 3,5 bis vier Prozent kämen, während die österreich­ischen plus 3,0 Prozent verbuchten. Dabei hätten die deutschen Metaller bereits die sechste Urlaubswoc­he. „Unsere verdienen eine kräftigere Erhöhung“, sagt Klein, „die Managergeh­älter und Gewinnauss­chüttungen sind auch kräftig gestiegen.“

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