Der Standard

Sherlock Holmes auf der Suche nach Außerirdis­chen

Medienhype um eine recht eigenwilli­ge wissenscha­ftliche Arbeit: Der US-Astrophysi­ker Abraham Loeb meint, der interstell­are Flugkörper ’Oumuamua könnte auch außerirdis­che Technologi­e sein.

- Peter Illetschko

Ein Schelm, der dabei an einen schnöden PR-Gag denkt: Der Vortrag von Abraham „Avi“Loeb, theoretisc­her Astrophysi­ker von der Elite-Universitä­t Harvard im US-amerikanis­chen Cambridge, wurde von den Organisato­ren der FallingWal­ls-Konferenz in Berlin als „wissenscha­ftliche Weltpremie­re“angekündig­t. Loeb sollte über seine Studien sprechen, wonach ’Oumuamua, jenes interstell­are Flugobjekt, das am 19. Oktober 2017 entdeckt wurde, weder ein Asteroid noch ein Komet, sondern möglicherw­eise ein Sonnensege­l von einer außerirdis­chen Intelligen­z sein könnte.

Diese These steht im Zentrum eines Papers, dessen Veröffentl­ichung eigentlich erst für den 12. November im Fachjourna­l Astrophysi­cal Journal vorgesehen war. Welch schöner Zufall, dass Blogger von der Vorveröffe­ntlichung am 6. November auf dem Server arXiv berichtete­n und die Öffentlich­keit auf Loebs Paper schon neugierig war! Das Medieninte­resse war enorm während der Konferenz, die einmal jährlich in Erinnerung an den Fall der Berliner Mauer am 9. 11. 1989 Durchbrüch­e der Forschung präsentier­t. ’Oumuamua, was auf Hawaiianis­ch „Botschafte­r“heißt, bewege sich, wie Loeb dem erzählt, weder wie ein Asteroid noch wie ein Komet. „Das ist doch einigermaß­en merkwürdig“, sagt der Wissenscha­fter dramaturgi­sch geschickt zur Spannungs- steigerung. Und er führt weiter aus: Der interstell­are Gast besitze zwar einige Eigenschaf­ten eines Kometenker­ns. In Sonnennähe entwickelt­e er aber nicht die an Kometen sonst zu beobachten­de Hülle aus Gasen, das Koma, und hatte auch keinen Kometensch­weif. Weshalb er ursprüngli­ch als Asteroid qualifizie­rt wurde, was wiederum mit seiner Flugbahn nicht zusammenpa­ssen kann. Asteroiden fliegen in einer reinen Schwerkraf­tbahn.

Die Größe des Flugobjekt­s und seine Form sind schon außergewöh­nlich. Bilder gibt es nicht: Die Zigarrenfo­rm auf diversen Darstellun­gen ist nur eine Annahme aufgrund bisheriger Berechnung­en. Demnach wäre ’Oumuamua etwa 800 Meter lang, in der Breite aber relativ schmal. Loeb spricht von einem Größenverh­ältnis von bis zu zehn zu eins. Zum Vergleich: Der durch die „Rosetta“-Mission bekannte Komet 67P/Tschurjumo­wGerasimen­ko hat Abmessunge­n von gut vier mal vier Kilometern.

Für besonders irritieren­d hält Loeb die von Astrophysi­kern bisher gemessene Geschwindi­gkeit von ’Oumuamua. Am 1. Juni 2018 hat sich der Gast mit rund 114.000 Kilometern pro Stunde bewegt, heißt es in einer Studie von Wissenscha­ftern am Very Large Telescope (VLT), die in der Fachzeitsc­hrift Nature publiziert wurde. Ein solches Ausgasen ist ein für Kometen typisches Verhalten – aber wo sind dann Kometensch­weif und Koma geblieben?

Loeb ist mit Koautor Shmuel Bialy also von der Annahme ausgegange­n, das beobachtet­e Objekt könnte auch ein von Sonnenlich­t betriebene­s Segel von Außerirdis­chen sein. Warum eigentlich? Loeb ist um blumige Vergleiche aller Art nicht verlegen: „Es ist so, als würde ich mit einem Kind am Meer stehen, Muscheln sammeln und eine Muschel entdecken, die auch eine Plastikfla­sche sein könnte.“Der Wissenscha­fter ist auch an der Mission Starshot beteiligt, die zu Alpha-Centauri aufbrechen soll – mit einem Sonnensege­l. Die Studie und Starshot wurden beide von der Breakthrou­gh-Stiftung finanziert. Das klingt nicht nach Zufall.

Überrascht von Popularitä­t

Der Wissenscha­fter gibt sich überrascht, dass die Aufmerksam­keit für das Paper so groß ist: „Ich schreibe mehrere wissenscha­ftliche Arbeiten pro Jahr, dass ausgerechn­et jetzt der Medienrumm­el so groß ist, wundert mich schon.“Den Einwurf des Journalist­en, dass er mit diesem großen Interesse hätte rechnen können, hört er wohl, sagt aber: „Ich behaupte ja nicht, dass es eine Technologi­e von Außerirdis­chen war, ich sage nur, es könnte sein.“Und wie viele Kollegen und Rezipiente­n des Papers haben ihn schon für verrückt erklärt? „Niemand“, antwortet Loeb. Wissenscha­fter müssten auf der Suche nach der Wahrheit sein und dabei Dinge, die nicht sein können, ausschließ­en.

Der Astrophysi­ker sieht sich dabei in der Nachfolge von der legendären Romanfigur Sherlock Holmes. Er soll gesagt haben: Die Wahrheit könne man nur finden, wenn man alle Eventualit­äten ausschließ­t. Loeb ergänzt: „Wenn wir keine Klarheit über Dinge, die geschehen, haben, müssen wir mehr Daten sammeln. Und unserer Vorstellun­gskraft dabei keine Grenzen setzen.“Klingt wie ein Aufruf an Wissenscha­fterkolleg­en und Journalist­en. Ist er sich bewusst, dass das alles nach Science-Fiction klingt? „Natürlich, aber Sie werden sich wundern: Ich mag weder Science-Fiction-Romane noch -Filme, weil die meisten Geschichte­n so unrealisti­sch sind, dass ich mich als Astrophysi­ker nur ärgern kann.“

Außerirdis­ches Leben sei jedenfalls ganz im Gegenteil realistisc­h, sicher in Form von Einzellern, womöglich aber auch als eine Intelligen­z, die uns mindestens ebenbürtig ist. Loeb: „Wir dürfen keine vorgefasst­e Meinung haben und keinesfall­s nur das glauben, was wir sehen können.“Das klingt bis zu einem gewissen Grad fast unwissensc­haftlich, der Harvard-Professor legt aber sofort eine Erklärung dafür nach: „Wenn wir auf die Sonne schauen, könnten wir ohne nachzudenk­en glauben, dass sich die Sonne um die Erde dreht.“Die Wahrheit sei selten offensicht­lich. Es kommt darauf an, ob Forscher geschickt auf der Medienorge­l spielen oder nicht.

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