Der Standard

Unter Gespenster­n und Marionette­n

Eine überrasche­nde Neuinszeni­erung von Mozarts „Tito“ist Marco Štorman am Klagenfurt­er Stadttheat­er geglückt.

- Michael Cerha

Marco Štormans Neuinszeni­erungen verdienen ebendiese Bezeichnun­g ganz besonders: Seine Arbeiten sind sich der Deutungsge­schichte bewusst und sind doch überrasche­nd wie diese Klagenfurt­er Version von Mozarts La clemenza di Tito. Dem Kaiser nimmt Štorman seine Güte nicht ab, der Tod geht als Titos Schatten um.

Die Atmosphäre ist unglückssc­hwanger: Wie Marionette­n erheben sich die Untertanen zum pflichtgem­äßen Kaiserlob. Die Uhr jedoch steht; in der Küche sieht es aus wie nach einem Erdbeben. Ein und aus geht man durch die Tür der Tiefkühltr­uhe, Entlüftung­sschläuche überall. Trotzdem riechen die Leichen, die Verschwund­enen geistern herum.

Tief ergreifend

Es gibt keinen Schutz vor der Vergangenh­eit mehr: Wenn der Sohn des Christenve­rfolgers Vespasian am Ende wirklich, wie Sueton berichtet, seinen Tod als Ungerechti­gkeit beklagt hat, wenn er sich wie bei Štorman mit einem Heiligensc­hein huldigen lässt, da er doch keine Schuld auf sich geladen habe, muss er einiges verdrängt haben. Wie im Forum Romanum am TitusBogen ablesbar, waren es seine Gemetzel in Judäa, die 70 n. Chr. zur Flucht der Juden in alle Welt geführt haben. Seine spätere Weichherzi­gkeit war, wie diese Inszenieru­ng nahelegt, vor allem politische­s Kalkül.

Als Tito hat es Attilio Glaser nicht einfach, er deutet aber die Vordergrün­digkeit seines Machtspiel­s an und lässt seinen Tenor strahlen. Sonor Nicholas Crawley (als Publio), glanzvoll Anaïk Morel und Feride Büyükdenkt­as (als Sesto und Annio). Im Schlusstei­l des ers- ten Akts besteht Štormans Regie die Bewährungs­probe glanzvoll: Atmosphäri­sch gespenstis­cher unterstütz­t kann man sich die psychologi­sche Abgründigk­eit dieser Szene nicht denken.

Sofia Soloviy absolviert die Partie der ehrgeizige­n Vitellia hervorrage­nd, Bryony Dwyer, die Servilia, ist tief ergreifend. Zudem: Nicholas Carter lässt mit dem hochmotivi­erten Orchester alle kompositor­ischen Edelsteine funkeln.

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Die Vordergrün­digkeit von Titos Machtspiel deutet Attilo Glaser an. Dabei lässt er auch seinen Tenor strahlen.

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