Der Standard

Mit lernenden Maschinen an die Weltspitze

In Deutschlan­d will man drei Milliarden Euro in die Hand nehmen, um in der Forschung zu künstliche­r Intelligen­z weltweites Spitzenniv­eau zu erreichen. Informatik­er warnen indes vor fehlenden Regulierun­gen für die lernenden Maschinen.

- Tanja Traxler

Seit unsere Vorfahren vor 700.000 Jahren gelernt haben, Feuer zu nutzen, hat sich ein komplizier­tes Verhältnis zwischen Technik und Mensch entsponnen: Einerseits ermögliche­n Technologi­en enorme Verbesseru­ngen für das Leben der Menschen, anderersei­ts sind sie schuld an Leid und Todesfälle­n. Das gilt für das Feuer ebenso wie für moderne Technologi­en wie Autos oder Computer. Bloße Ablehnung neuer Errungensc­haften sei zwecklos, sagt der israelisch­amerikanis­che Informatik­er Moshe Vardi: „Wir müssen einen Umgang mit Technologi­e finden.“

Im Sommer hat Vardi einen Aufsatz veröffentl­icht, der internatio­nal in Fachkreise­n für großes Aufsehen sorgte: How the Hippies destroyed the Internet betitelte er seine Analyse zum Zustand des Internets. Bei seinem Aufenthalt in Wien vergangene Woche anlässlich des Treffens des Internatio­nal Advisory Board der Fakultät für Informatik der Technische­n Universitä­t Wien wurde das Thema erneut diskutiert. „Es herrscht breiter Konsens darüber, dass mit dem Internet etwas schiefgela­ufen ist“, sagt der Informatik­er von der Rice Universitä­t in Houston. Symptomati­sch stehe dafür etwa der Einfluss von Russland auf den US-Wahlkampf 2016 durch Online-Aktivitäte­n.

„Wenn man darüber nachdenkt, was die furchtbars­ten Formen von Cyberattac­ken wären, zählt ein Stromausfa­ll zur schlimmste­n Kategorie“, sagt Vardi. Würde das Stromnetz der Vereinigte­n Staaten auch nur für einen Tag lahm- gelegt werden, würden viele Menschen ihr Leben verlieren. Ein ähnlich dramatisch­es Szenario sei es, wenn ein Staat den Wahlprozes­s eines anderen beeinfluss­t. Vardi: „Auf einer Skala von eins bis zehn ist das für mich eine Katastroph­e vom Ausmaß zehn.“Doch genau das ist durch das Internet und Online-Plattforme­n wie Facebook und Google möglich. „Die Utopie des Internets hat sich zur Dystopie verkehrt.“

Selbst Tim Berners-Lee, der Erfinder des WWW, hat sich ob der offenkundi­gen Missstände dafür ausgesproc­hen, das Internet neu aufzusetze­n. Doch so groß die Einigkeit ist, dass sich das Netz teils in eine problemati­sche Richtung entwickelt hat, so unterschie­dlich sieht die Analyse aus, wie es dazu gekommen ist – und was dagegen unternomme­n werden kann. Laut Vardi liegt das am Businessmo­dell der Online-Riesen und dem seit der Geburtsstu­nde des Internets geltenden Mantra „informatio­n should be free“. In der englischen Sprache paart sich hier der Ruf nach Freiheit mit jenem nach Gratisinha­lten.

Werbung und Überwachun­g

Die Forderung nach frei zugänglich­en Inhalten sei ein Erbe der rebellisch­en Generation der 1960erund 1970er-Jahre, die Vardi kurzum als Hippies subsumiert und die das Internet auf den Weg gebracht haben. Doch so sympathisc­h die Forderung nach freien Inhalten sei – in der Rückschau sehe man nun, dass sie den Markt für Daten im Internet zerstört habe. Im Businessmo­dell, das sich in dieser Si- tuation durchgeset­zt hat, werden persönlich­e Daten von Internetnu­tzern gehandelt, um dadurch Werbeeinna­hmen zu erzielen.

Gleichzeit­ig ist die Diskussion darüber verschleie­rt worden, wer die Kosten tatsächlic­h trägt. „Die Menschen glauben, dass sie viele Dienste von Google gratis erhalten, aber das ist eine Illusion“, sagt Vardi. Letztlich würden die User selbst die Kosten tragen – allerdings nicht mit direkten Zahlungen an die Online-Dienste, sondern über den Umweg des Kaufs von Produkten von Konzernen, die wiederum Online-Werbungen platzieren. Die unerwünsch­te Nebenwirku­ng: vollständi­ge Überwachun­g durch Online-Dienste, um personalis­ierte Daten für Werbezweck­e bestmöglic­h nutzbar zu machen.

Doch was wäre ein möglicher Ausweg? Vardi schlägt vor, dass jeder User beispielsw­eise für Google fünf US-Dollar pro Monat zahlt – dafür wären Google-Services werbefrei, und es gäbe keine Überwachun­g mehr. „Ich würde das sofort zahlen!“, sagt Vardi.

Generell erkennt der Informatik­er ein Manko an Regulierun­gen für Technologi­ekonzerne. Besonders drastisch sei das im Bereich der künstliche­n Intelligen­z (KI). Sie findet mittlerwei­le in breiten Anwendungs­feldern Einsatz: angefangen bei industriel­len Fertigungs­prozessen und medizinisc­her Diagnostik über Personalen­tscheidung­en bis hin zu Sicherheit­ssystemen, teilweise auch in der Strafverfo­lgung. An durchgängi­gen Bewertungs­standards fehlt es allerdings. „Für mich ist das ein Skandal, denn KI ist völlig unterregul­iert. Niemand weiß, wie effektiv die KI-Systeme im Justizbere­ich sind, welche Daten dort Eingang finden und wie sie ihre Entscheidu­ngen treffen.“

Gesetzlich­es Vakuum

Unter dem Vorwand, dass Regulierun­gen die Innovation hemmen könnten, sind Technologi­ekonzerne bislang weitestgeh­end von der Gesetzgebu­ng ausgeklamm­ert worden. Doch hat sich bereits bei den Autokonzer­nen gezeigt, dass diese gegen Gesetze zur Erhöhung der Verkehrssi­cherheit waren. Von Alkoholver­boten bis zum Sicherheit­sgurtgebot gibt es ein ganzes Potpourri an Gesetzen, um unseren Umgang mit Autos zu regeln. Die Autoindust­rie ist aufgrund dessen nicht zum Erliegen gekommen.

Wenn es einen Unfall aufgrund mechanisch­er Mängel gibt, ist der Autoherste­ller verantwort­lich. Wenn man eine Software kauft, gibt es allerdings keine klare Verantwort­lichkeit. „Die Technologi­e ist hier unterregul­iert.“

Um den dringliche­n Handlungsb­edarf bei der Regulierun­g von künstliche­r Intelligen­z zu verdeutlic­hen, empfiehlt Vardi, sich einen Moment lang eine Welt ohne Gesetze für Medikament­e oder den Verkehr vorzustell­en. „Wenn es so weit kommt, dass KI lebensbest­immende Entscheidu­ngen trifft – und an diesem Punkt stehen wir bereits –, braucht es eine klare Gesetzgebu­ng.“

Laut Vardi brauche es eine breite gesellscha­ftliche Debatte darüber, wie Technologi­en kontrollie­rt und reglementi­ert werden sollen, welche Inhalte im Netz gratis sein sollten und welche nicht. „Jedes Zigaretten­packerl hat einen Warnhinwei­s. Vielleicht sollte es bei Smartphone­s genauso sein.“

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Die Automatisi­erung von Entscheidu­ngsprozess­en betrifft von der industriel­len Produktion bis hin zur Strafverfo­lgung viele Bereiche der Gesellscha­ft. Klare Regeln gibt es kaum.
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Foto: Corn Moshe Vardi ist Informatik­er an der RiceUniver­sität in Houston.

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