Der Standard

Herbert Grönemeyer über Kitsch und Politik

Der deutsche Sänger Herbert Grönemeyer besitzt eine unnachahml­iche Art der gepressten Artikulati­on. Zugleich schreibt er die ergreifend­sten Songs dieser Tage. Ein Gespräch über Songschmie­dekunst und politische Hysterie.

- INTERVIEW: Ronald Pohl

Herbert Grönemeyer (62) bringt alle vier, fünf Jahre ein neues Album heraus: Liedersamm­lungen, die voller sprachlich­en Eigensinns stecken. Sie lassen sich unschwer auf die Politik beziehen und sind doch poetisch verklausul­iert. Nicht nur wenn Grönemeyer ein paar Zeilen türkisch singt und über das Menschenre­cht auf den „Fluchtpunk­t“als „zweite Heimat“sinniert. 2019 wird Grönemeyer, der nach Jahren in London in Berlin lebt, drei Konzerte in Wien und in Graz geben. Derweil promotet er engelsgedu­ldig sein famoses neues Album Tumult, das einen ähnlichen Höhepunkt wie Mensch darstellt. Ein Gespräch mit einem nachdenkli­chen Künstler über das Songschmie­den und demokratis­che Reife.

Der Text muss die Musik anwürzen. Bob Dylan sang ja auch so, dass man kaum ein Wort verstand. Macht nichts.

Δtandard: Ihr Album „Tumult“bildet einen Zyklus. Seit Bob Dylan gilt beim Songwritin­g: Songzeilen sollen sich nicht reimen, sie dürfen ähnlich klingen. Sie kommen von einem Ausdruck wie „Glück klar“auf „Rückgrat“, oder Sie singen „vager Punkt“, das klingt dann wie „Vagabund“. Wie beginnen Sie die Textarbeit für ein neues Album? Grönemeyer: Die Musik ist der Auslöser.

Δtandard: Füllen Sie Notizhefte mit Strophen und Motiven? Grönemeyer: Das ist ein feiner, enervieren­der Vorgang, der eine ganze Menge Spaß birgt. Ich kaufe Block und Stift, und meine großen, linierten Blöcke liegen dann überall herum. Wenn ich zu schreiben anfange, versuche ich zuerst, die Form des Liedes in den Griff zu kriegen. Jede Musik diktiert mir zuerst eine Form. Dann beginne ich, sorgfältig zu färben. Der Text muss sehr präzise sein, er muss anderersei­ts auf der Musik gleiten. Er darf sie nicht zerstören, er muss auch in sich eine Art Schönheit haben …

Δtandard: Er muss für sich be

stehen? Grönemeyer: Ich setz mich hin und empfinde erst einmal tierischen Respekt vor dem Wust Papier. Zugleich setze ich mir immer auch ein Thema für eine Platte. Nicht in Form einer Überschrif­t; aber im Kopf weiß ich, okay, was willst du eigentlich erzählen? „Für Angst haben wir die falschen Nerven“, eine solche Zeile mündet aus anderen Liedern. Und ja, bei „vager Punkt“soll man auch „Vagabund“verstehen. Das soll irritieren.

Δtandard: So wie der Start des Albums: „Der Tag ist alles außer gewöhnlich ...“So fällt man mit der Tür ins Haus. Grönemeyer: Großes Nanu bei der Plattenfir­ma, als ich denen das vorspielte. Die zweite Zeile lautet nämlich: „... und leider gibt es auch kein Problem“. Bei einem Konzert, das wir unlängst für den ZDF gaben, habe ich bemerkt, wie gebannt die Leute auf die Texte reagieren. Alles ist darauf angelegt, dass sie etwas verstehen und zugleich nicht alles verstehen. Im Grunde würze ich mit dem jeweiligen Text die Musik.

Δtandard: Prima la musica? Grönemeyer: Der Text muss die Musik anwürzen. Heute sind wir ja alle geneigt zu sagen: Ich muss rasch kapieren, worum es geht, sonst klicke ich weiter. Mein Spaß ist ein anderer. Ich sage: Ich mache es dir nicht ganz einfach. Das ergab sich früher auch aus der Art und Weise, wie ich gesungen habe. Dylan sang ja auch so, dass man kaum ein Wort verstand. Macht nichts.

Δtandard: Sie erzwingen die Aufmerksam­keit? Grönemeyer: Du hast zwei Chancen beim Hörer. Entweder du sagst, es gefällt dir nicht. Oder wenn es dir gefällt, dann finde auch – wie in einem Suchspiel – heraus, was erzählt wird!

Δtandard: Die deutsche Sprache neigt leider zu schwerfäll­igen Prädikaten. Grönemeyer: Das Deutsche besitzt einen ausgeprägt­en Hang zur Ordnung. Wie krieg ich es hin, dass die Sprache beim Singen leicht

und luftig bleibt? Dabei möchte ich immer wieder kleine Dissonanze­n schaffen. Oder das Verspielte bewahren.

Δtandard: Sie sind in Österreich beliebt wie kein anderer bundesdeut­sche Popkünstle­r. Grönemeyer: Komischerw­eise. Das macht mich aber sehr froh.

Δtandard: Teilen Sie mit den Alpenrepub­likanern die Vorliebe, sich „unpräzise“auszudrück­en? Grönemeyer: Was Sie als unpräzise beschreibe­n, ist der Spaß der Österreich­er, mit der Sprache geschmeidi­g umzugehen. In Deutschlan­d und speziell auch in Preußen betrachten wir die Sprache als Repräsenta­tion unseres Ingenieurw­esens. Wir handhaben sie mit großer Präzision, neigen aber nicht dazu, ihr verspielte­s Sentiment zu implantier­en. Ich bin ein großer Kitschvert­reter. Als ich Mein Lebensstra­hlen für das neue Album schrieb, war der Text zu Anfang noch deutlich kryptische­r. Für mich eine der schönsten Nummern, die ich je geschriebe­n habe.

Δtandard: Über ein Wort wie „Lebensstra­hlen“kann man stolpern. Grönemeyer: Man fragt sich: Ist das jetzt zu pathetisch oder zu zickig? Aber es besitzt Wärme: „keine Tricks, einfach Geschick / schieres Gefallen“. Schier klingt schön altdeutsch …

Δtandard: Sie modelliere­n? Grönemeyer: Es ist ein latentes Formen nach den Maßgaben der Musik. Ich setze mich beim Texten selbst unter hohen Druck. Text ist Arbeit. Mein Vater, übrigens ein Heine-Liebhaber, sagte immer: „Herbert, ganz wichtig sind die Texte.“– „Weiß ich.“– „Ja, aber die Texte ...!?“Irgendwann komme ich beim Freischrei­ben in einen Flow, wo ich, quer über den Tisch verteilt, an diversen Strängen sitze und arbeite. Wo musst du leichter werden, wo verdaubare­r? Oder ist eine Zeile wie „Ich sehe mir heute verdammt ähnlich“zu lapidar?

Δtandard: Wie mühsam ist es für den Poeten Grönemeyer, unentwegt als politische­r Auskunftge­ber in Erscheinun­g zu treten? Grönemeyer: Politik ist nichts Besonderes. Sie sortiert das Zusammenle­ben von Menschen, mehr ist es nicht. Es wird bloß so gefühlssch­wanger damit umgegangen.

Δtandard: Und die große Aufregung dieser Tage rührt nur von der Grenzöffnu­ng 2015 her? Grönemeyer: Das frage ich mich ja auch: Warum reagieren wir alle so hochgesche­ucht? Wir leben unter wirtschaft­spolitisch stabilen Prämissen. Wir müssen mit einer weltweiten Notsituati­on umgehen, gut. Aber anderersei­ts bricht uns ja nicht gerade die Welt auseinande­r. Ja, wir besitzen auch die Kapazitäte­n, anderen zu helfen. Das ist ein Geschenk. Deutsche wie Österreich­er haben zwei Länder geschaffen, die in der Lage sind, anderen Schutz zu bieten. Das ist humanistis­ch wunderbar. Aber warum jetzt alle verrücktsp­ielen müssen, kriege ich nicht in die Birne.

Δtandard: Sie sind kaum jemals als Salonmarxi­st aufgetrete­n. Grönemeyer: An der Universitä­t, als es die diversen „K“-Gruppen gab, war das interessan­t und auch klug. Ich war aber immer mehr für die Aktion. Darum habe ich mich nach der Wiedervere­inigung um rechte Jugendlich­e gekümmert. Ich habe gesagt: Ich möchte agieren, kann mich nicht endlos im Gespräch verlieren. Und ich möchte an die Menschen ran. Beim Theoretisi­eren setzt man sich rasch von den Leuten ab, weil man sich für klüger hält. Ich stamme aus dem Ruhrgebiet, einer Arbeiterge­gend, und habe dort eigentlich immer mit klugen, lebenserfa­hrenen Menschen zu tun gehabt, die wissen, worum es geht.

Δtandard: Wissen das auch die Brexit-Engländer? Grönemeyer: Das ist verrutscht. Der damalige Premiermin­ister Cameron hat das Land mit einer Schnapside­e komplett durchgemis­cht. Dann hatte er noch diesen Boris Johnson an seiner Seite: Ihn habe ich einmal bei einem Promifußba­llspiel mit Lothar Matthäus und anderen in Reading kennengele­rnt. Der Mann ist für mich ein Verrückter. Er nahm den Kopf runter und rannte seinem Gegenspiel­er mit dem Kopf in die Geschlecht­steile. Ich dachte mir: „Was ist denn das für ein Irrer?“

HERBERT GRÖNEMEYER ist gebürtiger Bochumer. Er hat allein in Deutschlan­d über 17 Millionen Tonträger verkauft.

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Herbert Grönemeyer: „Meine Texte müssen auf der Musik gleiten und zugleich verspielt sein.“

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