Theresa May und das Ringen um den Brexit-Deal
Das britische Kabinett kam am Mittwoch in London zur Beratung über den Entwurf des Brexit-Abkommens zusammen. Scharfe Kritik gab es im Unterhaus.
Die Einigung mit Brüssel auf einen BrexitDeal galt als der leichtere Part für Theresa May im Krimi um den Austritt Großbritanniens aus der EU. Der eigentliche Kampf für die britische Premierministerin begann am Mittwoch in London. In einer Sondersitzung des Kabinetts und in der Fragestunde vor dem Unterhaus verteidigte sie die Vereinbarung gegen teilweise harsche Kritik.
Die britische Premierministerin hat am Mittwoch die vorläufige Brexit-Vereinbarung mit der EU gegen vehemente Kritik, nicht zuletzt aus den eigenen Reihen, verteidigt. „Dieser Deal ist im nationalen Interesse“, sagte Theresa May im Unterhaus, ehe ihr Kabinett zu einer Sondersitzung zusammentrat. EU-Feinde in der konservativen Fraktion forderten gleichgesinnte Minister offen zum Rücktritt auf. Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn kündigte Widerstand an.
Vor der Kabinettssitzung galten übereinstimmenden Medienberichten zufolge die Ministerinnen Esther McVey (Soziales) und Penelope Mordaunt (Entwicklungshilfe) als Wackelkandidatinnen.
Erschwert wurde die Fragestunde der Premierministerin zur Mittagszeit durch die Tatsache, dass der offenbar mehrere Hundert Seiten umfassende Text des Austrittsvertrages noch gar nicht vorlag. May wollte erst am Abend einen offiziellen Kabinettsbeschluss herbeiführen; anschließend sollte das Dokumentenpaket aus Vertrag sowie der politi- schen Erklärung über die zukünftige Zusammenarbeit veröffentlicht werden.
„Wir haben das Vertrauen in die Premierministerin verloren“, erklärten Brexit-Ultras wie Andrea Jenkyns. Ganz offen paktieren die konservativen EU-Feinde, darunter auch Ex-Parteichef Iain Duncan Smith, mit der fundamentalistischen Unionistenpartei Nordirlands, der DUP. Am Dienstag sprach sich die als European Research Group bekannte Gruppe unter Leitung von Jacob ReesMogg mit DUP-Fraktionschef Nigel Dodds ab. Dieser kündigte an, seine Partei werde dem Deal nicht zustimmen können. Das ist für die Premierministerin problematisch, weil die DUP-Abgeordneten der Minderheitsregierung bisher bei wichtigen Abstimmungen zur Seite standen.
Der zukünftige Status von Nordirland steht seit Monaten im Mittelpunkt der Diskussion. London, Dublin und Brüssel hatten sich frühzeitig darauf geeinigt, dass die extrem durchlässige Grenze zwischen der britischen Nordprovinz und der Republik im Süden auch in Zukunft offen bleiben soll. Deshalb soll nun offenbar das gesamte Königreich in der EU-Zollunion verbleiben, bis eine Speziallösung für Nordirland gefunden ist.
Berichten in London zufolge stellten wichtige EU-Mitglieder wie Italien, Deutschland und die Niederlande für dieses Entgegenkommen harte Bedingungen. So muss sich die Insel während ihrer Mitgliedschaft in der Zollunion auch künftig an EU-Standards in der Arbeits- und Umweltgesetzgebung halten. Urteilen des Europäischen Gerichtshofs werde durch britische Gerichte „angemessene Aufmerksamkeit“gezollt.
Knackpunkt Nordirland
Bereits im vergangenen Dezember wurde in der Nordirland-Frage eine Übergangsfrist nach dem Austrittstermin Ende März 2019 vereinbart, ebenso wie zu den britischen Zahlungen in die Gemeinschaftskasse. Die Übergangsfrist soll bis Ende 2020 dauern. In dieser Zeit bleibt Großbritannien Mitglied mit allen (Zahlungs-)Pflichten, gibt aber den Sitz am Ver- handlungstisch auf. Dadurch erhalten Unternehmen mehr Zeit, sich auf die neue Wirtschaftszusammenarbeit vorzubereiten. An den Rechten von EU-Bürgern, die seit mindestens vier Jahren im Land leben, soll sich künftig nichts ändern. Allerdings müssen sie erstmals dem Innenministerium ihre Anwesenheit mitteilen.
Die Zahlungsverpflichtungen berechneten Brüsseler Experten auf mindestens 39 Milliarden Euro. Sollte Großbritannien wie gewünscht in bestimmten EU-Programmen bleiben wollen, etwa in der Grundlagenforschung, würden weitere Milliarden fällig.
Die für London wichtige Finanzindustrie verliert zwar den Zugang zum Binnenmarkt, offenbar spricht die Vereinbarung aber immerhin von einer „Gleichstellung“der Regulierung auf beiden Seiten. In der Praxis bedeutet dies, dass London als Drittland neue EU-Regeln übernehmen müsste. Brüssel könnte diese bittere Pille dadurch versüßen, dass britische Experten als Beisitzer in den entsprechenden Gremien vertreten sind.