Der Standard

Theresa May und das Ringen um den Brexit-Deal

Das britische Kabinett kam am Mittwoch in London zur Beratung über den Entwurf des Brexit-Abkommens zusammen. Scharfe Kritik gab es im Unterhaus.

- Sebastian Borger aus London

Die Einigung mit Brüssel auf einen BrexitDeal galt als der leichtere Part für Theresa May im Krimi um den Austritt Großbritan­niens aus der EU. Der eigentlich­e Kampf für die britische Premiermin­isterin begann am Mittwoch in London. In einer Sondersitz­ung des Kabinetts und in der Fragestund­e vor dem Unterhaus verteidigt­e sie die Vereinbaru­ng gegen teilweise harsche Kritik.

Die britische Premiermin­isterin hat am Mittwoch die vorläufige Brexit-Vereinbaru­ng mit der EU gegen vehemente Kritik, nicht zuletzt aus den eigenen Reihen, verteidigt. „Dieser Deal ist im nationalen Interesse“, sagte Theresa May im Unterhaus, ehe ihr Kabinett zu einer Sondersitz­ung zusammentr­at. EU-Feinde in der konservati­ven Fraktion forderten gleichgesi­nnte Minister offen zum Rücktritt auf. Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn kündigte Widerstand an.

Vor der Kabinettss­itzung galten übereinsti­mmenden Medienberi­chten zufolge die Ministerin­nen Esther McVey (Soziales) und Penelope Mordaunt (Entwicklun­gshilfe) als Wackelkand­idatinnen.

Erschwert wurde die Fragestund­e der Premiermin­isterin zur Mittagszei­t durch die Tatsache, dass der offenbar mehrere Hundert Seiten umfassende Text des Austrittsv­ertrages noch gar nicht vorlag. May wollte erst am Abend einen offizielle­n Kabinettsb­eschluss herbeiführ­en; anschließe­nd sollte das Dokumenten­paket aus Vertrag sowie der politi- schen Erklärung über die zukünftige Zusammenar­beit veröffentl­icht werden.

„Wir haben das Vertrauen in die Premiermin­isterin verloren“, erklärten Brexit-Ultras wie Andrea Jenkyns. Ganz offen paktieren die konservati­ven EU-Feinde, darunter auch Ex-Parteichef Iain Duncan Smith, mit der fundamenta­listischen Unionisten­partei Nordirland­s, der DUP. Am Dienstag sprach sich die als European Research Group bekannte Gruppe unter Leitung von Jacob ReesMogg mit DUP-Fraktionsc­hef Nigel Dodds ab. Dieser kündigte an, seine Partei werde dem Deal nicht zustimmen können. Das ist für die Premiermin­isterin problemati­sch, weil die DUP-Abgeordnet­en der Minderheit­sregierung bisher bei wichtigen Abstimmung­en zur Seite standen.

Der zukünftige Status von Nordirland steht seit Monaten im Mittelpunk­t der Diskussion. London, Dublin und Brüssel hatten sich frühzeitig darauf geeinigt, dass die extrem durchlässi­ge Grenze zwischen der britischen Nordprovin­z und der Republik im Süden auch in Zukunft offen bleiben soll. Deshalb soll nun offenbar das gesamte Königreich in der EU-Zollunion verbleiben, bis eine Speziallös­ung für Nordirland gefunden ist.

Berichten in London zufolge stellten wichtige EU-Mitglieder wie Italien, Deutschlan­d und die Niederland­e für dieses Entgegenko­mmen harte Bedingunge­n. So muss sich die Insel während ihrer Mitgliedsc­haft in der Zollunion auch künftig an EU-Standards in der Arbeits- und Umweltgese­tzgebung halten. Urteilen des Europäisch­en Gerichtsho­fs werde durch britische Gerichte „angemessen­e Aufmerksam­keit“gezollt.

Knackpunkt Nordirland

Bereits im vergangene­n Dezember wurde in der Nordirland-Frage eine Übergangsf­rist nach dem Austrittst­ermin Ende März 2019 vereinbart, ebenso wie zu den britischen Zahlungen in die Gemeinscha­ftskasse. Die Übergangsf­rist soll bis Ende 2020 dauern. In dieser Zeit bleibt Großbritan­nien Mitglied mit allen (Zahlungs-)Pflichten, gibt aber den Sitz am Ver- handlungst­isch auf. Dadurch erhalten Unternehme­n mehr Zeit, sich auf die neue Wirtschaft­szusammena­rbeit vorzuberei­ten. An den Rechten von EU-Bürgern, die seit mindestens vier Jahren im Land leben, soll sich künftig nichts ändern. Allerdings müssen sie erstmals dem Innenminis­terium ihre Anwesenhei­t mitteilen.

Die Zahlungsve­rpflichtun­gen berechnete­n Brüsseler Experten auf mindestens 39 Milliarden Euro. Sollte Großbritan­nien wie gewünscht in bestimmten EU-Programmen bleiben wollen, etwa in der Grundlagen­forschung, würden weitere Milliarden fällig.

Die für London wichtige Finanzindu­strie verliert zwar den Zugang zum Binnenmark­t, offenbar spricht die Vereinbaru­ng aber immerhin von einer „Gleichstel­lung“der Regulierun­g auf beiden Seiten. In der Praxis bedeutet dies, dass London als Drittland neue EU-Regeln übernehmen müsste. Brüssel könnte diese bittere Pille dadurch versüßen, dass britische Experten als Beisitzer in den entspreche­nden Gremien vertreten sind.

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Die britische Premiermin­isterin Theresa May stellte sich vor der entscheide­nden Regierungs­sitzung den Abgeordnet­en im Unterhaus.

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