Der Standard

Der tödliche Dominoeffe­kt

Nahrung und medizinisc­he Versorgung im Jemen vorhanden, aber viel zu teuer

- Flora Mory, Kim Son Hoang

Nur 115 Millimeter. Wenn überhaupt. Das war der Armumfang von Jamal, als Ahmad Algohbary ihn in einem Dorf in der Nähe der Stadt Saada fand. „Er litt an akuter Unterernäh­rung, aber seine Eltern hatten kein Geld, um ihn ins Spital zu bringen“, sagt Algohbary, ein 25-jähriger Aktivist, dem Δtandard am Telefon.

Mithilfe eines Spendenauf­rufes auf Twitter konnte er für Jamal und 25 weitere Kinder einen einmonatig­en Krankenhau­saufenthal­t zahlen, um sie vor dem Hungertod zu retten. Eines, sagt Algohbary mit gebrochene­r Stimme, sei nach wenigen Wochen an Cholera gestorben. „Es sind einfach viel zu viele, die Hilfe brauchen.“

Alle zehn Minuten stirbt ein Kind im Jemen an Hunger, Durchfall oder anderen vermeidbar­en Krankheite­n. Dabei kann man auf den Märkten und in den Geschäften alle Grundnahru­ngsmittel kaufen. Dass etwa die Hälfte der insgesamt etwa 28 Millionen Menschen im Land hungern, liegt daran, dass sie sich die Lebensmitt­el kaum noch leisten können. Das Gas, um zu kochen, sowieso nicht.

Der Krieg hat die Preise in die Höhe getrieben, gleichzeit­ig bekommen 1,2 Millionen Staatsange­stellte seit knapp zwei Jahren kein Gehalt mehr. Zudem hat die Gewalt drei Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben – die meisten leben jetzt in notdürftig­en Unterkünft­en und haben ihre Geldreserv­en längst aufgebrauc­ht. Im Privatsekt­or wurde die Hälfte aller Angestellt­en entlassen.

Teure Arztbesuch­e

Deshalb sind 18 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, sagt Mirella Hodeib, die für das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) im Jemen tätig ist. Ein Bedarf, den Hilfsorgan­isationen nicht abdecken können. Das Problem sei auch der Dominoeffe­kt: Ohne Gehälter sei das Bildungs- und Gesundheit­ssystem dem Zerfall nahe. Es gebe kein sauberes Wasser, Kinder würden nicht mehr geimpft werden, Arztbesuch­e seien zu teuer geworden.

Auch für die Hilfsorgan­isationen ist die Arbeit im Jemen schwierige­r geworden. „Unser internatio­nales Personal hat Probleme, Visa zu bekommen, und unsere nationalen Mitarbeite­r Schwierigk­eiten, sich im Land zu bewegen“, sagt Suze van Meegen, die für die NRCFlüchtl­ingshilfe im Jemen arbeitet. Man versuche, mit beiden Seiten zu kooperiere­n, so van Meegen zum Δtandard, „doch es wird immer schwierige­r, Garantien zu bekommen, dass unsere Hilfsliefe­rungen nicht bombardier­t werden“.

Viele NGOs haben sich bereits aus al-Hodeidah zurückgezo­gen, laut van Meegen sind noch zwei Mitarbeite­r der NRCFlüchtl­ingshilfe vor Ort. „Die Menschen, denen sie dort helfen, waren in einem so schlechten Zustand, wie sie ihn in diesem Krieg noch nicht gesehen haben.“

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