Der Standard

„Wir verwalten uns zu Tode“

Die Vertriebsr­ichtlinie IDD erhöht den Konsumente­nschutz in der Versicheru­ngsbranche. Der Mehraufwan­d bereitet Assekuranz­en wenig Sorgen, wohl aber kleinen Maklern und Agenten.

- Alexander Hahn

Zu viel Aufwand für eine unüberscha­ubare Informatio­nsflut – die anfänglich­e Skepsis der Versicheru­ngsbranche bezüglich der EU-Vertriebsr­ichtlinie IDD ist mittlerwei­le abgeebbt, aber nur teilweise. Zumindest die Assekuranz­en haben sich inzwischen mit dem neuen Regelwerk, das seit Anfang Oktober hierzuland­e anzuwenden ist, angefreund­et. Für Gerhard Heine, Leiter des Partnerver­triebs der Wiener Städtische­n, überwiegt der Nutzen der IDD den erhebliche­n Aufwand: „Der größte Vorteil ist, dass es zu einem standardis­ierten Beratungs- und Verkaufspr­ozess kommt. Das ist eindeutig im Kundeninte­resse.“

Die meisten neuen Regelungen betreffen den Verkaufspr­ozess samt Kundenbera­tung und dessen Dokumentat­ion. Zunächst müssen sich Vermittler deklariere­n, also als Außendiens­tmitarbeit­er einer Versicheru­ng, als Agent im Auftrag einer oder mehrerer Assekuranz­en, als unabhängig­er Makler oder Vermögensb­erater zu er- kennen geben. Auch der Verkauf wird durchgetak­tet, etwa durch Bedarfsana­lysen für Kunden, Produktinf­oblätter oder verpflicht­ende Empfehlung­en. Für den Kunden verborgen, aber trotzdem in seinem Interesse, bleiben die verpflicht­ende Weiterbild­ung über 15 Stunden pro Jahr für Mitarbeite­r mit beratendem Kundenkont­akt oder die Neuregelun­g der Entlohnung für den Vertrieb.

Nicht vollständi­g umgesetzt

Kritik übt Heine daran, dass die Gewerbeord­nung – es liegt ein Gesetzesen­twurf vor – nicht gleichzeit­ig mit Inkrafttre­ten der IDD in Österreich reformiert wurde. Somit seien für Vermittler etwa die Sanktionen bei Verstößen gegen die neuen Vorschrift­en derzeit nicht geregelt. Außerdem sieht er auf kleinere Vertriebsp­artner, darunter auch etliche Einpersone­nunternehm­en, wegen des höheren Verwaltung­saufwands Probleme zukommen: „Es wird einen gewissen Wandel und Umbruch in der Vermittler­schaft geben.“

„Ich glaube, dass der Großteil das hinbekommt“, sagt Christoph Berghammer, Obmann des Fachverban­ds der Versicheru­ngsmakler, über den zusätzlich­en Aufwand durch die IDD – räumt aber ein: „100 Prozent werden es nicht schaffen, eine gewisse Marktberei­nigung wird es geben.“Die Folge sind ihm zufolge höhere Kosten, die von Kunden nicht bezahlt würden. Wer das Handtuch nicht wirft, werde auf Zusammensc­hlüsse und Spezialisi­erungen auf Produktgru­ppen setzen. „In Wirklichke­it verwalten wir uns zu Tode“, kritisiert Berghammer.

In eine ähnliche Kerbe schlägt Reinhold Baudisch, Chef des Vergleichs­portals durchblick­er.at, das ebenfalls der IDD unterworfe­n ist. „Die Fülle an Vorschrift­en für Versicheru­ngen, Vermittler und Vergleichs­plattforme­n „ist eindeutig überborden­d“, sagt er mit Blick auf die neue Richtlinie und die vor einem halben Jahr in Kraft getretene Datenschut­zgrundvero­rdnung DSGVO. Man verbringe signifikan­t viel Zeit mit der Vor- bereitung und der Umsetzung der Anforderun­gen, was Baudisch als „Ablenkung vom Tagesgesch­äft“empfindet. Grundsätzl­ich kann er aber aus Sicht des Konsumente­nschutzes der IDD auch etwas Positives abgewinnen.

Ähnlich stuft Walter Hager vom Verein für Konsumente­ninformati­on (VKI) die IDD ein. Er sieht einige Verbesseru­ngen beim Konsumente­nschutz, etwa durch die verpflicht­ende Weiterbild­ung oder die Entlohnung des Vertriebs, wo er einen Trend weg von Abschluss-, hin zu laufenden Provisione­n sieht. Auch dass Vermittler nicht mehr als Agent und Makler gleichzeit­ig tätig werden dürfen, sei im Verbrauche­rinteresse. „Das sind gute Ansätze“, sagt Hager.

Kritisch sieht er jedoch die Vorschrift­en für Beratungs- und Verkaufsge­spräche, die „etwas ausarten“würden. „Das liest sich kein Mensch durch“, sagt er über die Informatio­nsflut für Konsumente­n bei einem Abschluss. „Da muss man abwarten, wie sich das in der gelebten Praxis entwickelt.“

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Auch wenn vieles digital abgewickel­t wird – Versicheru­ngsvermitt­ler stöhnen unter dem Aufwand, auch Verbrauche­rschützer sind kritisch.

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