Der Standard

Auf dem Fragegrill­er

- Ljubiša Tošić

An jenem Tag, da Angela Merkel im EU-Parlament Applaus und Buhs für ihre Rede empfängt, sitzt der Expräsiden­t dieser Demokraten­runde, Martin Schulz, bei Lanz und wird geröstet. Der nunmehrige SPDAbgeord­nete war schon vieles. Alkoholike­r, Buchhändle­r, Bürgermeis­ter und nach seiner EUPhase die Kanzlerhof­fnung seiner Partei. Kurz.

Als Umfragewun­der flog Schulz in lichte Höhen der Popularitä­t, um jedoch in Lichtgesch­windigkeit als leerer Politdudel­sack in den Niederunge­n der Schmach zu landen. Schulz wirkt ein bisschen, als wär das alles erst gestern gewesen, aber wen wundert’s? Wirft Markus Lanz seinen Fragegrill­er an, bohrt er, so er Drama wittert, gerne nach.

Stand das damals in der Rede so drin, dass Sie, Herr Schulz, an einer Stelle das Sakko ausziehen müssen und sagen, „hier ist es doch verdammt heiß“? Nein. Ja. Weiß ich nicht. Die Erinnerung bereitet Schulz Unbehagen, das schmerzhaf­te Szenen seiner seltsamen Pressekonf­erenzen vertiefen.

Lanz lässt ihn dann doch durchatmen, erklären. Zu viel habe er auf Berater gehört, zu sehr auf Berliner Seilschaft­en geachtet, er sei nicht mehr er selbst gewesen. „Ich hätte mehr auf Europathem­atik setzen sollen“, findet Schulz und darf warnend zur Gegenwart kommen. Vorsicht vor der Bedrohung der Demokratie und vor Trump- und Putin-Freunden! Und wenn das mit Italien so weitergeht, na dann gute Nacht!

Wer sich aber fragte, wie Schulz das alles (und sich selbst) ausgehalte­n hat, auch für den gab es einen interessan­ten Satz in dieser erhellende­n TV-Stunde: „Wenn Sie mein Leben hinter sich haben, dann ist selbst der Tag einer Wahlnieder­lage ein Geschenk.“p derStandar­d.at/TV-Tagebuch

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