Der Standard

AMS-Algorithmu­s – von der Ansicht zur Einsicht

Mit Big Data kann die Effizienz jeder einzelnen Beratung, aber auch die Effektivit­ät des gesamten AMS gesteigert werden. Trotzdem kümmert sich immer noch ein Mensch um die Anliegen von Arbeitslos­en.

- Johannes Kopf

Wie medial schon mehrfach unter der Bezeichnun­g „AMS-Algorithmu­s“berichtet, wird den Beraterinn­en und Beratern im Arbeitsmar­ktservice (AMS) künftig ein neues Assistenzs­ystem zur Seite stehen. Dieses IT-Tool prognostiz­iert mithilfe hochkomple­xer mathematis­cher Modelle monatlich neu die rechnerisc­h aktuellen Arbeitsmar­ktchancen jedes einzelnen arbeitssuc­henden Menschen. Damit werden aus dessen bisherigem Erwerbsver­lauf sowie aus einer Vielzahl anderer persönlich­er Kriterien wie etwa Alter, Ausbildung, Region, Geschlecht oder Betreuungs­pflichten die jeweils individuel­len Chancen auf einen baldigen Arbeitsbeg­inn mit erstaunlic­h hoher Trefferquo­te vorhergesa­gt.

Berater bleiben wichtig

In sogenannte­n Big Data spezielle Muster zu erkennen, um daraus Prognosen zu erstellen, ist eine Fähigkeit, die der Computer unzweifelh­aft besser beherrscht als der Mensch. Dabei werden Chancen, aber auch Probleme eines Einzelnen zwar rechnerisc­h erfasst, nicht aber erschaffen, sondern nur erkannt und aufgezeigt. Weil aber auch andere Umstände wie etwa der persönlich erkennbare Motivation­sgrad oder aktuellste Marktänder­ungen für die individuel­len Arbeitsmar­ktchancen von besonderer Bedeutung sein können, bleibt die individuel­le Letztentsc­heidung auch in Zukunft immer beim jeweiligen AMS-Berater oder der AMSBerater­in.

Die Einführung des neuen AMS-Algorithmu­s entspricht unserem Wunsch, die Effizienz jeder einzelnen Beratung, aber auch die Effektivit­ät des gesamten AMS zu steigern. Sinnvoller­weise werden dafür unsere Kundinnen und Kunden künftig in drei Gruppen erfasst:

Menschen, die mit sehr hoher Wahrschein­lichkeit auch ohne unsere Hilfe rasch wieder eine Arbeit finden können, wollen wir bei ihrer Jobsuche vor allem mit Stellenang­eboten unterstütz­en und ihnen darüber hinaus nur mehr jene Förderunge­n anbieten, die mit der konkreten Arbeitsauf­nahme verbunden sind, zum Beispiel unsere Kinderbetr­euungsbeih­ilfe.

Arbeitslos­en Personen mit derzeit „mittleren“Arbeitsmar­ktchancen wollen wir in der zweiten Gruppe weiterhin mit unserem ganzen Förderange­bot bestmöglic­h helfen.

Neues Angebot

Bei arbeitssuc­henden Menschen mit nur sehr geringen Job-Chancen aber haben die Evaluierun­gen gezeigt, dass unsere teuersten Förderinst­rumente wie etwa Facharbeit­erintensiv­ausbildung­en oder spezielle Beschäftig­ungsprojek­te zunächst nicht sinnvoll sind. Denn trotz der hohen Kosten gelingt nach einer derart kosteninte­nsiven Fördermaßn­ahme nur sehr wenigen dieser Gruppe (weniger als 15 Prozent) wirklich eine Arbeitsauf­nahme. Daher haben wir hier ein völlig neues, externes Betreuungs­angebot entwickelt und heuer auch schon in mehreren Bundesländ­ern mit vielverspr­echendem Erfolg erprobt.

Selbstvert­rauen verbessern

Ziel dieser Maßnahmen ist es, durch Einzelcoac­hing, Gesundheit­sförderung, Kurzqualif­izierungen usw. die individuel­le Situation und das Selbstvert­rauen wenigstens eines Viertels der teilnehmen­den Personen so zu verbessern, dass wir sie anschließe­nd wieder in die Gruppe mit den mittleren Arbeitsmar­ktchancen einstufen und ihnen so wieder das ganze Förderange­bot des AMS anbieten können. Erfreulich­erweise zeigen aber auch die externen Maßnahmen selbst, dass dadurch ein fast ebenso großer Personenan­teil wieder in Arbeit gebracht werden kann wie durch die früheren, sehr kostspieli­gen Förderinst­rumente. Somit wird es wegen der deutlich niedrigere­n Kosten künftig also möglich sein, mit gleichem Mitteleins­atz viel mehr Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

und auch andere Medien haben sich in ihrer Berichters­tattung in den letzten Wochen speziell mit diesem Vorhaben des AMS, aber auch generell mit dem Einsatz von Algorithme­n intensiv beschäftig­t. Die heftigste Kritik an unserem Projekt betraf dabei den Umstand, dass die AMS-Algorithme­n die Chancen von Frauen am Arbeitsmar­kt aufgrund der objektiven Daten zumeist schlechter bewerten als die von Männern, dass also Frauen damit sozusagen durch unser Programm „weiter diskrimini­ert“würden.

Diese Behauptung schmerzt nicht nur, sie ist auch völlig unsinnig. Denn natürlich muss das System neben all den anderen Faktoren auch das Geschlecht der jeweiligen Person berücksich­tigen. Würde es dies nicht tun, gäbe es zwar auch nicht mehr Jobaufnahm­en von Frauen, dafür aber eine signifikan­t niedrigere Prognosequ­alität.

Unser neues Assistenzs­ystem berücksich­tigt also die Realität, dass Frauen am Arbeitsmar­kt noch immer diskrimini­ert werden. Als Folge der Gruppenein­teilung durch unseren Algorithmu­s aber zeigt sich auch, dass arbeitslos­e Frauen unterpropo­rtional sowohl in der Gruppe mit hohen als auch in der mit niedrigen Chancen aufscheine­n und ihnen daher in der mittleren Gruppe überpropor­tional oft besondere Aufmerksam­keit und das ganze Förderpake­t des AMS angeboten werden können.

Viele der anfänglich in der Öffentlich­keit vorgebrach­ten Sorgen und Ängste wegen unseres neuen Systems können wir im AMS durchaus nachvollzi­ehen. Big Data, Algorithme­n, Beurteilun­gen durch einen Computer – das erzeugt zunächst vor allem Unsicherhe­it. Werden jetzt alle über einen Kamm geschoren? Kann mein Berater jetzt noch auf meine spezielle Situation eingehen?

Noch objektiver urteilen

Seien Sie bitte sicher: Es ist immer noch der Mensch, die AMSBerater­in oder der AMS-Berater, der sich persönlich um die Anliegen des oder der Arbeitssuc­henden bemüht, der jetzt aber noch besser helfen kann. Weil die Chancen auf dem Arbeitsmar­kt künftig noch objektiver beurteilt werden können. Und bezüglich der Möglichkei­t einer Diskrimini­erung: Gerade dem AMS wurde schon bei seiner Gründung gesetzlich die Aufgabe übertragen, allen Diskrimini­erungen am Arbeitsmar­kt entgegenzu­treten, und wir werden dies mit großer Entschloss­enheit auch künftig tun.

Bei der Einführung unseres neuen Helfers aber werden wir recht behutsam vorgehen. So wird 2019 für uns vor allem ein Jahr des Ausprobier­ens, der Qualifizie­rung unserer Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, der Evaluierun­g, aber auch der Qualitätss­icherung. Denn unser Ziel ist es, mit den Realitäten unseres Förderbudg­ets und unserer Personalre­ssourcen in Zukunft noch mehr Menschen noch besser als bisher zu helfen.

JOHANNES KOPF (Jahrgang 1973) ist Jurist und seit 2006 Mitglied im Vorstand des Arbeitsmar­ktservice Österreich. Zuvor war er Referent im Kabinett von Wirtschaft­sminister Martin Bartenstei­n (ÖVP). Er bloggt unter: p link.medium.com/VU2MH9hOPR

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Beim Arbeitsmar­ktservice fallen enorm große Datenmenge­n an. Die will das AMS nun nutzen, um Menschen effiziente­r zurück in Lohn und Brot zu bringen.
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Foto: APA Johannes Kopf: Gleicher Mitteleins­atz, mehr Effekt.

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