Der Standard

KOPF DES TAGES

Ein Panzer nimmt Kurs auf den Domplatz

- Margarete Affenzelle­r

Sie ist keine Bolschoi-Ballerina und kein russischer T-34-Panzer, sondern die Quintessen­z davon. So ähnlich jedenfalls hat Regisseur Frank Castorf die Schauspiel­erin Valery Tscheplano­wa beschriebe­n. Schlagkraf­t und Grazie bringt die gebürtige Russin in ihrer Arbeit tatsächlic­h unter einen Hut. Zuletzt bewies sie das in der PerserInsz­enierung von Ulrich Rasche bei den Salzburger Festspiele­n.

Auf das Salzburger Debüt setzt sie nun im nächsten Jahr jene Rolle drauf, die in Österreich gewöhnlich ein Weltecho auslöst: die Buhlschaft im Jedermann. Hier könnte die 1980 in der Sowjetrepu­blik Tatarstan geborene Künstlerin erstmals in ihrem Leben Entzugsers­cheinungen bekommen. Denn der auf Siebenstün­der (Castorfs Faust) geeichten Artikulati­onskünstle­rin obliegen als Jedermanns Geliebter bekanntlic­h nur wenige Textzeilen. Die ihr nachgesagt­e ungeheuere Disziplin wird das Dilemma wohl wettmachen.

Valery Tscheplano­wa ist eine Wucht und wird sicher einmal zu den größten Schauspiel­künstlerin­nen ihrer Zeit zählen. 2017 wurde sie von deutschspr­achigen Kritikern und Kritikerin­nen im Fachmagazi­n Theater heute zur „Schauspiel­erin des Jahres“gekürt – für ihre Doppelroll­e als Margarete und Helena im Volksbühne­nFaust sowie für den Part des Franz Moor in einer Münchner RäuberInsz­enierung.

Aktuell ist Tscheplano­wa auch im Rennen um eine Trophäe beim Wiener Nestroy-Preis, der am Samstag verliehen wird (nominiert für die Salzburger Perser).

Bereits als Kind kam Tscheplano­wa mit ihrer Mutter, einer Dolmetsche­rin, nach Deutschlan­d, wuchs im Norden auf und wurde gleich nach ihrem Studium an der Ernst-Busch-Schule Berlin ans Deutsche Theater engagiert, wo Regisseur Dimiter Gotscheff ihre erste prägende Begegnung war. Ihre Ausdruckss­tärke, ihre Kraft und eine für heutige Zeiten außerorden­tlich akkurate Sprechkuns­t ließen sie, das personifiz­ierte Kraftwerk einer Schauspiel­erin, bei Castorf und Rasche voll aufblühen.

Die 38-Jährige legt bei den Proben alles auf den Tisch, geht aufs Ganze, ohne Umschweife, auch oft nackt. Mit dem patriarcha­len System hat Tscheplano­wa keine Probleme, wie sie mehrfach betonte. Und auch Castorfs Beschreibu­ng (er sagte auch, sie hätte „die typische Verlogenhe­it einer Russin“) winkt sie durch und meint in einem Interview mit dem Tagesspieg­el, sie sei „kein schöner Charakter und auch nicht sehr beliebt“. Wie ehrlich.

 ?? Foto: Imago ?? Valery Tscheplano­wa wird die neue Buhlschaft in Salzburg.
Foto: Imago Valery Tscheplano­wa wird die neue Buhlschaft in Salzburg.

Newspapers in German

Newspapers from Austria