Viel Misstrauen gegen May
Kritik an Brexit-Deal mit EU in London
London – Mehrere Kabinettsmitglieder haben am Donnerstag ihren Rücktritt aus der britischen Regierung bekanntgegeben. Sie protestierten damit gegen den Brexit-Deal, den Premierministerin Theresa May mit der EU geschlossen hat. Auch viele Abgeordnete ihrer konservativen Partei sind unzufrieden: Sie wollten ein Misstrauensvotum gegen die Regierungschefin erreichen. May selbst verteidigte den Plan vor dem Unterhaus. (red)
Eine ganze lange Stunde ist im Londoner Unterhaus bereits vergangen. Theresa May hat den vorläufigen EU-Austrittsvertrag verteidigt und die Kritik von Oppositionsführer Jeremy Corbyn pariert. Immer neue Fragen prasseln auf sie ein, harsche Kritik und kaum verhüllte Rücktrittsforderungen kommen auch aus den eigenen Reihen – und keiner eilt ihr zu Hilfe.
Da steht der erfahrene Hinterbänkler Peter Bottomley von seinem Platz auf. Er gehört dem Parlament seit 1975 an, sein Wort hat Gewicht. „Die Mehrheit des Landes steht hinter ihr“, sagt er, schließlich gehe es um den Wohlstand aller. Bottomley spricht von den Folgen, sollte das Unterhaus Mays Vereinbarung mit Brüssel durchfallen lassen. Dann werde „ein Chaos-Brexit wahrscheinlich und eine Labour-Regierung unter Jeremy Corbyn möglich“.
Aber Bottomley bleibt mit seinem Appell an die Vernunft ein einsamer Rufer in der Brexit-Wüste. Am Ende werden in der dreistündigen Sitzung nicht einmal zehn Wortmeldungen den Plan der Regierung unterstützen. Ist die Vereinbarung, kaum öffentlich, „bereits tot“, wie die Opposition meint? Muss gar die Premierministerin um ihren Job bangen?
Vorsichtig gewählte Worte
Wie sehr der Deal mit Europa ihre eigene Partei vor eine Zerreißprobe stellt, hat May schon am Mittwochnachmittag erlebt. Fünf Stunden lang tagt das Kabinett, ehe die Regierungschefin um 19.20 Uhr endlich auf die Downing Street vor ihrem Amtssitz tritt und eine kurze Erklärung abgibt. „Dies ist der bestmögliche Deal für unser Land. Er ist im nationalen Interesse“, sagt sie und spricht von einer „detaillierten und leidenschaftlichen Debatte“. An deren Ende habe das Kabinett dem Deal zugestimmt. Von Einstimmigkeit spricht sie nicht.
Über Nacht wird deutlich, warum. Von 25 Stimmberechtigten hätten zehn Bedenken oder gar Protest angemeldet, melden die Medien. Am Vormittag wird bekannt: Dominic Raab hat seinen Hut genommen. Ausgerechnet der Brexit-Minister, erst seit fünf Monaten im Amt, wirft hin. Der 44Jährige folgt damit anderen Brexiteers wie Ex-Außenminister Boris Johnson und seinem Amtsvorgänger David Davis, die im Juli zurückgetreten waren. Kurz darauf folgen Sozialministerin Esther McVey und zwei Staatssekretäre. Sie bleiben nicht die Letzten. Alle werfen sie May die Politik vor die Füße, die sie selbst dem Land mit ihrer EU-Feindschaft erst eingebrockt hatten.
In seiner Rücktrittserklärung macht Raab deutlich, wie wenig er an der Kompromissfindung beteiligt war. Tatsächlich dürfte die Vereinbarung mit Brüssel vor allem das Werk von Mays BrexitVertrauensmann Oliver Robbins im Kabinettsbüro sein. Dorthin könnte die Zuständigkeit für den EU-Austritt verlagert werden, sollte sich May für die Auflösung des erst im Juli 2016 eingerichteten Ministeriums entscheiden.
Kein Deal gegen Dublin
Im Unterhaus verteidigt May äußerlich ungerührt den Vertragsentwurf, weist zudem auf die siebenseitige Erklärung über die zukünftige politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit hin. Immer wieder spricht sie von den schwierigen Entscheidungen, die der Kompromiss beiden Seiten abverlange. Für viele ihrer Parteifreunde sowie für die erzkonservativen Unionistenpartei DUP gilt dies besonders in Bezug auf die Sonderlösung für Nordirland. An dieser Stelle redet May erstmals Tacheles: „Ein Deal mit der EU ist ohne eine Auffanglösung für Nordirland nicht zu bekommen.“
Sie bestätigt damit indirekt, dass sich die von Dublin geforder- te Härte der EU-Verhandler gelohnt hat. Wütender Einspruch der protestantischen Hardliner der DUP ist die Folge.
Scharf äußert sich auch der konservative Brexit-Ultra Jacob ReesMogg, dessen Finanzfirma kürzlich aus Angst vor dem Chaos-Brexit ihre Geschäfte nach Dublin verlagerte. May rede von der Integrität des Landes. „Aber sie handelt nicht nach ihren Worten.“
Rees-Mogg und seine Gesinnungsfreunde wollen es aufs Äußerste ankommen lassen: Mittels Misstrauensbriefen wollen sie eine Abstimmung über die Chefin erreichen (siehe unten). Ob es dazu kommt? Nein, glaubt am Nachmittag noch Kenneth Clarke, der fünf Jahre länger dem Unterhaus angehört als Peter Bottomley. „Die Brexiteers haben doch keine Ahnung, wie sie es besser machen würden. Theresa ist dazu verdammt, uns weiter anzuführen.“