Der Standard

EU-Verhandler Barnier ist der Mann der Stunde

Bereits in einer Woche werden die Staats- und Regierungs­chefs bei einem EU- Sondergipf­el den Brexit-Vertrag absegnen. Auch im Europäisch­en Parlament sind keine Probleme bei der Ratifizier­ung zu erwarten.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Michel Barnier ist in Europa im Moment ein gefragter Mann. Die Begrenzung­en von Zeit und Raum scheinen für den Brexit-Chefverhan­dler der EU-27 derzeit nur eingeschrä­nkt zu gelten. Mittwochab­end hatte der Franzose noch rechtzeiti­g vor Mitternach­t im Presseraum der EU-Kommission in Brüssel das Ergebnis seiner Verhandlun­gsbemühung­en präsentier­t.

Stolz hielt er dabei einen dicken „Ziegel“Papier in die Kameras: das nicht weniger als 585 Seiten starke Abkommen über den Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der Europäisch­en Union. Darin gebe es keine grünen Stellen mehr, mit denen nicht geklärte Punkte markiert wurden. Alles sei weiß, freute sich Barnier. Quasi „weißer Rauch“, wie er im Vatikan nach der Wahl eines Papstes aufsteigt, um Erfolg zu verkünden.

Aber der EU-Verhandler warnte gleichzeit­ig davor, sich zu früh zu freuen. Dies sei „eine wichtige Etappe“, es warte aber noch viel Arbeit.

Kaum waren die EU-Beamten und die Journalist­en, die seit Tagen praktisch rund um die Uhr am Finale der Brexit-Gespräche werkelten, dann am Donnerstag­morgen aus dem Bett, war Barnier schon wieder auf der großen EUBühne und allen Bildschirm­en. Gemeinsam mit dem ständigen Ratspräsid­enten Donald Tusk, dem er ein Exemplar des Brexitvert­rags überbracht­e, verkündete er die nächsten Schritte.

Am Sonntag, dem 25. November, werde es einen EU-Sondergipf­el der Staats- und Regierungs­chefs geben, bei dem das Abkommen auf höchster Ebene abgesegnet werden wird. „Sofern bis dahin nichts Außerorden­tliches passiert“, fügte Tusk an – mit Blick auf die dramatisch­en Ereignisse in London, die Ministerrü­cktritte und die harten Bandagen gegen die britische Premiermin­isterin Theresa May im Unterhaus. Der Ratspräsid­ent verwies auch auf ein Treffen der EU-Europamini­ster, das am Montag (unter Vorsitz von Gernot Blümel aus Österreich) stattfinde­n wird. Dort könnten die Regierunge­n ihre Einwände gegen den Brexit-Deal deponieren. Er hoffe auf sehr wenige.

Der rasende Barnier

Barnier hielt sich kurz. Noch vor Mittag tauchte er plötzlich in Straßburg auf, wo er EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani ebenfalls ein Exemplar des Brexitabko­mmens in die Hand drückte.

Der Italiener erklärte, gemäß dem, was er bisher wisse, sei man „mit Kernpunkte­n im Vertrag zufrieden“. Der Chefbrexit­verhandler des EU-Parlaments, Guy Verhofstad­t, gab sich wesentlich euphorisch­er: Es sei das „der beste Vertrag, den wir erreichen konnten“.

Das Europäisch­e Parlament spielt eine Schlüsselr­olle dabei, ob der Brexit wie geplant am 29. März über die Bühne gehen kann. Der Austrittsv­ertrag muss vom Plenum mit einfacher Mehrheit im Ratifizier­ungsverfah­ren angenommen werden. Dass die Abgeordnet­en einen geordneten EUAustritt platzen lassen könnten, gilt zwar als unwahrsche­inlich – aber in ihren Resolution­en haben sie sich selbst an die Auflage gebunden, dass Großbritan­nien keine „Rosinenpic­kerei“beim Binnenmark­t erlaubt werden dürfe; dass es für ein Land nicht zum Vorteil werden könne, aus der Gemeinscha­ft auszutrete­n, sich der solidarisc­hen Lasten zu entledigen, aber weiterhin Vorteile der vier Grundfreih­eiten zu genießen.

Der vorliegend­e Pakt, laut Barnier „eine gerechte und ausbalanci­erte Lösung“, dürfte den Wünschen der Mehrheit der EU-Mandatare aber eindeutig entspreche­n. Allerdings stehen sie unter Zeitdruck. Weil im Mai 2019 EUWahlen stattfinde­n, löst sich das Parlament im April auf, es muss also die gesamte restliche Gesetz- gebungsarb­eit in den drei Monaten nach der Weihnachts­pause erledigen. Käme es bei der Behandlung des Brexitvert­rags zu Verzögerun­gen, etwas weil nachverhan­delt werden muss, könnte die Zeit zu knapp sein, das umfangreic­he Vertragswe­rk in den zuständige­n Ausschüsse­n entspreche­nd zu verarbeite­n.

EU-Chefverhan­dler Barnier betonte auch die Notwendigk­eit, dass man jetzt in Ruhe „den juristisch präzisen Vertragste­xt“weiter bearbeite. Er war, wie einige andere EU-Spitzen in Europa, offensicht­lich bemüht, die Einigung nicht als Sieg der EU-27 über die Briten erscheinen zu lassen.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich in Berlin „sehr erfreut“über den Abschluss. Der litauische Außenminis­ter Linas Linkevičiu­s sprach „von einem gewissen Durchbruch“. Frankreich­s Finanzmini­ster Bruno Le Maire lobte den „vollen Respekt für den Binnenmark­t“im Vertrag.

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vor dem Parlament weiterhin für eine Abstimmung, um doch in der Union bleiben zu können. Zufrieden sind hingegen EU-Verhandler Michel Barnier und Ratspräsid­ent Donald Tusk.
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