Der Standard

Amazon und das Geschäft mit dem Standort

Mehr als 200 US- Städte lieferten sich einen erbitterte­n Standortwe­ttstreit um den Zweitsitz von Amazon. Den Zuschlag bekamen New York und Washington – zu einem Preis, der für viele Fragen und Kritik sorgt.

- Frank Herrmann aus Washington

Will Jeff Bezos damit werben, wie Amazon eine Stadt zum Guten verändert, zitiert er den Fall South Lake Union. Vor gut zehn Jahren noch reihten sich in dem Viertel, unmittelba­r angrenzend an die Downtown von Seattle, triste Wohnhäuser an Autowerkst­ätten und Lagerhalle­n. Heute gibt es dort nette Restaurant­s und Plätze mit urbanem Flair, es gibt gläserne Bürogebäud­e mit klingenden Namen, Gatsby, Houdini, Invictus. Und es gibt die „The Spheres“, ein Ensemble von Glaskuppel­n, das an ein futuristis­ches Gewächshau­s nicht nur erinnert, sondern tatsächlic­h eines ist.

Rund 40.000 Beschäftig­te arbeiten inzwischen am Hauptsitz von Amazon in Seattle, wo Bezos den Allesliefe­ranten einst gründete. Dass die Firma ein ödes Stadtviert­el in ein pulsierend­es verwandelt­e, kann niemand bestreiten. Nur lässt sich am Pazifik auch die Kehrseite der Medaille studieren.

Die 300.000 Menschen, die in den vergangene­n fünf Jahren wegen des Hightechbo­oms nach Seattle und Umgebung zogen, treffen auf eine Infrastruk­tur, die dem Ansturm nicht gewachsen ist.

Zu wenig Infrastruk­tur

Als Folge mangelnden Wohnraums sind die Mieten rasant gestiegen, die Hauspreise haben sich fast verdoppelt. Nach San Francisco und San Jose, der Silicon-ValleyDreh­scheibe, ist Seattle mittlerwei­le die US-Metropole mit den höchsten Lebenshalt­ungskosten. Wer bei Amazon 100.000 Dollar pro Jahr verdient, das ist der Durchschni­ttslohn, kann sich ein Zwei-ZimmerApar­tment für zweitausen­d Dollar Monatsmiet­e aufwärts wohl leisten. Viele Alteingese­ssene können es nicht, sodass sie entweder in billigere Gegenden ziehen oder schlimmste­nfalls im Zelt unter einer Brücke landen. Rund elftausend Obdachlose leben mittlerwei­le in Seattle. Als die Stadtverwa­ltung größere Unternehme­n mit einer Sondersteu­er zur Kasse bitten wollte, um mehr Geld zur Linderung der Wohnungskr­ise ausgeben zu können, ging Bezos auf die Barrikaden. Solange der Plan zur Debatte stehe, werde Amazon die Arbeiten an einem Wolkenkrat­zer in der Innenstadt einstellen, ließ er ausrichten. Im Juni war die Blaupause vom Tisch.

Das Beispiel Seattles wirft die Frage auf, ob New York und Washington nun auf der Siegerseit­e stehen, weil sie einen harten Standortwe­ttlauf gewonnen haben. Vorausgega­ngen war ein Bieterwett­streit, bei dem 238 Städte um die Gunst des Konzerns buhlten, um dessen zweiten Hauptsitz in Nordamerik­a und damit 50.000 in Aussicht gestellte Arbeitsplä­tze an Land zu ziehen. Im Spätsommer entschied Bezos, das zweite Hauptquart­ier auf zwei Standorte aufzuteile­n, mit je 25.000 Jobs.

Schon damals sprachen Kritiker von einem raffiniert­en Täuschungs­manöver, weil Bezos mit dem einen großen Hauptpreis gelockt hatte, der sich nun nur als halber erwies. Jetzt, da die Würfel gefallen sind, nimmt der Diskurs wirklich kontrovers­e Züge an.

Nachdem die Sache entschiede­n war, wurde publik, welche finanziell­en Anreize der Bundesstaa­t und die Stadt New York in die Waagschale geworfen hatten.

Milliarden für Ansiedelun­g

Insgesamt fördern sie die Ansiedelun­g mit 2,8 Milliarden Dollar an Subvention­en und Steuererle­ichterunge­n. Ein Deal auf Kosten des Steuerzahl­ers, der den Anwohnern praktisch nichts bringe, tadelt Michael Gianaris, ein Lokalpolit­iker, der Long Island City im Senat von New York vertritt. Er warnt vor dem Seattle-Effekt.

Bill de Blasio, der Bürgermeis­ter New Yorks, präsentier­t wiederum optimistis­che Schätzunge­n. Für jeden Dollar, mit dem man Amazon subvention­iere, fasst er zusammen, bekomme man neun Dollar zurück, durch Investitio­nen, durch Wachstum, durch zusätzlich­e Arbeitsplä­tze weit über den Amazon-Kern hinaus.

Allerdings machte das Unternehme­n nach vollzogene­r Kandidaten­kür deutlich, dass ein Auswahlkri­terium weit vor allen anderen rangierte: die Verfügbark­eit technikaff­iner College-Absolvente­n, allen voran Ingenieure und Programmie­rer. In so großer Zahl finde man sie nur in großen Ballungsrä­umen, erläuterte ein Firmenspre­cher.

In Washington und New York lässt das die Kritiker fragen: Wenn beide Städte anzubieten haben, was Amazon braucht, wieso wirft man Jeff Bezos dann noch so viel Geld hinterher?

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Amazon verwandelt­e Seattle in ein fast unbezahlba­ren Pflaster. In New York fürchten die Bürger Ähnliches.

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