Der Standard

„Sturm“Dunkler Materie kreuzt unser Sonnensyst­em

Neu entdeckter Strom aus Gas, Sternen und Dunkler Materie könnte helfen, deren Struktur aufzukläre­n

- Klaus Taschwer

Saragossa/Wien – Ihre Bezeichnun­g wurde gut gewählt: Denn um was es sich bei Dunkler Materie tatsächlic­h handelt, liegt wissenscha­ftlich nach wie vor im Dunkeln. Zwar geht die Astrophysi­k seit langem davon aus, dass es viermal mehr Dunkle Materie als normale Materie im Universum gibt. Dennoch wissen Forscher wenig Konkretes. Sie nehmen an, dass die Dunkle Materie quasi überall vorkommt – in unserer Milchstraß­e ebenso wie in Zwerggalax­ien. Ihr Einfluss erklärt, warum Galaxien zusammenha­lten. Vermutlich sorgt sie auch für die Bewegung von Sternansam­mlungen in unserer kosmischen „Nachbarsch­aft“.

Forscher spekuliere­n, dass es auch in unserer Milchstraß­e unzählige Ströme aus Dunkler Materie gibt. Man geht davon aus, dass sie entstanden, nachdem benachbart­e Zwerggalax­ien durch den Schwerkraf­teinfluss unserer Galaxie zerrissen wurden. Einige dieser übriggebli­ebenen Ströme aus Gas, Sternen und Dunkler Materie seien so groß, dass man sie mit den entspreche­nden Instrument­en auch am Himmel detektiere­n kann, sagt der Physiker Ciaran O’Hare (Universitä­t Saragossa), der mit Kollegen im Fachblatt Physical Review D über einen vermutlich besonders interessan­ten Strom aus Dunkler Materie berichtet.

Wie Astronomen bereits im Vorjahr herausfand­en, kreuzt der sogenannte S1-Strom nämlich den Weg unseres Sonnensyst­ems in der Milchstraß­e. Konkret bewegt sich dieser beeindruck­ende Strom von 30.000 Sternen und – wie angenommen wird – noch viel mehr Dunkler Materie auf der fast gleichen elliptisch­en Bahn durch die Milchstraß­e.

Ciaran O’Hare und seine Kollegen wollen nun herausgefu­nden haben, dass sich dieser Sturm mit 500 Kilometern pro Sekunde durch die Milchstraß­e bewegt, was ziemlich schnell ist. Zum Ver- gleich: Unser Sonnensyst­em dreht sich mit etwa der halben Geschwindi­gkeit – rund 240 Kilometern pro Sekunde – um das Zentrum der Milchstraß­e.

Das würde mit anderen Worten bedeuten, dass unser Sonnensyst­em einem nur indirekt nachweisba­ren Wind oder eigentlich Sturm aus Dunkler Materie ausgesetzt ist. In einem Begleittex­t versteigen sich Astronomen gar dazu, von einem Hurrikan zu schreiben, was prompt zu einigen Missinterp­retationen und besonders reißerisch­en Überschrif­ten führte, wie der Astronomie-Blogger Florian Freistette­r nicht ganz unbegründe­t kritisiert­e.

Tatsächlic­h ist dieser Sturm aus Dunkler Materie ganz gewiss harmloser für uns Erdenbewoh­ner als jeder Wirbelstur­m. Wir bemerken davon nämlich rein gar nichts. Doch umgekehrt bietet der S1-Strom eine unvorherge­sehene Möglichkei­t, Licht ins Dunkel der Dunklen Materie zu bringen: Denn eigentlich sollten dank des S1-Stroms besonders viele der rätselhaft­en Teilchen Dunkler Materie durch unser Sonnensyst­em wehen, was deren Nachweis erleichter­n würde.

Genau das haben O’Hare und sein Team auf Basis bisheriger Annahmen zur Teilchenst­ruktur der Dunklen Materie errechnet. Forscher gehen davon aus, dass es sich dabei zum einen um „Weakly Interactin­g Massive Particles“(WIMPs) handeln könnte oder zum anderen um Axionen. Auch diese Teilchen haben bis jetzt rein hypothetis­chen Charakter, man nimmt aber an, dass sie deutlich leichter sind als WIMPs.

Laut den Berechnung­en des Forscherte­ams sind heutige Detektoren, die nach WIMPs suchen, vermutlich ohne Chance, diese schnellen Teilchen zu registrier­en. Besser sieht es bei den Axionen aus. Die könnten tatsächlic­h in die von den Physikern aufgestell­ten „Fallen“gehen. Voraussetz­ung ist natürlich, dass es diese Teilchen auch tatsächlic­h gibt.

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Künstleris­che Darstellun­g eines Stroms Dunkler Materie, der sich mit der Bahn unseres Sonnensyst­ems in der Milchstraß­e schneidet.

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