Der Standard

Im Bombenhage­l der Rache

Zwischen Drama und Kinderthea­ter: Händels „Teseo“am Theater an der Wien

- Ljubiša Tošić

Wien – Vorbei die Zeit des Bombenrege­ns, das Schloss ist kein Kriegslaza­rett mit Feldbetten mehr. Kanonen schweigen, Fenster werden geöffnet, um das Lüfterl des Friedens hereinzula­ssen. Zwar geht König Egeo jetzt am Stock, dieses „Kriegssouv­enir“wird ihm bleiben. Es herrscht jedoch Waffenruhe. Das Leben könnte also seinen angenehmen Lauf nehmen, wäre da nicht der Homo sapiens mit seinen Spielchen um Zuneigung und Macht.

Es verlagert der Erdenwurm den Krieg nun also ins Schlossinn­ere, dessen Charakter auf die Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg verweist (Bühne: Christian Fenouillat). Besonders Medea ist emotional auf der destruktiv­en Seite. Verständli­ch. Ihr bisheriges Leben hat nicht viel Liebesfort­une beschert. Dennoch begehrt sie wieder, den Kriegsheld­en Teseo (solide Lena Belkina).

Medea aber sieht: Auch Prinzessin Agilea (substanzvo­lle lyrische Höhen Mari Ericsmoen) hat sich in den Soldaten verguckt. Und zur Verkompliz­ierung der Liebeslage will nun König Egeo (kultiviert­e Counter Christophe Dumaux) Medea nicht mehr ehelichen. Es wohnt Agilea in seinem Herzen.

In Moshe Leisers und Patrice Cauriers Inszenieru­ng der TeseoOper von Georg Friedrich Händel verdichtet sich die Konflikttr­agik der Figuren bisweilen körperlich direkt: Wie sich Medea auf dem Boden in Agilea verkeilt und diese fast ins Jenseits würgt, ist in seiner Drastik eine konsequent­e Gestaltung von schlummern­der Emotion. Mehr davon hätte die bisweilen starre Regiesache belebt.

Zudem unternimmt das Duo, welches u. a. für die Salzburger Bartoli-Festspiele (zu Pfingsten) Virtuoses geleistet hat, leider irritieren­de Ausflüge ins Unbeholfen­e. Medea wird mittendrin plötzlich an einem Seil um so eineinhalb Meter in die Höhe gehoben, was statt effektvoll nur kläglich wirkt. Die Zauberkraf­t der Regie zeigt da Ansätze von Selbstbesc­hädigung.

Raum voller Hände

Dabei kommt Medeas Wut erst so richtig in Fahrt: An einer entscheide­nden Stelle lässt sie Möbel zur Seite hüpfen und Vorhänge im Wind tanzen. Und wie Medea ihre Furien herbeibesc­hwört, werden zwei große Hände hineingesc­hoben, zwischen denen sich Butler in Werwölfe verwandeln. Als Höhepunkt der Regieverwi­rrung knabbern sie am schlummern­den Teseo ...

Nur konsequent leider, dass Medea am Ende versucht, die ganze, ihr verhasste Gesellscha­ft explosiv ins Jenseits zu befördern. Die Handgranat­e der Rache befindet sich dabei in Händen der großartige­n Gaelle Arquez. Unerschütt­erlich bewahrt sie bei aller Dramatik satten Klang. Ihre Stimme hat eine Präsenz, die jegliche Anforderun­g bewältigt.

Dirigent Rene Jacobs und seine Akademie für Alte Musik Berlin sind den Sängern (und dem Schönberg-Chor) ein kundiger Advokat eines Grundtons, der historisch informiert auf große emotionale Ausschläge verzichtet. In heftigen Momenten, wenn mittels Streichert­iefe akzentuier­tklangvoll­e Momente erwachen, wird evident, dass ausdrucksm­äßig Luft nach oben gewesen wäre. Besonders an sensibel-zarten Passagen der Partitur mangelte es an Poesie und Atmosphäre.

Für einen Abend mit so schrillen Regiehöhen und -tiefen bot der gelassene Musikzugan­g jedoch eine trostvolle Zuflucht. 16., 18., 21., 23. und 25. November; Ö1 überträgt „Teseo“am 24. 11. um 19.30

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Medea (Gaelle Arquez) begehrt den Kriegsheld­en Teseo (Lena Belkina). Dies tut aber auch Prinzessin Agilea, was Medea nicht billigen kann.

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