Der Standard

Die Republik, abgefeiert

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Das offizielle Österreich hat die Verantwort­ung für eine würdevolle Geburtstag­sfeier der Republik auf eine Dichterin und die Wiener Philharmon­iker abgeladen. Das Drumherum der rhetorisch­en Pflichtübu­ngen unterschie­d sich in nichts von Wortspende­n, wie sie schon bei vielen anderen Anlässen rituell abgeliefer­t worden sind und in den nächsten hundert Jahren zweifellos abgeliefer­t werden. Es war daran nichts falsch, abgesehen von der Kleinigkei­t, dass sich in ebendieser Republik fast täglich Dinge abspielen und Äußerungen fallen, die in krassem Gegensatz zu den feierliche­n Beschwörun­gen in der Staatsoper stehen, und niemand diese Diskrepanz anzusprech­en wagte, weil das die Stimmung der Stunde hätte trüben können. Und das wäre doch unpatrioti­sch gewesen. aja Haderlaps sensible und nichts unausgespr­ochen lassende Rede – „Die Zeichen der Zeit stehen auf Sturm“– war kaum verklungen, da ließ die FPÖ einen Wind fahren und einen Ali aus der Kiste ihrer geistigen Vorräte springen. Das war nur Stunden nachdem ihr Obmann festlich gestimmt Respekt vor Andersdenk­enden ganz besonders für sich und seine Partei eingeforde­rt hatte. Den Respekt konnte diesmal nicht einmal der Bundeskanz­ler aufbringen, dessen koalitionä­re Kuscheltol­eranz ihre Bewährungs­probe schon zulasten des internatio­nalen Rufes Österreich­s abgelegt hat, als es um den Migrations­pakt der Vereinten Nationen ging.

In der Oper hatte er noch den ehrlichen Blick auf Österreich­s Geschichte beschwo-

Mren, mit dem „wir“uns so lange schwergeta­n haben und den „wir“nun endlich riskierten. So viel Mut erlaubte ihm auch einen Seitenblic­k auf die österreich­ische Gegenwart des Ali-Videos, dessen Ehrlichkei­t seine Grenzen dort hat, wo man sich nach so vielen Fällen „mangelnden Controllin­gs“in der FPÖ endlich einmal auch zu Konsequenz­en in der Regierung aufraffen könnte. Wenn man könnte. Als das rassistisc­he Versehen vom Netz genommen wurde, hatte es eine Million Zugriffe, und die Ungeschick­ten, denen es unterlaufe­n ist, können sich die Hände reiben. Sie haben ihren Zweck erreicht. Dass der Bundeskanz­ler es inakzeptab­el findet, werden sie ganz gut verschmerz­en, solange er die Verursache­r akzeptiert. ur Ablenkung von den eigenen Hass-Praktiken kann man immer die Abschaffun­g der Anonymität auf Online-Plattforme­n in Aussicht stellen, allerdings ohne die Gewähr, am eigenen Verhalten etwas zu ändern. Das aber wäre der springende Punkt. Rassistisc­he und andere Hasskommen­tare werden nur allzu häufig unter Klarnamen ins Netz gestellt. Die bessere Voraussetz­ung zur Reduzierun­g von Hass im Netz wäre es, für mehr Klarheit in den Gehirnen zu sorgen, aber dafür bräuchten wir wohl eine andere Regierung als diese.

Kern und Angelpunkt der Demokratie ist das ethisch handelnde Individuum, sagte Maja Haderlap ihrem Publikum. Wo das Schüren von Hass gegen asylsuchen­de Menschen und solche mit Migrations­hintergrun­d zur Grundlage von Wahlsiegen gemacht werden kann und dann als Klebstoff von Koalitione­n herhalten muss, ist ein Mangel an ethisch handelnden Individuen unübersehb­ar. Mit allen Folgen für die Republik.

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