Der Standard

Angezählte­r starker Mann

- Gudrun Harrer

Mit fast schon masochisti­scher Genauigkei­t bestätigt die saudische Staatsanwa­ltschaft Details zum Mord an Jamal Khashoggi, die man zuvor aus der Türkei gehört hat: Ja, die Leiche des Journalist­en, der am 2. Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet wurde, wurde zerstückel­t. Für den Mord sollen nun elf Personen angeklagt werden. Für fünf, die die Tat durchgefüh­rt haben, wird die Todesstraf­e verlangt. Allerdings wird nach der letzten Darstellun­g wieder behauptet, das ursprüngli­che Ziel sei die „Repatriier­ung“des Kritikers von Kronprinz Mohammed bin Salman gewesen.

Es ist wahrschein­lich, dass es zu Todesurtei­len kommt, wobei jedoch die Möglichkei­t besteht, dass die Familie Khashoggi auf die Vollstreck­ung verzichtet und stattdesse­n Geld akzeptiert. Aber sollte das nicht der Fall sein, so könnte es für den Kronprinze­n, an dessen Ahnungslos­igkeit niemand glaubt, Spätfolgen haben: Seine loyalsten Mitarbeite­r werden sich fragen, ob er auch sie über die Klinge springen lassen wird, sollte es einmal nötig werden.

Dazu kommt die Genugtuung jener Familienmi­tglieder, die der Kronprinz für seinen Aufstieg beseiteger­äumt hat. Weiterhin werden eher Wirtschaft­szahlen – und die Frage, ob hinter seinem Projekt 2030 mehr als heiße PR-Luft steckt – über seine Zukunft entscheide­n als die Nachwehen des Khashoggi-Mords. Aber der neue starke Mann Saudi-Arabiens ist angezählt, immer mehr warten auf seinen Sturz.

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