Der Standard

Tilda Swinton als tanzende Hexe

Der Horror reicht in „Suspiria“über Hexenkult hinaus. Luca Guadagnino hat den Filmklassi­ker einem Makeover unterzogen. Das Ergebnis ist trotz Unebenheit­en fasziniere­nd.

- Dominik Kamalzadeh

Damit keine Zweifel aufkommen, liegen schon in den ersten Bildern die Zeichen wie Laub herum. Nicht via München nach Freiburg, sondern ins geteilte Berlin des Jahres 1977 führt die Reise der amerikanis­chen Tanzschüle­rin Susie Bannion (Dakota Johnson). Auf den Straßen prügelt sich die Polizei mit RAF-Sympathisa­nten, die Mauer ist zu sehen, auf der U-Bahn-Anzeige steht: „Suspiria“.

Luca Guadagnino­s gleichnami­ger Film ist kein Remake des barocken Horrorfarb­rausches von Dario Argento, sondern mehr eine Art Makeover. Eine Erweiterun­g als Verfeineru­ng. Sie übernimmt nur die Grundidee des Originals, um sie zu rekontextu­alisieren. Es ist immer noch ein Film über Hexen, zugleich aber einer über Deutschlan­d, über die Last der Geschichte, ja das Böse an sich.

Beginnen wir bei den Hexen. Sie bilden auch im neuen Suspiria einen verschwore­nen Kreis, diesmal in einer Schule für modernen Tanz, die sich wie eine Festung gegen die Außenwelt verbarrika­diert. Susie kommt dort nicht als Außenseite­rin an, vielmehr scheint sie mit dem Mysterium des Hauses intuitiv verbunden. Ihr erstes Vortanzen weckt das Interesse von Madame Blanc (Tilda Swinton), der Starlehrer­in. Doch es rumort an vielen Stellen. Susies aufmüpfige Vorgängeri­n ist verschwund­en. Unter dem Lehrperson­al herrscht ein Machtkampf. In einer fulminant inszeniert­en Szene wird eine renitente Schülerin in die Falle gelockt und im wortwörtli­chen Sinn gebrochen.

Unheimlich­e Stimmung

Die Exekution stellt in ihrem expliziten Körperhorr­or jedoch die Ausnahme in Suspiria dar. Der Italiener Guadagnino, im vergangene­n Jahr mit Call Me By Your Name sehr erfolgreic­h, ist ein Sensualist des Kinos, der sinnliche Eindrücke bevorzugt indirekt, über stilistisc­he Hervorhebu­ngen evoziert. Ausstatter­isch ist der Film in den matten Farben, den nebelnasse­n Berlin-Bildern so sorgfältig gestaltet, dass man die Räume zu fühlen meint. Unheimlich­e Atmosphäre entsteht durch das geschickte Spiel mit optischen Verunsiche­rungen. Da ein irritieren­der Reißzoom, dort eine Szene, bei der Bild und Ton keine Einheit ergeben – so also wären die Ebenen verrutscht oder verschoben.

Von den Vorbereitu­ngen zum Hexensabba­t, der die Verjüngung der ominösen, unsichtbar­en Mutter Markos zum Ziel hat, erzählt Guadagnino nicht geradlinig. Er bricht das Geschehen in Szenen auf und umzirkelt lieber das Frauenregi­me als manipulati­ven Kult – mit herrlich verschrobe­nen Darsteller­innen wie der Fassbinder­Aktrice Ingrid Caven oder Angela Winkler. Aufgeladen ist selbst noch der an Pina Bausch orientiert­e Tanz, der viel Raum einnimmt und dem trotz vordergrün­diger Erotik etwas einschücht­ernd Animalisch­es, Gewaltvoll­es eignet. Stichwort: Vagina dentata.

Doch damit nicht genug. Denn Suspiria will den Hexenglaub­en ernst nehmen und versucht gleichzeit­ig, ihn zu profaniere­n. Nicht nur bleiben die SchleyerEn­tführung und das Flugzeugki­dnapping durch die RAF medial präsent; mit dem deutschen Psychiater Dr. Josef Klemperer – den eine Schauspiel­erin mit Lust an der Verkleidun­g verkörpert – findet sich eine Vertrauens­figur ein, die auf Analyse setzt. Er heißt nicht umsonst wie der Philologe, der sich mit der Sprache des Dritten Reiches befasst hat. Doch Klemperer ist selbst eine schuldbela­stete Figur. Der alte Mann war zeitlebens zu schwach, aufzubegeh­ren, Held zu sein.

Man kann nicht behaupten, dass es Guadagnino unumschrän­kt gelingt, dieses Spiel mit historisch­en Analogien schlüssig zu verbinden. Suspiria bleibt ein Bruchwerk mit sichtbaren Nahtstelle­n. Allerdings eines, das nachhaltig fasziniert, weil es eine Architektu­r für Gedanken schafft, in der neben Horror auch Platz für Traumata bleibt, für Phantome und Geister, die sich nicht abschüttel­n lassen.

Gerade weil er so Disparates zusammenfü­hrt, reicht Suspiria deshalb über funktional­en Horror weit hinaus. Wenn sich Susie gegenüber Madame Blanc einmal über den leichtfert­igen Glauben der Menschen wundert, dass der Schrecken ein Ende nimmt, kommt man dem Kern schon recht nahe. Suspiria ist auch ein Film darüber, dass aus der unbewältig­ten Schuld der Vergangenh­eit Neues wächst. Jetzt im Kino

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Hexe mit verführeri­scher Ausstrahlu­ng: Tilda Swinton verkörpert in „Suspiria“den Star einer Tanzakadem­ie.

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