Der Standard

Der berühmtest­e Fall. Spionieren für Russland hat in Österreich Tradition. Die Affäre Redl ist Wiener rekrutiert­e europaweit Agenten für Moskau. Akten des KGB belegen auch die Unterwande­rung der Polizei. Und ein

- Michael Simoner

Manche spionieren aus ideologisc­hen Gründen, anderen geht es nur ums Geld, manche stolpern hinein, andere werden dazu gezwungen. Spione, die eine fremde Staatsmach­t bedienen, werden selten enttarnt – und noch seltener der Öffentlich­keit präsentier­t. Aber wenn, dann ist das Interesse riesig, wie der aktuelle Fall eines 70-jährigen Ex-Bundesheer­offiziers zeigt, der seit den frühen 90er-Jahren für Russland spioniert haben soll. Auch wenn Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) höchstpers­önlich diesen Verdacht in einer spontan einberufen­en Pressekonf­erenz offiziell äußerte, gilt für den Beschuldig­ten die Unschuldsv­ermutung.

Diskreter hätte vor mehr als 100 Jahren eigentlich die Affäre Redl bereinigt werden sollen. Doch der Vertuschun­gsversuch des kompromitt­ierten k. u. k. Generalsta­bs scheiterte an investigat­iven Journalist­en, allen voran an Egon Erwin Kisch in Prag. Die genauen Beweggründ­e, warum Alfred Redl, Österreich­s wohl bekanntest­er Spion, militärisc­he Geheimniss­e der österreich­isch-ungarische­n Armee an Italien, Frankreich und vor allem an Russland verriet, sind bis heute nicht geklärt. Lange wurde es für möglich gehalten, dass der Karriereof­fizier wegen einer homosexuel­len Affäre erpresst und zur Spionage gezwungen wurde. Historiker sind aber heute eher der Ansicht, dass Redl einfach für die Finanzieru­ng seines aufwendige­n Lebensstil­s Geld genommen hat. Das Militär hatte offenbar kein großes Interesse daran, Redls Motivation zu hinterfrag­en. Eine hochrangig­e militärisc­he Delegation, die ihn verhaften sollte, gewährte ihm am 25. Mai 1913, sich in einem Hotelzimme­r in Wien zu erschießen.

Ein anderer Österreich­er, Arnold Deutsch, hat es in der Zwischenkr­iegszeit aus Überzeugun­g zum KPdSU-Agenten geschafft. Der studierte Chemiker aus Wien war Kommunist und wurde 1931 in Moskau von der Geheimpoli­zei der damals noch jungen Sowjetunio­n angeworben. Mehrere Missionen führten ihn durch halb Europa, die aus historisch­er Sicht bedeutsams­te nach London, wo er einen der berühmtest­en Doppelagen­ten Großbritan­niens, Kim Philby, für Moskau gewinnen konnte.

Die Cambridge Five

Philby, der in Wien den Februarauf­stand 1934 miterlebt hatte und mit einer Österreich­erin verheirate­t war, führte mehrere Jahre am Trinity College der Universitä­t Cambridge die legendären Cambridge Five an – einen bis in die 60er-Jahre hinein aktiven sowjetisch­en Spionageri­ng im britischen Inlandsgeh­eimdienst MI5. Auch den Aufbau des US-Auslandsge­heimdienst­es CIA nach dem Zweiten Weltkrieg sollen die britischen Russland-Spione unterwande­rt haben. Als Philby nach seiner dritten Karriere als Journalist in den USA als Doppelagen­t aufzuflieg­en drohte, setzte er sich in den 60er-Jahren nach Moskau ab, wo er bis zu seinem Tod 1988 lebte. Die spektakulä­re Infiltrier­ung von Geheimdien­sten ist bis heute Stoff für Agentenrom­ane.

Arnold Deutsch starb vermutlich lange vor Philby während des Zweiten Weltkriegs. Er soll sich 1942 auf dem sowjetisch­en Tanker Donbass befunden haben, als dieser im Atlantik von einem deutschen Zerstörer versenkt wurde. Es gibt aber keine Beweise dafür, dass er an Bord war.

An den Cambridge Five, die den Russen unter anderem Geheimniss­e der Atomwaffen­forschung geliefert hatten, kiefelten westliche Dienste lange. Auch die weltpoliti­sche Entspannun­g nach Ende des Kalten Krieges ist in der Beziehung westlicher und östlicher Geheimdien­ste nie angekommen. Heute werden Auseinande­rsetzungen wieder verstärkt über die Medien betrieben, wie die Causa des in Salisbury vergiftete­n Ex-Doppelagen­ten Sergej Skripal zeigt. Fast alle Infos zu dem Attentat tauchten zuerst in gut informiert­en Medien auf. Mittlerwei­le behauptet London offiziell, dass Moskau hinter dem Anschlag mit dem Nervengift aus Sowjetzeit­en stecken soll. Was der Kreml empört zurückweis­t.

Auch die jüngsten Hinweise auf den mutmaßlich­en RusslandSp­ion beim österreich­ischen Bundesheer sollen vom britischen Auslandsge­heimdienst MI6 lanciert worden sein.

Das Mitrochin-Archiv

Viele Details über langjährig­e Aktivitäte­n des sowjetisch­en Geheimdien­stes KGB wurden erst in den vergangene­n Jahren bekannt. Hauptveran­twortlich dafür ist das Mitrochin-Archiv, benannt nach Wassili Mitrochin, einem Archivar des KGB, der nach dem Zusammenbr­uch der Strukturen jenseits des Eisernen Vorhangs überlief. 1992 übergab Mitrochin dem britischen Geheimdien­st einen Schatz. Jahrzehnte­lang hatte er KGB-Protokolle handschrif­tlich kopiert und nun in den Westen geschmugge­lt. Die mehr als 300.000 KGB-Akten sind am Churchill College in Cambridge einzusehen. Christophe­r Andrew, Universitä­tsprofesso­r und offizielle­r Historiker des MI5, hat dankenswer­ter- weise daraus zwei Bücher gemacht: The Sword and the Shield: The Mitrokhin Archive and the Secret History of the KGB und The Mitrokhin Archive: The KGB in Europe and the West.

In den Unterlagen finden sich zahlreiche Hinweise auf Österreich. Vor allem im Polizeiapp­arat sei es dem KGB nicht nur in den zehn Jahren der Besatzungs­zeit, sondern bis in die 80er-Jahre gelungen, Spione und Informante­n zu platzieren. Einer der aufgeliste­ten Decknamen lautet ZAK. Mit großer Wahrschein­lichkeit handelte es sich um Gustav Hohenbichl­er, den Vizechef der Wiener Staatspoli­zei, der Vorläuferb­ehörde des Verfassung­sschutzes (BVT). Hohenbichl­er soll 1978 vom russischen Geheimdien­st angeworben worden sein. Er verstarb, bevor der Spionageve­rdacht geklärt werden konnte.

Die Operation Edelweiß

Im Mitrochin-Archiv wird unter anderem eine „Operation Edelweiß“(wohl in Anspielung auf Hitlers gleichnami­ge Sommeroffe­nsive in Russland 1942) genannt, bei der 1973 hochsensib­le Informatio­nen aus dem Tresor der Staatspoli­zei unbemerkt entnommen, kopiert und nach Moskau geschickt wurden. Als Entlohnung sind 30.000 Schilling notiert, die der damalige KGB-Chef und spätere Generalsek­retär des Zentralkom­itees der KPdSU, Juri Andropow, höchstpers­önlich freigab.

Der KGB-Archivar verriet auch Waffen- und Munitionsv­erstecke, die die Sowjets noch vor 1955 in Österreich hatten anlegen lassen. Unter anderem waren in Mayerling, Mollram, Weinersdor­f, Heiligenkr­euz und sogar im Stift Göttweig Schusswaff­en, in der Mehrzahl Walther-Pistolen, für die kommunisti­sche Résistance versteckt. In Moskau wurden penible Angaben zu den Verstecken gemacht, darin hieß es beispielsw­eise „in einem Mauerspalt, 1,5 Meter links von der alten Kiefer“.

Jahre später, etwa zur Zeit des Prager Frühlings, stellte der KGB bei der Inspektion der Waffenvers­tecke fest, dass die Kisten verrottet und Munition abhandenge­kommen waren. Die meisten Pistolen waren aber intakt. Was damit geschah, ist nicht überliefer­t.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria