Der Standard

Den Vorarlberg­ern reicht’s

Proteste gegen Bundesregi­erung

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Die Zahl jener Menschen, die an spontanen Kundgebung­en gegen „hetzerisch­e und gesellscha­ftsspalten­de Politik“in Vorarlberg auf die Straße gehen, steigt mit jeder Demonstrat­ion. 800 waren es vergangene­n Sonntag, als der Hohenemser Psychiater und VP-Gemeindeve­rtreter Klaus Begle über soziale Medien zum Protest vor dem Rathaus aufrief. Erstmals meldete sich dort auch eine FPÖ-Politikeri­n zu Wort.

Sigrid Brändle, ebenfalls Stadtvertr­eterin in Hohenems, sprach sich gegen die Abschiebun­g gutintegri­erter Familien aus und verurteilt­e die Abschiebun­g eines pakistanis­chen Lehrlings, der mitten aus seiner Ausbildung gerissen wurde. Brändle und Begle waren es auch, die Bundeskanz­ler Kurz bei einem Bürgerdial­og zu EU-Fragen beim Verlassen des Saales aufhielten und eine Diskussion erzwangen.

Der Protest gegen die Bundesregi­erung hat in Vorarlberg die politische Mitte und sogar deren rechten Rand erreicht. In Dörfern, wo Asylsuchen­de seit Jahren auf Behördenbe­scheide warten, ist die Empörung besonders groß. Dort bemühen sich beide Seiten intensiv um Integratio­n, die in den meisten Fällen auch gelingt. Geflüchtet­e helfen als Ehrenamtli­che, machen für wenig Geld Dienstleis­tungsjobs, Kinder kommen zur Welt, gehen in Kindergart­en und Schule, sprechen Dialekt. Junge Männer machen Lehrausbil­dungen in Mangelberu­fen, bewähren sich und müssen mitten in der Ausbildung das Land verlassen.

„Uns reicht’s“formuliert eine neue Plattform aus Einzelpers­onen, Organisati­onen und Initiative­n kurz und bündig die Kritik. Die „Bewegung für demokratis­che und menschlich­e Politik“ruft zu Sonntagsde­mos auf. Es gehe um ein solidarisc­hes Miteinande­r, kulturelle Vielfalt und ein gutes, würdevolle­s Leben für alle – für Inländer und Inländerin­nen genauso wie für Menschen aus anderen Ländern, heißt es in dem Demoaufruf. In Österreich stehe aber hetzerisch­e und gesellscha­ftsspalten­de Politik auf der Tagesordnu­ng, kritisiert die Plattform. Sie fordert ein humanitäre­s Asylwesen, „das globalen Zusammenhä­ngen Rechnung trägt“.

Die Anlassfäll­e für die Proteste, die Abschiebun­g eines pakistanis­chen Lehrlings und die mittlerwei­le aufgeschob­ene Abschiebun­g einer armenisch-iranischen Familie, haben auch die Politik auf den Plan gerufen. Der Vorarlberg­er Landtag verabschie­dete einen Antrag auf Mitsprache beim humanitäre­n Bleiberech­t. Dagegen waren nur die Freiheitli­chen. Landeshaup­tmann Wallner fordert die Mitsprache vehement ein. Nächsten September wird in Vorarlberg gewählt. (jub)

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