Vorwürfe gegen Polizei landen selten bei Gericht
Studie untersuchte rund 1500 Fälle von Anschuldigungen wegen Misshandlung
Wien – Wirft man der Polizei vor, misshandelt worden zu sein, ist es unwahrscheinlich, dass man später bei Gericht erscheinen muss. Denn in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle werden strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen beschuldigte Beamte eingestellt. Das zeigt eine Studie des an der Uni Wien angesiedelten Austrian Center for Law Enforcement Sciences (Ales).
Typischer Beschwerdeführer
Die Untersuchung wurde vom Justizministerium noch unter dem damaligen Minister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) in Auftrag gegeben. Es wurden insgesamt 772 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten aus Wien und Salzburg aus dem Zeitraum von 2012 bis 2015 analysiert. Diese beinhalteten rund 1500 Fälle. Das Ergebnis: In Salzburg wurden alle 233 Verfahren eingestellt, in Wien wurde in sieben Fällen Strafantrag an das Gericht erhoben, wobei es zu keiner Verurteilung kam. In zehn Prozent der Fälle wurde gegen die Beschwerdeführer ein Verfahren wegen Verleumdung eingeleitet. Ähnliches geht auch aus dem Sicherheitsbericht für das Jahr 2017 hervor, der bei bundesweit 509 bei der Staatsanwaltschaft angefangenen Fällen neun Anklagen ausweist.
Dass die Diskrepanz derart hoch ist, wird vonseiten der Justiz und der Exekutive oft als Beleg dafür verwendet, dass die Misshandlungsvorwürfe einer Grundlage entbehren. Menschenrechtler bewerten das mitunter anders, wie etwa das UN-Antifolterkomitee, das seine Besorgnis diesbezüglich etwa in einem Bericht 2015 festhielt. Experten – wie zuletzt Manfred Nowak, Leiter des LudwigBoltzmann-Instituts für Menschenrechte, im – fordern immer wieder, dass die Ermittlungen von einer unabhängigen Stelle geführt werden sollen.
Derzeit ermittelt in der Praxis in den meisten Fällen die Polizei selbst. Sie tut das zwar im Auftrag der Staatsanwaltschaft, die sich jederzeit einschalten kann. Doch die Studie zeigt, dass in zwei Drittel der Fälle die Staatsanwaltschaft vor ihrer Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens auf die Inanspruchnahme von ergänzenden Ermittlungsanordnungen an die Kriminalpolizei verzichtete.
Die Studienautoren erstellten für den Untersuchungszeitraum außerdem ein Profil eines typischen Beschwerdeführers, der männlich und zwischen 18 und 34 Jahre alt ist. Etwa die Hälfte verfügt über die österreichische Staatsbürgerschaft, 16 Prozent sind EU-Bürger, zehn Prozent afrikanische Staatsangehörige.
Hungerstreiks in Schubhaft
Öffentlich vieldiskutierte Fälle von Polizeigewalt waren etwa jene des Schubhäftlings Bakary J., der in einer Lagerhalle schwer misshandelt wurde, oder Marcus Omofuma, der bei einem Flug in Polizeigewahrsam starb.
Eine Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Liste Pilz lieferte Zahlen zum Ausmaß der Verzweiflung, die unter Schubhäftlingen herrschen dürfte: Seit 2013 wurden 3637 Hungerstreiks und 58 Suizidversuche dokumentiert. 18.033 Personen befanden sich in diesem Zeitraum insgesamt in Schubhaft.