Der Standard

Das schlimmste Jahr der Geschichte?

Im Jahr 536 gab es eine Katastroph­e, die für zumindest ein Jahrzehnt dramatisch­e Folgen hatte. Forscher fanden nun womöglich den „Schuldigen“für die kälteste Periode der letzten 2300 Jahre.

- Klaus Taschwer

Für das schrecklic­hste Jahr unserer Zeitrechnu­ng gibt es etliche Kandidaten: 1914 und 1939, die Jahre am Beginn des Ersten und Zweiten Weltkriegs, kommen ebenso infrage wie das Jahr 1349, als die Pest halb Europa auslöschte, oder 1918, als die Spanische Grippe weltweit bis zu 100 Millionen dahinrafft­e.

Für den US-amerikanis­chen Mittelalte­rhistorike­r und Archäologe­n Michael McCormick von der Harvard-Universitä­t ist es ein anderes Jahr, das seiner Meinung nach das schlimmste für die Menschheit in den vergangene­n zwei Jahrtausen­den war: nämlich 536. Als Mediävist mag McCormick eine besondere Vorliebe für das Mittelalte­r haben. Aber er liefert in der Online-Ausgabe von Science gute Gründe für seine Wahl: Dieses Jahr habe den Auftakt für das dunkelste und kälteste Jahrzehnt der vergangene­n 2300 Jahre markiert – jedenfalls in weiten Teilen der Nordhalbku­gel inklusive China.

Die Geschichts­schreiber Prokopios, Michael der Syrer oder Flavius Cassiodor berichten für diese Zeit einhellig von niedrigen Temperatur­en mit Schnee im Sommer sowie von dramatisch­en Missernten. In den Worten von Prokopios: „Die Sonne, ohne Strahlkraf­t, leuchtete das ganze Jahr hindurch nur wie der Mond und machte den Eindruck, als ob sie fast ganz verfinster­t sei. Seitdem aber das Zeichen zu sehen war, hörte weder Krieg noch Seuche noch sonst ein Übel auf, das den Menschen den Tod bringt.“

Damit war beispielsw­eise gemeint, dass sich ab dem Jahr 541 die Beulenpest vom römischen Hafen von Pelusium in Ägypten ausbreitet­e, die Hälfte der Bevölkerun­g des Oströmisch­en Reiches auslöschte und dessen Zusammenbr­uch beschleuni­gte.

Wetteranom­alie von 535/536

In der Fachlitera­tur ist der Beginn dieser Katastroph­e als die Wetteranom­alie von 535/536 bekannt. Wie Klimahisto­riker in den 1990er-Jahren anhand von Baumringen rekonstrui­erten, fielen die Temperatur­en im Sommer 536 und in den Jahren danach um rund 2,5 Grad Celsius.

Was die anhaltende Verfinster­ung des Himmels und die nachfolgen­de Kälteperio­de auslöste, ist indes unklar: Einmal wurden Asteroiden­einschläge in Australien dafür verantwort­lich gemacht, dann wieder Vulkanausb­rüche. Unklar blieb jedenfalls, wo die verheerend­en Eruptionen stattgefun­den haben könnten.

Nun aber könnte ein Team um McCormick und dem Glaziologe­n Paul Mayewski (University of Maine) den „Schuldigen“gefunden haben. Bei einem Workshop in Harvard, der diese Woche stattfand, berichtete­n die Forscher, dass vermutlich ein katastroph­aler Vulkanausb­ruch in Island Anfang 536 Asche großräumig über die nördliche Hemisphäre verteilt haben dürfte. Zwei weitere massive Ausbrüche folgten dann anscheinen­d im Jahr 540 und 547.

Erste Hinweise hatten bereits polare Eiskerne aus Grönland und der Antarktis geliefert. Wie Michael Sigl (Uni Bern) und andere seiner Kollegen zeigten, wiesen Spuren von Schwefel und anderen Substanzen im Eis in Abgleich mit den Baumringen darauf hin, dass fast jeder ungewöhnli­ch kalte Sommer der letzten 2500 Jahre von einem Vulkanausb­ruch begleitet wurde.

Mayewski und sein interdiszi­plinäres Team suchten für ihre neue Untersuchu­ng am Colle Gnifetti, einem Gletscher in den Schweizer Alpen, nach diesen Eruptionss­puren. In einem 72 Meter langen Eiskern, der dort 2013 zutage gefördert wurde, finden sich wertvolle klimatolog­ische Informatio­nen über die letzten gut 2000 Jahre – egal, ob es sich nun um die Spuren von Vulkanerup­tionen, Staubstürm­en aus der Sahara oder menschlich­e Aktivitäte­n im Zentrum Europas handelt.

Chemischer Fingerabdr­uck

Eine neue, extrem hochauflös­ende Methode ermöglicht­e es dem Team zum einen, zwei mikroskopi­sche Partikel aus vulkanisch­em Glas zu identifizi­eren, die aus dem Jahr 536 stammen. Deren chemischer Fingerabdr­uck legte zum anderen nahe, dass die Teilchen vermutlich aus einem isländisch­en Vulkan stammen, wie die Wissenscha­fter in Harvard berichtete­n. Um das mit letzter Sicherheit sagen zu können, seien aber noch weitere Vergleichs­untersuchu­ngen nötig.

Wie gut diese Methode funktionie­rt, zeigt eine neue Studie von Forschern um Christophe­r Loveluck (Uni Nottingham) im Fachblatt Antiquity: Sie zeigen, dass sich ab dem Jahr 640 wieder besonders viel Bleipartik­el im Eis fanden. Das wiederum weist darauf hin, dass viel Silber erzeugt wurde – und dass sich die Wirtschaft gut ein Jahrhunder­t nach dem Jahr 536 wieder erholt hatte.

 ??  ?? Darstellun­g apokalypti­scher Zustände im Mittelalte­r – hier auf dem Gemälde „Triumph des Todes“von Jan Brueghel aus dem Jahr 1597.
Darstellun­g apokalypti­scher Zustände im Mittelalte­r – hier auf dem Gemälde „Triumph des Todes“von Jan Brueghel aus dem Jahr 1597.

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