Halkyonische Tage
Beim Londoner Match ließen es Weltmeister Magnus Carlsen und Herausforderer Fabiano Caruana erwartungsgemäß vorsichtig angehen. Wir reisen deshalb von London über Montreux ins aufregende Khanty-Mansiysk.
Die Schachweltmeisterschaft beschert stille Tage. Das Match strahlt weit über den Kreis der Aficionados hinaus, und selbst Menschen, die sich ansonsten gar nicht für das Spiel interessieren, fragen nun höflich nach dem Stand und dem Verlauf. Wir antworten, dass der Weltmeister und sein Herausforderer wie Boxer in den ersten Runden vorsichtig agieren, allerdings habe Carlsen in der allerersten Partie eine Chance ausgelassen, die ... Schon versiegt das Interesse der in Wahrheit nicht ganz so Interessierten, der aufmerksame Blick weicht einem mitleidvollen. „Du hast ja jetzt wohl gar keine Zeit“, heißt es dann, und wir verneinen nicht. Da spätestens seit Stefan Zweigs Schachnovelle das königliche Spiel als Droge allgemein bekannt ist und wir seit vielen Jahren als Abhängige gelten, spricht man uns frei von allen Pflichten des Alltags. Lassen wir, liebe Schachspielerin, lieber Schachspieler, die Welt in diesem Glauben und feiern wir die Stille der Tage.
Einer der schönsten griechischen Mythen, der in vielen Varianten erzählt wird, handelt von dieser Stille. Halkyone, die Tochter des Aiolos, des Hüters der Winde, und ihr Mann Keyx, der Sohn des Morgensterns, wurden nach ihrem Tod in Eisvögel verwandelt. Sie fliegen und fliegen über das Meer, und jedes Jahr werden ihnen im Winter von Aiolos einige windstille, eben die halkyonischen Tage der Ruhe und Einkehr gewährt. Nützen wir also die Zeit. Während Carlsen in der ersten Partie seine Figuren in einem ungewinnbaren Endspiel stundenlang herumgondeln ließ und Caruana – Verlieren verboten! – in der nächsten Runde Figur auf Figur tauschte, bis sich nichts mehr regte, lohnt sich ein langer Spaziergang, etwa bei einer kurzen halkyonischen Reise nach Montreux am Genfer See. Natürlich verlieren wir dabei nicht das Brett, das die wirkliche Welt bedeutet, aus den Augen. Vom hektischen London wechseln wir dabei ins sibirische Khanty-Mansiysk, wo die allerbesten Großmeisterinnen um die Weltmeisterschaft der Frauen kämpfen. Der Modus der Frauen-WM ist martialisch: Gekämpft wird faktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Minimatches, nur zwei Partien in klassischer Bedenkzeit, bei Gleichstand Schnell- und Blitzpartien. Wer verliert, ist sofort draußen und muss die Heimreise antreten.
Nach Runde vier waren von den 64 Teilnehmerinnen nur noch acht übrig, allesamt aus dem Osten: Titelverteidigerin Ju Wenjun und Lei Tingjie aus China, Kateryna Lagno und Alexandra Kosteniuk aus Russland, die Kasachin Zhansaya Abdumalik, Gulrukhbegim Tokhirjonova aus Usbekistan und die Schwestern Anna und Mariya Muzychuk aus der Ukraine. Wie stark die Frauen spielen, zeigt die folgende brillante Angriffspartie von Anna Muzychuk gegen Antoaneta Stefanova aus Bulgarien. Stefanova – Anna Muzychuk Khanty-Mansiysk 2018
System.
Das Londoner
Weiß kann natürlich auch 8.Dxc3 spielen, wonach sich 8… 0–0 9.Sf3 dxc4 10.Dxc4 Sa5! mit Ausgleich ergeben kann.
Weiß muss die Stellung schließen, da dxc4 nebst b7-b5 droht. Auch vor 10... 0–0 11.Lg5 b5! braucht Schwarz sich nicht zu fürchten. Rückzug, denn nach 11.cxb6 axb6 12.Db4 Sh5 hat Weiß weniger als nichts.
So weit, so gut. Wie kann Schwarz die Unterentwicklung des weißen Königsflügels nützen?
Ein starker Vorstoß, der die weitere geordnete Entwicklung der weißen Figuren stört. Jetzt muss Weiß den Königsflügel öffnen, will sie nicht Material verlieren.
Auch diesen starken Springer muss Weiß früher oder später tauschen.
Obwohl 17… Lg6 natürlicher aussieht, ist das Bauernopfer unangenehmer, da Schwarz in den Besitz der b-Linie kommt. Ganz schlecht wäre 18.Txh5? Txh5 19.gxh5 g4. Die Befreiung, bevor Schwarz die Daumenschrauben anlegt. Nach 20... dxe4 21.Dxg5 Dxa3 22.Df4 Tb2 23.Th2 exf3 24.g4 ist alles unklar. Gibt den Bauern zurück, denn auch der schwarze König steht luftig.
Danach gerät Weiß in eine unrettbare Stellung. Antoaneta Stefanova sollte auf den Giftpilz g5 verzichten und ihre Stellung mit 23.De3! Kf7 24.g4 Da2 25.f4! gxf4 26.De5 sichern. Drohung und Gegendrohung halten sich dann die Waage.
Die Überraschung! Die weiße Dame wird von der Deckung des Tc1 abgelenkt. Noch ein Versuch die Kastanien aus dem Feuer zu holen. 24.Dxg2? Dxc1+ 25.Kf2 Dd2+ 26.Kg3 Tg8+ geht gar nicht.
Jetzt gehen Weiß die Züge aus, da der schwarze König das Idealfeld h7 erreicht, wo er vor allen Nachstellungen sicher ist.
Tödlicher Zugzwang! Wenn 28.Kd1, so 28... Thg8 29.Sh3 Te2 30.Sg5+ Txg5 31.Dxg5 Db3+ 32.Tc2 Dxc2 matt.
Und 0-1 wegen 29.Kd1 Df1 matt. Tb14. beliebigS/ Sc73. Sb7 Ka72. Sc5+ 1... a8S!!1. Vorwoche):( 2866 ösungen:L