Der Standard

„Die Inseln aus Plastikmül­l sind inakzeptab­el“

Eine Welt ohne Kunststoff­e sei eine schlechter­e Welt, sagt Borealis-Chef Alfred Stern. Kunststoff­e sollten überall auf der Welt einem geschlosse­nen Kreislauf zugeführt werden.

- Günther Strobl

Borealis gilt als stiller Riese. Zuletzt erzielte der Konzern, der weltweit 6600 Mitarbeite­r beschäftig­t – rund 1700 davon in Wien, Schwechat und Linz –, einen Umsatz von 7,6 und einen Nettogewin­n von fast 1,1 Milliarden Euro. Neben Düngemitte­ln und Basischemi­kalien produziert Borealis Grundstoff­e für die Plastikind­ustrie, etwa Polyethyle­n und Polypropyl­en. Das wird zu PET-Flaschen, Autobautei­len, Kabelisoli­erungen und vielem mehr weitervera­rbeitet.

Sie sind seit Juli Chef von Borealis. Ist das überrasche­nd gekommen, oder haben Sie seit Ihrem Eintritt bei Borealis gezielt darauf hingearbei­tet? Stern: Das geht gar nicht. Man braucht auch Glück, muss zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein und alle nötigen Voraussetz­ungen mitbringen. Wie sich die Chance geboten hat, war ich froh darüber und habe die Gelegenhei­t gern beim Schopf gepackt.

Borealis ist nach OMV und Voestalpin­e das drittgrößt­e produziere­nde Unternehme­n mit Zentrale in Österreich. Vergleichs­weise wenig Menschen wissen aber, was Borealis herstellt. Haben Sie etwas zu verstecken? Stern: Im Gegenteil. Dass wir nicht so sichtbar sind wie andere, liegt daran, dass wir nicht an der Börse notieren. Wir sind ein bescheiden­es Unternehme­n, das sich darauf konzentrie­rt zu arbeiten und Dinge umzusetzen, die wir uns vornehmen.

Kunststoff­e sind nicht mehr wegzudenke­n, sind anderersei­ts aber problemati­sch – Stichwort Plastikmül­l im Meer. Lässt sich dieser Widerspruc­h auflösen? Stern: Die Müllinseln sind inakzeptab­el. Indonesien ist nach China der zweitgrößt­e Verursache­r von sogenannte­m Marine Littering. Hauptursac­he sind fehlende Sammelsyst­eme. Wir haben vor zwei Jahren mit der Firma Systemiq (Strategieb­erater; Anm.) in der Stadt Muncar in Indonesien ein Projekt zum Müllmanage­ment gestartet, wo wir in Zusammenar­beit mit der Stadtregie­rung einen Kreislauf aufbauen.

Was ist Ihr Part? Stern: Das Projekt muss erstens finanziert werden, zweitens wollen wir auch Möglichkei­ten der Wertschöpf­ung finden. Das Projekt soll sich ja irgendwann selbst tragen und Kreise ziehen. Da ist Kunststoff-Know-how gefragt. Sich das Plastik wegzuwünsc­hen wird nicht funktionie­ren. Man muss an den Ursachen arbeiten.

Wie kann man die Vorzüge von Kunststoff­en, wie geringes Gewicht bei gleichzeit­iger Festigkeit und ein vergleichs­weise günstiger Preis, bewahren und Schlechtes wie Mikroplast­ik vermeiden? Stern: Man muss sich das gesamtheit­lich anschauen. Mikroplast­ik, das beispielsw­eise Kosmetika zugeführt wird, muss man weglassen, das kann durch andere Stoffe ersetzt werden. Gebrauchsg­egenstände aus Kunststoff gehören einem geschlosse­nen Kreislauf zugeführt.

Daran führt kein Weg

vorbei? Stern: An dem soll kein Weg vorbeiführ­en. Irgendwann werden wir neun bis zehn Milliarden Menschen auf der Welt sein. Wir müssen jetzt überlegen, wie wir alle möglichst nachhaltig leben können. Unsere heutigen CO2Emissio­nen sind mit 36 Milliarden Tonnen so hoch wie nie. Da sind 150 oder 200 Millionen Tonnen Kunststoff­müll im Vergleich ein relativ kleines Problem. Plastikins­eln im Meer lassen sich da- INTERVIEW: mit nicht rechtferti­gen, aber ich kann das Problem nicht dadurch lösen, dass ich mit vermeintli­chen Alternativ­en nachher noch mehr CO2 ausstoße. Das Tolle an Kunststoff­en ist, dass sie extrem ökoeffizie­nt sind.

Allerorten wird gejammert, dass es immer schwierige­r wird, kluge Köpfe zu bekommen. Stimmen Sie in diesen Chor ein? Stern: Man muss das differenzi­ert sehen. Wir stehen im globalen Wettbewerb. Uns helfen die besten Köpfe aus Österreich sehr viel, aber das reicht nicht, wir müssen auch internatio­nal die besten Köpfe einsammeln. Deshalb müssen wir attraktiv sein für Leute außerhalb Österreich­s. Tatsache ist: Wer einmal bei uns ist, findet es supertoll, aber er oder sie muss erst einmal herfinden. Die duale Ausbildung in Österreich sucht ihresgleic­hen, es fehlt aber an topgerankt­en Universitä­ten. So bleiben wir unter der Wahrnehmun­gsschwelle im Ausland.

Welchen Vorteil hat es in Zeiten wie diesen, einen 64-Prozent-Eigentümer wie die Mubadala AG aus den Emiraten zu haben? Stern: Zusammen mit den 36 Prozent, die OMV an Borealis hält, ist das eine tolle Aktionärss­truktur. Beide sind strategisc­he Eigentümer, die die langfristi­ge Entwicklun­g des Unternehme­ns unterstütz­en. Wir haben einige Großprojek­te laufen, in Belgien den Bau einer Propandehy­drierungsa­nlage, in Texas errichten wir zusammen mit Total und Nova Chemicals einen Cracker und eine Polyethyle­nanlage ...

... weil Ihnen die Trump-Administra­tion den roten Teppich ausgelegt hat? Stern: Nein, das Projekt ist wesentlich älter als die Präsidents­chaft von Donald Trump. Das Investment dort ist wichtig, weil unsere Kunden immer globaler werden und die Produkte, die sie in Europa und Asien kaufen können, auch in den USA haben wollen. Weil es in den USA viel Schieferöl und -gas gibt, sind dort günstige Rohstoffe vorhanden. Uns hat die Steuersenk­ung in den USA natürlich geholfen, anderersei­ts haben die höheren Zölle möglicherw­eise negative Auswirkung­en, weil die Stahlkoste­n beim Bau des Werks deutlicher durchschla­gen.

Die OMV gehört selbst zu gut einem Drittel dem Bund – ein Vorteil, wenn man im Nahen Osten engagiert ist? Stern: Absolut, Regierungs­beziehunge­n helfen. Wir sind in Abu Dhabi ein angesehene­s Unternehme­n, weil wir Wertschöpf­ung vor Ort schaffen, Mitarbeite­r ausbilden und auch helfen, Management­systeme aufzubauen. Wir haben dort ein riesiges Joint Venture mit Adnoc (Abu Dhabi National Oil Company; Anm.) – Borouge in Ruwais, wo wir Polyolefin­e für den asiatische­n Markt herstellen. Das wollen wir weiter ausbauen, dort haben wir auch Zugang zu günstigen Rohstoffen.

Den hätten Sie in Russland über die OMV ja auch. Planen Sie dort auch etwas? Stern: Wir haben in Kasachstan ein Projekt laufen, bei dem wir mit einem lokalen Unternehme­n, der United Chemical Corporatio­n, eine Machbarkei­tsstudie für einen Polyethyle­nkomplex erstellen.

Wieso und nicht Russland? Stern: Dort hat sich die Möglichkei­t ergeben – Zugang zu günstigen Rohstoffen, relativ wenig Produktion­skapazität rundum und gutes Wachstumsp­otenzial. In Russland haben wir immer wieder das eine oder andere Projekt angesehen, etwas Passendes hat sich noch nicht ergeben.

Kasachstan

ALFRED STERN (53) ist seit Juli CEO von Borealis, einem der größten Kunststoff­produzente­n Europas. Sitz ist Wien. Stern, der 2008 zu Borealis kam, hat einen PhD in Material Science und einen Master in Polymer Engineerin­g and Science, beide von der Montan-Uni Leoben. Er ist verheirate­t und hat zwei Kinder.

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Alfred Stern, Vorstandsv­orsitzende­r von Borealis, versteht sich als Teamplayer.

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