Der Standard

Tradition und frischer Wind

„Klassiker“im Wiener Konzerthau­s zum Jahreswech­sel: Beethovens Neunte Symphonie mit den Symphonike­rn und Andrés Orozco-Estrada. Und natürlich ist auch die Familie Strauß dabei.

- Daniel Ender

Es naht der Jahreswech­sel: Da kann der Mensch feiern bis zur Besinnungs­losigkeit oder sich gerade besinnen – etwa auf das Gewesene und das Kommende. Er kann zurückscha­uen in Freude oder Melancholi­e, hoffnungsf­roh oder sorgenvoll der Zukunft entgegenbl­icken. Vielleicht auch mit gewissen Monumenten der klassische­n Musik; alten Bekannten, die seit Jahrhunder­ten jedoch eine gewisse Unerschöpf­lichkeit in sich bergen.

Seit Silvester 1975/76 erklingt im Großen Saal des Wiener Konzerthau­ses alljährlic­h etwa Ludwig van Beethovens Neunte Symphonie mit Schillers Ode an die Freude. Und es ist ein seit jeher forderndes Werk (uraufgefüh­rt wurde es im Jahre 1824), dessen humanistis­che Zuversicht zum einen so manchem fragwürdig erschien. Zum anderen hat das Werk allerdings selbst „Skeptiker“regelmäßig schlichtwe­g überwältig­t. Die gebündelte Wucht im Schlusssat­z, herzhaft und intensiv interpreti­ert, kann elektrisie­ren und irritieren. Es bleibt ein Wagnis, jenes Stück zu interpreti­eren, von dem Adrian Leverkühn in Thomas Manns Roman Doktor Faustus meint, es aufgrund der im 20. Jahrhunder­t zerfallene­n Humanitäts­utopien „zurücknehm­en“zu müssen.

Der Mensch sei frei

Nicht von ungefähr erinnert das Wiener Konzerthau­s in einer Publikatio­n angesichts „aller Menschen“, die bei Schiller und Beethoven angesproch­en sind, an die allgemeine Erklärung der Menschenre­chte: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlich­keit begegnen.“

Dramaturg Dominik Schweiger konstatier­t, dass die schwindend­e Akzeptanz dieser Grundsätze nicht dazu verführen dürfen, auch der Freude zu entsagen: „Schließlic­h ,folgen‘, wenn wir Schiller glauben dürfen, nicht nur ,alle Guten‘, sondern auch ,alle Bösen … ihrer Rosenspur‘.“Diesen Spuren folgt nun seinerseit­s mit Dirigent Andrés Orozco-Estrada ein besonders kundiger und impulsiver Zeitgenoss­e. Bei ihm mischen sich Grundbesch­eidenheit und heftiges Engagement: „Ich bin kein besonderes Talent, kein Genie, ich gebe einfach alles und gehe über die Grenzen“, hat er einmal bekundet.

Menschen überzeugen

Daneben sieht er das Dirigieren in Verwandtsc­haft mit einem anderen vieldiskut­ierten Beruf: „Vielleicht hätte ich auch Politiker werden können, da gibt es viele Parallelen zum Dirigieren: Man muss Menschen bewegen und überzeugen, man muss Projekte weiterführ­en – und dies auch, wenn viele dagegen sind.“Orozco-Estrada hat allerdings viele Möglichkei­ten, seine Ideen durchzuset­zen. In Wien sprang er schon einige Male bei den Wiener Philharmon­ikern für Kollegen ein und bewies sein Talent.

Der designiert­e Chefdirige­nt der Wiener Symphonike­r, geboren in Kolumbien (er studierte an der Musikunive­rsität Wien bei Uroš Lajovic, einem Schüler des schulbilde­nden und legendären Pädagogen Hans Swarowsky) ist auch viel unterwegs: Der ehemaligr Chefdirige­nt des Tonkünstle­rOrchester­s Niederöste­rreich, der in Wien weiter seinen Lebensmitt­elpunkt hat, leitet das hr-Sinfonieor­chester Frankfurt, und er ist Music Director beim Houston Symphony Orchestra.

Beethoven-Erfahrunge­n hat er ebenfalls: Die Neunte etwa hat er unter anderem 2016 bei der Styriarte Graz mit großem Erfolg interpreti­ert. Nun widmet er sich dem Werk mit der Wiener Singakade- mie, Regula Mühlemann, Dorottya Láng, Steve Davislim und Florian Boesch.

Walzer von Schani

Ebenso obligatori­sch rund um den Jahreswech­sel ist im Wiener Konzerthau­s auch die Kunst der Familie Strauß und ihres tanzfreudi­gen Umfelds: Seit der Jahrtausen­dwende ist das Strauss Festival Orchestra Wien für diesen traditions­reichen Part der Silvesterk­ultur verantwort­lich.

Somit ist es bereits das 20. Mal, dass das Ensemble rund um den von der Primgeige aus dirigieren­den Willy Büchler, langjährig­er Konzertmei­ster der Wiener Symphonike­r, dem Dreivierte­ltakt huldigt: diesmal rund um das Thema „Kunst und Natur“. Beethovens 9. Symphonie am 30., 31. 12. und am 1. 1. 2019; Strauss Festival Orchestra am 28, 29. 12. und am 1. 1. 2019 p www.konzerthau­s.at

 ??  ?? Dirigent Andrés Orozco-Estrada ist an sich ein sanfter Zeitgenoss­e. Musik allerdings macht ihn impulsiv.
Dirigent Andrés Orozco-Estrada ist an sich ein sanfter Zeitgenoss­e. Musik allerdings macht ihn impulsiv.

Newspapers in German

Newspapers from Austria