Tradition und frischer Wind
„Klassiker“im Wiener Konzerthaus zum Jahreswechsel: Beethovens Neunte Symphonie mit den Symphonikern und Andrés Orozco-Estrada. Und natürlich ist auch die Familie Strauß dabei.
Es naht der Jahreswechsel: Da kann der Mensch feiern bis zur Besinnungslosigkeit oder sich gerade besinnen – etwa auf das Gewesene und das Kommende. Er kann zurückschauen in Freude oder Melancholie, hoffnungsfroh oder sorgenvoll der Zukunft entgegenblicken. Vielleicht auch mit gewissen Monumenten der klassischen Musik; alten Bekannten, die seit Jahrhunderten jedoch eine gewisse Unerschöpflichkeit in sich bergen.
Seit Silvester 1975/76 erklingt im Großen Saal des Wiener Konzerthauses alljährlich etwa Ludwig van Beethovens Neunte Symphonie mit Schillers Ode an die Freude. Und es ist ein seit jeher forderndes Werk (uraufgeführt wurde es im Jahre 1824), dessen humanistische Zuversicht zum einen so manchem fragwürdig erschien. Zum anderen hat das Werk allerdings selbst „Skeptiker“regelmäßig schlichtweg überwältigt. Die gebündelte Wucht im Schlusssatz, herzhaft und intensiv interpretiert, kann elektrisieren und irritieren. Es bleibt ein Wagnis, jenes Stück zu interpretieren, von dem Adrian Leverkühn in Thomas Manns Roman Doktor Faustus meint, es aufgrund der im 20. Jahrhundert zerfallenen Humanitätsutopien „zurücknehmen“zu müssen.
Der Mensch sei frei
Nicht von ungefähr erinnert das Wiener Konzerthaus in einer Publikation angesichts „aller Menschen“, die bei Schiller und Beethoven angesprochen sind, an die allgemeine Erklärung der Menschenrechte: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“
Dramaturg Dominik Schweiger konstatiert, dass die schwindende Akzeptanz dieser Grundsätze nicht dazu verführen dürfen, auch der Freude zu entsagen: „Schließlich ,folgen‘, wenn wir Schiller glauben dürfen, nicht nur ,alle Guten‘, sondern auch ,alle Bösen … ihrer Rosenspur‘.“Diesen Spuren folgt nun seinerseits mit Dirigent Andrés Orozco-Estrada ein besonders kundiger und impulsiver Zeitgenosse. Bei ihm mischen sich Grundbescheidenheit und heftiges Engagement: „Ich bin kein besonderes Talent, kein Genie, ich gebe einfach alles und gehe über die Grenzen“, hat er einmal bekundet.
Menschen überzeugen
Daneben sieht er das Dirigieren in Verwandtschaft mit einem anderen vieldiskutierten Beruf: „Vielleicht hätte ich auch Politiker werden können, da gibt es viele Parallelen zum Dirigieren: Man muss Menschen bewegen und überzeugen, man muss Projekte weiterführen – und dies auch, wenn viele dagegen sind.“Orozco-Estrada hat allerdings viele Möglichkeiten, seine Ideen durchzusetzen. In Wien sprang er schon einige Male bei den Wiener Philharmonikern für Kollegen ein und bewies sein Talent.
Der designierte Chefdirigent der Wiener Symphoniker, geboren in Kolumbien (er studierte an der Musikuniversität Wien bei Uroš Lajovic, einem Schüler des schulbildenden und legendären Pädagogen Hans Swarowsky) ist auch viel unterwegs: Der ehemaligr Chefdirigent des TonkünstlerOrchesters Niederösterreich, der in Wien weiter seinen Lebensmittelpunkt hat, leitet das hr-Sinfonieorchester Frankfurt, und er ist Music Director beim Houston Symphony Orchestra.
Beethoven-Erfahrungen hat er ebenfalls: Die Neunte etwa hat er unter anderem 2016 bei der Styriarte Graz mit großem Erfolg interpretiert. Nun widmet er sich dem Werk mit der Wiener Singakade- mie, Regula Mühlemann, Dorottya Láng, Steve Davislim und Florian Boesch.
Walzer von Schani
Ebenso obligatorisch rund um den Jahreswechsel ist im Wiener Konzerthaus auch die Kunst der Familie Strauß und ihres tanzfreudigen Umfelds: Seit der Jahrtausendwende ist das Strauss Festival Orchestra Wien für diesen traditionsreichen Part der Silvesterkultur verantwortlich.
Somit ist es bereits das 20. Mal, dass das Ensemble rund um den von der Primgeige aus dirigierenden Willy Büchler, langjähriger Konzertmeister der Wiener Symphoniker, dem Dreivierteltakt huldigt: diesmal rund um das Thema „Kunst und Natur“. Beethovens 9. Symphonie am 30., 31. 12. und am 1. 1. 2019; Strauss Festival Orchestra am 28, 29. 12. und am 1. 1. 2019 p www.konzerthaus.at