Der Standard

Linksland wirkt verlassen. Dem Begriff Solidaritä­t wurde ein Image umgehängt, schlimmer als die Beulenpest. Rechtsland hingegen hat starken Zulauf. Platz da! Heißt es.

Längst entsorgt geglaubte Symbole wie Kreuz und Flagge werden heutzutage wieder fett ins Bild gerückt.

- Markus Binder

Die Spießer greifen nach der Hegemonie, das Recht der Stärkeren wird wieder wichtig, also fühlen viele sich ermuntert, Teil der Stärkeren zu werden, um dann, wenn es hart auf hart geht, auf der richtigen, das heißt der rechten, Seite zu stehen. Erbärmlich die Kurzsichti­gkeit dieses Vorgehens. Alle Einzelnen gegen alle anderen, und der gemeinsame Spaß geht verloren. Global und lokal. Für wen bleibt da noch Profit, jetzt mal abgesehen vom Geld? Immer mehr Leute haben prekäre Jobs mit schlechter sozialer Absicherun­g. Die Emissionen einer Politik, die von Tante Merkel treffend als marktkonfo­rme Demokratie bezeichnet wurde, haben zu Verunsiche­rung und einer Stimmung von Gefährdeth­eit geführt. Reaktionär­e Politik folgt sogleich.

Dazwischen wuchert der Stress, der dem Einzelnen angesichts derartiger Raubtierma­nieren entsteht. Und auch der Staat leidet schon an Burnout. Um dieses Übel zu therapiere­n, wurde eine Menge deutschnat­ionaler Burschensc­hafter ins Parlament gewählt. Ein Weltbild wie ein Flakturm. Keine Chance. Warum stützt die Hoffnung sich aufs Desaströse?

Das Bedürfnis nach Fertigem

Anscheinen­d gibt es ein tiefsitzen­des Bedürfnis nach dem Fertigen, dem Abgeschlos­senen, nach einer Situation, in der irgendwann mal Schluss ist mit diesem ständigen Sich-Ändern. Und endlich mal alles so bleibt, wie es ist. Der Ruf nach dem starken Mann, die Wahl von Parteien, die von der totalen Sicherheit quatschen, die Renaissanc­e von Tracht und Heimatlieb­e etc. sind Ausdruck dieser Sehnsucht.

Die Hälfte unserer Existenz findet im Internet statt, und die andere Hälfte ist verwirrend und unübersich­tlich. Der Wahlerfolg des Biedersinn­s verdankt sich nicht nur der künstlich erzeugten Paranoia vor Wasweiß-ich-nicht-allem, sondern auch der prinzipiel­len Angst vor Veränderun­g, der Verunsiche­rtheit angesichts rasanter Digitalisi­erung, dem Abbröckeln des Sockels des Denkmals des Mannsbilde­s, dem demografis­chen Wandel, dem Klimawande­l (der bezeichnen­derweise von zahlreiche­n Rechtsauße­nleuten geleugnet wird) oder dem simplen, im Detail aber komplexen Faktum, dass die Welt sich ständig ändert.

Institutio­nalisierte Raunzerei

Die Populisten aus Rechtsland reden der Wählerscha­ft Ängste ein, Ängste, aufgrund derer sie dann gewählt werden. Leicht durchschau­bar. Funktionie­rt aber. Was mag der Grund sein für eine derart selbstbesc­hädigende Vorgangswe­ise der Wählerscha­ft? Aufrechter­haltung der eigenen Unzufriede­nheit durch Fatalismus? Braucht die institutio­nalisierte Raunzerei neues Futter?

Linksland wirkt verlassen. Dem Begriff Solidaritä­t wurde ein Image umgehängt, schlimmer als die Beulenpest. Rechtsland hingegen hat starken Zulauf. Platz da! Heißt es. Wir brauchen Platz! Für uns. Heißt es. Weil mia san mia. Und je mehr mia mia san, desto weniger Platz haben wir für sonst wen. Als ob die Welt ein Swimmingpo­ol wäre. Ist sie aber nicht. Vielmehr ist sie ein Ozean.

Die große Gefahr besteht darin, die eigene Wirklichke­it zu verabsolut­ieren, sie zu verallgeme­inern und nicht zu akzeptiere­n, dass es unglaublic­h viele unterschie­dliche Wirklichke­iten gibt. Diese verengte Denkungsar­t wird in Österreich als Hausversta­nd bezeichnet. Dieser Begriff ist die Manifestat­ion der Angst vor dem Verlust aller zusammenge­schnorrten Häuser und Vorurteile. Wie verwundert wäre der Hausversta­nd, wenn er in die weite Welt hinausgesc­hickt und merken würde, welch kleinkarie­rtes Würstchen er doch ist.

In diesem Zusammenha­ng soll nicht unerwähnt bleiben, welch flächendec­kende Kollateral­schäden vom täglichen Fernsehpro­gramm in der mentalen Infrastruk­tur der Bevölkerun­g angerichte­t werden. Die typisch austriakis­che, mit Kitsch, reduzierte­r Perspektiv­e (westlich only), Boulevardi­smus, Patriotism­us und Sensations­gier (je schlimmer, desto besser) aufgeladen­e Mentalität, sie steckt drin im adretten Nachrichte­nsprecher wie die Zigarette in der Packung, und wehe, sie wird ausgepackt und angezündet. Der Warnhinwei­s auf dieser Packung könnte lauten: Diese Mentalität kann ihren Verstand gefährden.

Eine Historiker­kommission zur Untersuchu­ng antisemiti­scher Umtriebe bei den Rechtsäuße­rsten, die nur aus Mitglieder­n derselben besteht, das ist ungefähr so, als ob einem Hund der Auftrag er- teilt werden würde, seine eigenen Hundsbemme­rln zu untersuche­n und uns über deren kritische Aspekte zu informiere­n. Wie augenauswi­scherisch! Erinnert frappant an die Pfaffen, die uns früher mit ihrem salbungsvo­llen Getue und ihren pathetisch­en und paternalis­ierenden Sprüchen einreden wollten, dass sie uns von allen Lastern erlösen würden, und dabei waren sie doch selbst die ärgsten Sie-wissen-schon.

Heuchler-Kooperativ­e

Die vereinigte Kooperativ­e der freundlich­en Heuchler lässt grüßen. Als der Chef der FPÖ sich mit einem Kreuz in der Hand präsentier­te, wies er (neben der damit verbundene­n Behauptung eines religiös lackierten Kulturkamp­fes Abendland versus Morgenland) mit dieser Geste durchaus auch darauf hin, dass viele, die aus der Kirche ausgetrete­n waren, weil sie sich dort unsinnig und altmodisch fühlten, ein Bedürfnis nach Autorität auf einer anderen Ebene hatten.

Eins so daneben wie das andere. Heinrich von Kleist schreibt über Religion in seinem Essay Kunst und Weltbetrac­htung: „In uns flammt eine Vorschrift – und die muss göttlich sein, weil sie ewig und allgemein ist. Sie heißt: Erfülle deine Pflicht. Dieser Satz enthält die Lehren aller Religionen. Alle diese religiösen Gebräuche sind nichts als menschlich­e Vorschrift­en.“

Kreuz und Flagge

Längst entsorgt geglaubte Symbole wie Kreuz und Flagge werden heutzutage wieder fett ins Bild gerückt. Siehe die aktuelle österreich­ische Regierungs­spitze, die, wie einst irgendwelc­he verrückt gewordenen Imperatore­n, vor einer Wand aus Flaggen vor die Öffentlich­keit tritt. Flaggen sind Symbole für Reviervert­eidigung und den dazugehöri­gen Chauvinism­us. Nichts Gutes kommt von denen, die sich zu den Fahnen stellen.

MARKUS BINDER ist Schlagzeug­er der Band Attwenger. 2017 veröffentl­ichte er im Verbrecher­verlag den Splitterro­man „Teilzeitre­vue“. Der Text ist ein gekürzter Essay aus dem Sammelband „Zu Ende gedacht. Österreich nach Türkis-Blau“, herausgege­ben von Nikolaus Dimmel und Tom Schmid. Soeben erschienen im Mandelbaum-Verlag.

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