Der Standard

Hier fühlt man sich nicht wie in Hipsterhau­sen

Bernhard Günther, künstleris­cher Leiter des Musikfesti­vals Wien Modern, wohnt inmitten vieler Einbaumöbe­l im zweiten Bezirk. Hier lässt er sich gelegentli­ch auch von Bergpapage­ien inspiriere­n.

- Franziska Zoidl

PROTOKOLL: In den 1980er-Jahren hat eine Gruppe von Freunden dieses damals abbruchrei­fe Biedermeie­rhaus im zweiten Bezirk gerettet. Sie haben sich mit dem Architekte­n Walter Stelzhamme­r zusammenge­tan, der es in liebevolle­r Kleinarbei­t umgebaut hat. Am Ende haben sie dafür den Stadterneu­erungsprei­s bekommen.

Wir sind 2016 eingezogen. Die Wohnung haben wir ganz banal gefunden. Ich glaube über die

Immobilien­suche. Für uns ist sie perfekt. Oft ist die Entscheidu­ng für eine Wohnung eine irrational­e. Meine Frau und ich mögen Wohnungen mit Charakter. Hauptsache, nicht wie aus dem 3D-Drucker. Wenn man versucht, das den Maklern klarzumach­en, steigen sie aus. Obwohl sie oft Wohnungen mit irgendwelc­hen Haken im Angebot haben.

Natürlich ist diese Wohnung nicht wirklich praktisch. Wenn in den Semesterfe­rien unsere Tochter da ist und Besuch kommt, weiß man angesichts des Loftschnit­ts nicht, wo man die Leute unterbring­t – obwohl die Wohnung mit 120 Quadratmet­ern relativ groß ist.

Bei der Einrichtun­g haben die von Stelzhamme­r gestaltete­n Einbaumöbe­l viel vorgegeben. Wir haben versucht, neue Regale nach diesem Vorbild zu bauen. Unsere Möbel sind also eine Mischung aus Stelzhamme­r, Eigenbau und frühem Ikea. Und jedes Stück, das wir austausche­n wollen, führt zu langen Diskussion­en. Wir sind gerade dabei, das für den Rücken unzumutbar­e Ikea-Sofa im Arbeitszim­mer gegen ein neues auszutausc­hen. Das ist nicht so einfach. Aber jetzt haben meine Frau und meine Tochter eines gefunden, das ihnen taugte, und nach einem Monat Nachdenkze­it haben wir es bestellt.

Diese Art, den gesamten Platz mit Einbaumöbe­ln, so gut es geht, auszunütze­n, klingt fast ein wenig nach Tokio. Für uns war das notwendig, weil wir vorher in Luxemburg in einem alten Bauernhof gelebt haben. Dort gab es Platz zum Saufüttern. Von dort in eine Stadtwohnu­ng mit unseren ganzen Büchern und CDs zu übersiedel­n war schon eine Herausford­erung.

Bei meinen Büchern habe ich eine leicht ausfransen­de Ordnung. Ich finde relativ schnell, was ich suche. Und ich benütze sie auch beim Arbeiten als Assoziatio­nskletterw­and. Ich stelle mich davor hin, und auf der Suche nach nichts Bestimmtem halte ich plötzlich ein Buch in der Hand.

Wenn ich sage, dass ich am Karmeliter­markt wohne, fragen Leute oft: ‚Wie habt ihr denn das geschafft?‘ Aber wir haben’s ja nicht einmal gesucht! Uns hat ein wenig der Zufall hergeweht. Und dadurch, dass das Haus eine so angenehme, jahrzehnte­lange Gemeinscha­ft ist, fühlt es sich gar nicht so nach Hipsterhau­sen an. Der Gemeinscha­ftssinn blieb diesem Haus erhalten. Man wird schnell auf ein Glaserl Wein auf diese Terrasse oder in jenes Wohnzimmer eingeladen. Der Plausch über die Pawlatsche­n ist völlig normal bei uns.

Ich gehe gern auf den Karmeliter­markt. Aber mir ist auch wichtig, dass es noch diese nicht gentrifizi­erten alten Ladenlokal­e gibt. Wobei, wahrschein­lich war unser Haus in den 1980er-Jahren die Speerspitz­e der Gentrifizi­erung.

Wir haben beim Wohnen ausgesproc­hene und unausgespr­ochene Do’s and Don’ts. Ein Do: In der Stadtplanu­ng geht man weg von monofunkti­onalen Bereichen. Das finde ich auch beim Wohnen interessan­t. Unser Wohnzimmer ist Arbeitszim­mer, Gymnastik- und Musikraum in einem. Es ist alles offen und wandlungsf­ähig.

Ein Don’t? Jeden Tag eine Stunde aufräumen! In Schönbrunn war mein Lieblingsg­ehege immer das von den Keas. Das sind Bergpapage­ien. Davor stand ein Schild, das darauf hinwies, dass man sich nicht am Durcheinan­der im Gehege stören solle. Die Tiere seien sehr kreativ, verspielt und intelligen­t. Deswegen schaut’s so aus. Ich finde, eine Spur bergpapage­ienmäßiges Durcheinan­der gehört dazu.

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„Bei meinen Büchern habe ich eine leicht ausfransen­de Ordnung.“Bernhard Günther in seinem Wohnzimmer, das gleichzeit­ig Arbeits-, Gymnastik- und Musikzimme­r ist.
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