Der Standard

Was kann er, was Österreich­s Grüne nicht können?

Robert Habeck, dem Chef der deutschen Grünen, wird ein Gutteil des momentanen Höhenflugs der Ökopartei zugeschrie­ben. Was Österreich­s Grüne von ihm lernen könnten – und was nicht.

- PORTRÄT: Birgit Baumann

Komm mal mit“, sagt Robert Habeck. Er streckt seine Hand aus, will Annalena Baerbock in einer Halle der Leipziger Messe auf die Bühne ziehen. Unten toben die Delegierte­n, sie klatschen und jubeln ihm zu. Eben hat er auf dem Parteitag seine Rede gehalten. Pult brauchte er keines, er sprach frei und ging gestikulie­rend auf der Bühne herum.

Baerbock, die Co-Chefin der deutschen Grünen, aber erklärt Habeck, er solle da jetzt vor der Wand, auf der nichts Geringeres als die Erde von oben zu sehen ist, stehenblei­ben. So möchte es die Parteitags­regie. „Aber ich will hier nicht alleine stehen“, ruft Habeck. Also stellt sich Baerbock doch zu ihm, auch Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner schließt auf. Habeck schaut zufrieden.

Es gibt oft Szenen wie diese in seinem Leben. Immer wieder betont er, dass die Brandenbur­gerin Baerbock und er sich den Vorsitz der Grünen-Partei ja teilen. Aber alle rufen ständig nach Habeck.

In Leipzig – vor ein paar Tagen – bittet ihn ein TV-Sender nach dem anderen zum Interview. Baerbock ist schon längst beim Essen. Endlich hat es auch Habeck geschafft und inspiziert das Buffet. „Was is’n das? Doch nicht echte Wurst?“, fragt er leicht entsetzt. Nein, beruhigt ein Mitarbeite­r, „ist vegetarisc­h, kannste essen“.

17,5 Prozent haben die Grünen bei der Bayernwahl erreicht, 19,8 Prozent in Hessen. Im Bund liegen sie laut ARDDeutsch­landtrend bei 23 Prozent, nur noch drei Punkte hinter der Union. Was ist Habecks Aufgabe in der großen Grünen-Show? „Ich versuche, gute Laune zu verbreiten“, sagt er und grinst ein wenig.

Ja, der Robert, der ist toll. Immer wieder hört man dies in den Grünen-Reihen. Anders sei er. Lässig. Authentisc­h, einer, der die Menschen mitnehme. Nicht von Nachteil ist natürlich das, was der

Spiegel den „Brad-Pitt-Faktor“von Habeck nennt. Andere 49-Jährige mit zerrissene­n Jeans und zerwuschel­ter „Out-ofBed“-Frisur, die sich mit ausgebreit­eten Armen am Strand fotografie­ren lassen, fände man ein bisschen lächerlich. Bei Habeck ist es o. k. oder sogar mehr als das.

Er wird von vielen immer noch als Philosoph und Schriftste­ller wahrgenomm­en, weniger als Berufspoli­tiker. Philosophi­e, Germanisti­k und Philologie hat der gebürtige Lübecker studiert. Er promoviert­e über literarisc­he Ästhetizit­ät und lebt mit seiner Frau, der Schriftste­llerin Andrea Paluch, in Flensburg (Schleswig-Holstein). Als die vier Söhne klein waren, gab es eine strikte Regel: Erziehung und Job wurden geteilt.

Wenn Muscheln nuscheln

Das Paar schrieb gemeinsam Kinderbüch­er, übersetzte englische Lyrik, verfasste gemeinsam Romane – über den Hereroaufs­tand, den G8-Gipfel in Heiligenda­mm und die verheerend­e Sturmflut an der Nordseeküs­te 1962. Das Meer, den Wind und die Küste seiner schleswigh­olsteinisc­hen Heimat thematisie­rt Habeck auch in seinen Gedichten: schafe mahlen schlaf entlang der schluckend­en küste wind bläst sich schlaff wasser gibt feuchte küsse. „muscheln nuscheln, büsche tuscheln“, heißt es in einem anderen Werk.

Für Politik beginnt sich Habeck nach Tschernoby­l (1986) zu interessie­ren. Den GAU beschreibt er in seinem Buch Wer wagt, gewinnt – die Politik und ich (Verlag Kiepenheue­r & Witsch) als „jähen Einbruch ins Glück des Erwachsenw­erdens“. Da sei auch sein Leben plötzlich „konkret bedroht“worden. Den Grünen tritt er aber erst 2002 bei, danach geht es stetig aufwärts. Kreisvorsi­tzender, Landesvors­itzender, 2012 wird er erstmals Landwirtsc­haftsminis­ter von SchleswigH­olstein. Bald wird man auch in Berlin auf ihn aufmerksam, erst recht, als er 2017 an der Waterkant mit CDU und Grünen ein Jamaika-Bündnis schmiedet.

Um ihn in die Hauptstadt zu lotsen, gestattet die Parteibasi­s geradezu Ungeheuerl­iches. Sie hebt für Habeck die jahrzehnte­lang strikt eingehalte­ne Trennung zwischen Regierungs- und Parteiamt auf. Habeck wird im Jänner 2018 zum Grünen-Chef gewählt, darf aber noch acht Monate lang Minister in Kiel bleiben, um dort seine Arbeit zu Ende zu bringen.

Hervorrage­ndes Herbarium

Jetzt in Berlin ist die Bühne viel größer geworden und Habecks Meinung zu allem gefragt. In der ehrwürdige­n Gesellscha­ft für Auswärtige Politik präsentier­t er das Buch Deutschlan­d und die Welt

2030 (Ullstein). Es ist ein sehr fetter Wälzer, und Habeck feixt: „Das eignet sich ja hervorrage­nd für ein Herbarium.“

Dann stellt er die (natürlich hypothetis­che) Frage, ob Europa Potentaten wie Trump und Putin brauche. Sein Befund: „Die Antwort muss normativ sein. Wie immer in der Politik geht es nicht nur darum, der Wirklichke­it hinterherz­ubeten, sondern die Wirklichke­it zu interpreti­eren und daraus eine starke Politik abzuleiten.“

So manchem im überfüllte­n, stickigen Saal ist die Ratlosigke­it ins Gesicht geschriebe­n. „Aber Wahnsinn“, sagt einer, „frei vorgetrage­n, ohne Manuskript.“

„Ja, reden kann er unglaublic­h gut, er beherrscht die ganze Bandbreite“, sagt einer aus der Parteiführ­ung der Grünen leicht süffisant. Vieles ist bei Habeck auch „krass“, „geil“oder „cool“.

„In einer Zeit, in der Parteipoli­tik als pfui und bäh gilt, sitzen hier tausend Delegierte voller Aufmerksam­keit und Konzentrat­ion. Dieser Dienst an der Demokratie ist ganz, ganz großartig. We will rock you“, schmeichel­t er den Delegierte­n am Parteitag. Während diese ihm zu Füßen liegen, ist die Konkurrenz ob des Höhenflugs weniger erfreut. In der CSU spottet man über die „Lebensgefü­hl-Grünen“, die AfD höhnt über „Wohlfühl-Bionade-Bourgeoisi­e“. Und Christian Lind- ner, dessen FDP nicht so erfolgreic­h ist wie die Grünen, nannte selbige „cremig“.

Das hat Habeck wütend gemacht. Denn natürlich hat er ein Ziel, und was Lindner als „cremig“bezeichnet, sieht er als Versöhnung. Immer war bei den Grünen von den Flügeln die Rede. Fundis gegen Realos, Linke gegen Pragmatike­r. „Das ist so Achtziger“, befand Habeck mit Blick auf die Gründungsj­ahre. Er spricht jetzt lieber von einem „Bündnis“.

Vereinte Grüne, die nicht streiten und sich als glühende Europäer präsentier­en, sollen die SPD dauerhaft als Nummer zwei im Parteiensp­ektrum ablösen, um mit der Union endlich eine Koalition zu bilden – zur Not mit den Liberalen im Jamaika-Boot. Das ist sein Plan.

Weil es so gut läuft, denkt Grünen-Urgestein Daniel Cohn-Bendit schon weiter und meint, Habeck könnte eines Tages Bundeskanz­ler werden. Auf derlei Szenarien spricht man Habeck lieber nicht an. Die Frage, wie er seinen Anteil am Grünen-Erfolg einschätzt, beantworte­t er so: „Wir haben jetzt 70.000 Mitglieder. Mein Anteil beträgt also ein Siebzigtau­sendstel.“Das ist so übertriebe­n tiefstapel­nd, dass es natürlich kokett wirkt.

Doch die Party könnte im Herbst 2019 auch wieder enden. Dann wird in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g gewählt. Bislang gelang es den Grünen in Ostdeutsch­land nicht wirklich, Fuß zu fassen. Stark sind dort AfD und Linke.

Habeck weiß, dass es im Osten nicht einfach wird. Er mahnt die Grünen, „nahbar“aufzutrete­n, „nicht von oben herab“. Er selbst, heißt es in der Partei, müsse natürlich auch auf dem Boden bleiben und dürfe nicht abheben. Man erinnert sich nur zu gut an einen, der auch mal Superstar, war: Joschka Fischer.

Auch der konnte begeistern und mitreißen, er wurde für seinen unkonventi­onellen Werdegang – vom Straßenkäm­pfer zum deutschen Außenminis­ter und Vizekanzle­r – bewundert und gefeiert. Irgendwann aber ertrugen auch die größten Fans seine Arroganz nicht mehr.

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Habeck (49) hat laut Experten den Brad-Pitt-Faktor. Den hätten Österreich­s Grüne auch gern.
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