Der Standard

Italien nimmt Strafverfa­hren in Kauf

EU-Kommission geht gegen Haushaltsd­efizit vor

- Andreas Schnauder

Rom/Brüssel – Die EU-Kommission wird heute, Mittwoch, ein Defizitver­fahren gegen Italien einleiten und damit gegen die von Rom geplante Ausweitung des Defizits vorgehen. Im Unterschie­d zu fünf anderen Ländern – darunter Frankreich und Spanien –, die ebenfalls eine Rüge aus Brüssel er- halten, will Italien aber nicht nachgeben.

Es ist zu erwarten, dass die EUKommissi­on mit der Verhängung von Bußgeldern droht, sollte Italien seine Haushaltsp­läne nicht doch noch nachbesser­n. Das wäre eine Premiere in der Europäisch­en Union. (red)

Verschonen

Es wäre nicht das erste Mal, dass Budgetvers­töße nicht geahndet werden. Frankreich, Spanien, Italien und auch andere Euroländer haben schon Erfahrunge­n damit gemacht, wie man trotz jahrelange­r Verletzung von Haushaltsr­egeln straffrei geht. Die EU-Kommission als Hüterin des Stabilität­spakts agiert oft politisch, da sie die Unterstütz­ung der Mitgliedss­taaten für die Umsetzung ihrer Vorhaben benötigt. Da werden Regeln rasch biegbar. Das gilt im Besonderen für den Stabilität­spakt, der zahlreiche Ausnahmen vorsieht. Davon profitiert­e auch Österreich, das plötzlich die Kosten der Flüchtling­skrise aus dem für die Kommission relevanten, strukturel­len Staatsdefi­zit herausrech­nen durfte. Die Zustimmung Roms könnte noch für wichtige Fragen wie das EUBudget, das erstmals einen Eurohausha­lt beinhalten soll, erforderli­ch werden. Brüssel darf es sich also nicht mit den (großen) Mitgliedsl­ändern verscherze­n. Allerdings würde ein allzu offensicht­licher Schongang gegenüber Italien die Frage aufwerfen, ob die EU-Kommission beim Stabilität­spakt nicht den letzten Rest an Glaubwürdi­gkeit verspielt.

Verschlepp­en

Die EU-Parlaments­wahlen nahen. Sollte die EU-Kommission hart gegen Italien vorgehen, käme es relativ knapp vor dem Urnengang im Mai zur Eskalation des Verfahrens. Brüssel würde damit eine Verschlech­terung der Stimmung in der Bevölkerun­g gegenüber etablierte­n, europafreu­ndlichen Parteien riskieren. Anders ausgedrück­t: Die populistis­chen Regierungs­parteien Lega und Cinque Stelle könnten mit dem Argument der Einmischun­g oder gar der „Versklavun­g“durch die EU punkten, sollte Brüssel schwere Geschütze auffahren. Ein gemeinsame­r Feind von außen hat sich noch selten als schädlich im Wahlkampf herausgest­ellt.

Auch verfahrens­technisch spricht einiges für eine längere Kreuzfahrt: Derzeit agiert Brüssel auf Basis des von Italien vorgelegte­n Budgetplan­s, der wegen zu hohen Defizits (2,4 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s im kommenden Jahr) abgeschmet­tert wurde. Hier gibt es zwar klare Regeln, wonach auch schon präventiv ein Verfahren eingeleite­t werden kann, das in letzter Konsequenz Bußgeldzah­lungen zur Folge hätte. Doch die härtere Währung ist ein Budgetabsc­hluss, und der würde für 2018 erst im Frühjahr 2019 vorliegen. Es wäre durchaus denkbar, dass sich Brüssel stärker auf die tatsächlic­h vorliegend­en Haushaltsd­aten des dann abgelaufen­en Jahres stützt als die Planzahlen. Und damit Zeit gewinnt.

Für die Variante spricht auch, dass die EU-Kommission reichlich Erfahrung darin hat. Die Verfahren lassen sich leicht in die Länge ziehen. Das hat den Charme, dass sich die Probleme von selbst lösen lassen. Beispielsw­eise wenn in der Zwischenze­it ein Regierungs­wechsel stattfinde­n sollte, der einen Sparkurs zur Folge hätte. Oder wenn sich die BudgetTrou­bles dank besserer Konjunktur in Luft auflösen sollten.

Verklagen

Die Reformen des Stabilität­spaktes nach Ausbruch der Griechenla­ndkrise lassen eigentlich nur einen Schluss zu: Die EUKommissi­on leitet ein Defizitver­fahren gegen Italien ein. Dazu hat sie gleich mehrere Anhaltspun­kte und Instrument­e vorliegen. Zu verdanken hat Brüssel die Verschärfu­ng der potenziell­en Sanktionen Deutschlan­d, das im Gegenzug zur Griechenla­ndrettung auf härtere Budgetrege­ln pochte. Seither müssen die Staaten ihre Haushaltsp­läne der EUKommissi­on vorlegen – man könnte etwas überspitzt auch sagen: genehmigen lassen. Sind die Etats nicht in Einklang mit dem Pfad zu einem ausgeglich­enen Haushalt, können frühzeitig Strafen verhängt werden. Sie reichen bis zu einer Geldbuße von 0,2 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s des betroffene­n Staates.

Neben dem schon vor der Schuldenkr­ise bekannten Verfahren basierend auf den sogenannte­n Maastricht­kriterien (Obergrenze für Defizit von drei Prozent des BIP und für Verschuldu­ng von 60 Prozent des BIP) kann eine Neuverschu­ldung auch deutlich unter drei Prozent des BIP sanktionie­rt werden, wenn sie als stabilität­sgefährden­d gilt. In der Regel wird eine jährliche Senkung des strukturel­len Defizits – dabei werden Konjunktur- und Einmaleffe­kte ausgeblend­et – um 0,5 Prozent des BIPs verlangt. Bei Italien müssten eigentlich noch strengere Maßstäbe angelegt werden, da die Verschuldu­ng mit gut 130 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s mehr als das Doppelte des Maastricht­werts ausmacht. Neben der Geldbuße drohen Rom u. a. Überwachun­gsmissione­n durch die EU-Kommission und ein Ende der wichtigen Darlehen der Europäisch­en Investitio­nsbank.

Was besonders wichtig erscheint: Heute können die Maßnahmen der EU-Kommission nicht mehr so leicht von den Mitgliedss­taaten ausgehebel­t werden wie früher. Bei mehreren Schritten bedarf es einer qualifizie­rten Mehrheit gegen die Vorschläge aus Brüssel, um sie zu verhindern.

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