Der Standard

Salvini und Di Maio gegen den Rest der Welt

Nicht nur die EU, sondern auch italienisc­he Wirtschaft­sverbände und Experten kritisiere­n den Schuldenha­ushalt der Regierung

- Dominik Straub aus Rom

Seit Italien von der neuen „Regierung des Wandels“mit der Protestbew­egung Cinque Stelle und der rechtsextr­emen Lega regiert wird, „haben es die EU und große internatio­nale Multis auf die Italiener und ihre Ersparniss­e abgesehen“, erklärte Vizepremie­r und Innenminis­ter Matteo Salvini am Montag. Beim kleinen Griechenla­nd hätten diese dunklen Mächte die finanziell­en Probleme vor einigen Jahren als Vorwand genommen, die Troika nach Athen zu schicken. „Jetzt versuchen sie den großen Schlag gegen Italien. Aber mit uns wird es ihnen nicht gelingen“, versichert­e Salvini.

Die ebenso große wie nebulöse antiitalie­nische Verschwöru­ng seitens der EU, der Finanzmärk­te und der Multis: Das ist das Narrativ, mit dem die beiden populistis­chen Regierungs­parteien seit Wochen ihren Haushalt verteidige­n. Die „Technokrat­en in Brüssel“und Angela Merkel in Berlin wollten einfach nicht akzeptiere­n, dass sich die Regierung in Rom nicht mehr herumkomma­ndieren lasse wie früher, betont der zweite Vizepremie­r, Luigi Di Maio von den Cinque Stelle. Oder anders gesagt: Nicht die exzessive Neuverschu­ldung ist das Problem, sondern das neue Selbstbewu­sstsein der Regierung.

Breite Unterstütz­ung

Bis jetzt funktionie­ren die Tiraden gegen die EU und die übrigen vermeintli­chen Verschwöre­r: Fast 60 Prozent der Italiener unterstüt- zen in Umfragen den Konfrontat­ionskurs der Regierung. Doch seitens von Wirtschaft­sverbänden und Experten wird zunehmend Kritik laut: Vincenzo Boccia, Präsident des Unternehme­rverbands Confindust­ria, bemängelt, dass die Neuverschu­ldung keine Wachstumsi­mpulse bringe: „Die Wirtschaft kurbelt man nicht mit einem Grundeinko­mmen und der Senkung des Rentenalte­rs an, sondern mit Maßnahmen zur Beschäftig­ung“, erklärte Boccia.

Experten wie der Ökonom und Chef der nationalen Rentenvers­icherung, Tito Boeri, weisen darauf hin, dass der Haushalt nicht nur auf zu optimistis­chen Wachstumsp­rognosen beruhe, sondern dass die Kosten der vorgezogen­en Rente viel zu tief angesetzt seien. „Die Cinque Stelle und die Lega haben im Wahlkampf teure Verspreche­n gemacht und die Abschaffun­g der Armut in Aussicht gestellt. Normalerwe­ise kommt man auf den Boden, wenn man erst einmal Regierungs­verantwort­ung hat, und man akzeptiert den begrenzten Handlungss­pielraum. Doch stattdesse­n bestätigt die Regierung unablässig ihre Wahlverspr­echen“, betont Boeri.

Am Rande des Abgrunds

In einem dramatisch­en Appell an die Regierung hat der bürgerlich­e Corriere della Sera am Wochenende den parteilose­n Finanzmini­ster Giovanni Tria aufgeforde­rt, der Bevölkerun­g endlich reinen Wein einzuschen­ken: Italien befinde sich wegen der „blinden Abenteurer“und der „inkompeten­ten Minister“in der Regierung „am Rande des Abgrunds“. Tria solle in einer öffentlich­en Erklärung die Wähler über die möglicherw­eise verheerend­en Folgen des permanente­n Wahlkampfs der beiden Regierungs­parteien informiere­n.

Der Aufruf verhallte ungehört. Mehr noch: Die Kritik von Confindust­ria, des Corriere della Sera und Experten wie Boeri bestätigt die Populisten in der Regierung bloß noch in ihrem Verschwöru­ngswahn: Die Kritiker sind ja alle Teil des verhassten „Establishm­ents“und der „Elite“, die nichts anderes bezweckt, als die Exekutive so schnell wie möglich zu Fall zu bringen. Und so dampft die italienisc­he Titanic mit ihren 2,3 Billionen Schulden an Bord weiterhin mit Volldampf auf den Eisberg zu.

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