Der Standard

US-Urgestein Pelosi weht rauer Wind entgegen

16 Parteifreu­nde haben die demokratis­che Langzeitfr­aktionsche­fin in einem offenen Brief aufgeforde­rt, Jüngeren an der Spitze Platz zu machen. Noch will die verdiente Veteranin aber nicht aufgeben.

- Florian Niederndor­fer

Möglicherw­eise denkt sich Nancy Pelosi dieser Tage öfter als gewöhnlich in ihre Kindheitst­age in Baltimore zurück. Dort an der US-Ostküste, genauer in Little Italy, wuchs die heute 78-Jährige auf. Und von dem Backsteinb­au aus, in dem die achtköpfig­e Familie wohnte, teilte und herrschte ihr Vater Thomas D’Alesandro acht Jahre lang als Bürgermeis­ter der Stadt.

Gut möglich, dass die kleine Nancy tatsächlic­h bei vielen der Deals und Kompromiss­e, die der italoameri­kanische Patriarch den notorisch zerkrachte­n Demokraten in der Hafenstadt aufzwang, mit am Verhandlun­gstisch saß.

Denn genau wie der 1987 verstorben­e Vater gilt auch die Tochter als beinharte Verhandler­in, die in den eigenen Reihen für Disziplin sorgt, meisterhaf­t Pakte schmiedet, die Parteiinte­ressen durchsetzt – und dafür ebenso geschätzt wie gehasst wird.

Lange Zeit galt sie als logische, als einzige Kandidatin für den derzeitige­n Spitzenpos­ten der USDemokrat­en, jenen der Sprecherin im Repräsenta­ntenhaus, in dem ihre Partei seit der Kongresswa­hl Anfang November wieder die Mehrheit innehat.

Während Thomas D’Alesandro schließlic­h über einen Korruption­sskandal stolperte, weht Nancy Pelosi, die seit 31 Jahren ihren Wahlkreis aus dem liberalen Nordkalifo­rnien im fernen Wa- shington vertritt und seit 2003 die demokratis­che Fraktion führt, nun ein ungewohnt scharfer Wind aus den eigenen Reihen entgegen.

Als Urgestein stehe sie nicht für die versproche­ne Veränderun­g, moniert so mancher Demokrat. Und mit ihren 78 Jahren nicht für die angekündig­te Verjüngung. Überdies sind Pelosis Beliebthei­tswerte derart im Keller, dass viele Demokraten fürchten, sie sei kein massenwirk­samer Antipode zum ebenso wenig populären USPräsiden­ten Donald Trump.

Ausdauer und Beharrlich­keit

Dabei, so attestiere­n Unterstütz­er, legte die studierte Politologi­n zeit ihres politische­n Lebens einen geradezu vorbildhaf­t langen Atem an den Tag. Etwa indem sie auch schon einmal einen Redemarath­on über acht Stunden ohne Pause und ohne Essen aufs Parkett legte, um für ein Einwanderu­ngsgesetz zu kämpfen. Dass Barack Obamas Gesundheit­sreform nach allem Gezerre doch noch verabschie­det wurde, wird unisono Pelosis Bestemm zugeschrie­ben.

Und doch haben am Montag 16 demokratis­che Abgeordnet­e, darunter viele Neulinge im „House“, die aus weniger liberalen Landstrich­en als jenem Pelosis stammen, Widerstand gegen die Politveter­anin angekündig­t.

Die Prominente­sten von ihnen sind Tim Ryan aus Ohio, der sich schon 2016 anschickte, auf Pelosis Sessel an der Fraktionss­pitze zu rücken, und Seth Moulton aus Massachuse­tts, ein langjährig­er Kritiker Pelosis, der seinerseit­s als Personalre­serve für die Präsidents­chaftswahl 2020 gehandelt wird. Die Unterschri­ft von Marcia Fudge findet sich in der Epistel der Rebellen dagegen ebenso wenig wie jene von fünf weiteren Abgeordnet­en, die sich gegen Pelosi aussprache­n. Die Afroamerik­anerin Fudge leitete von 2013 bis 2015 den Congressio­nal Black Caucus und ist bisher die einzige Demokratin, die direkt die Konfrontat­ion mit Pelosi suchte. Ob sie bei der Vorwahl am 28. November tatsächlic­h kandidiert, ließ sie offen.

Trump, für dessen Republikan­er die streitbare Wahlkalifo­rnierin und Multimilli­onärin seit Jahr und Tag als Hassfigur dient, ließ Pelosi jedenfalls bereits ein vergiftete­s Lob angedeihen. Notfalls würden seine Republikan­er „ein paar Stimmen drauflegen“, um ihr ein Dacapo zu ermögliche­n. Der bei den Wahlen jüngst abgestraft­e Präsident, so viel steht fest, will Pelosi nicht als Feindbild verlieren.

Aufregung um Ivanka Trump

Dem Präsidente­n selbst erwächst dieser Tage aus den Machenscha­ften seiner Tochter aber auch selbst ein Problem. Ivanka Trump, die in der Regierung ihres Vaters als Beraterin fungiert, hat einem Bericht zufolge hunderte dienstlich­e E-Mails von einem privaten E-Mail-Konto aus verschickt und damit in vielen Fällen wohl gegen Vorgaben des Weißen Hauses verstoßen. Dies berichtete die Washington Post am Montag.

Trump hatte im Präsidents­chaftswahl­kampf 2016 Hillary Clinton die Nutzung eines privaten Mail-Kontos für dienstlich­e Belange vorgehalte­n. Ein demokratis­cher Abgeordnet­er hat bereits eine Untersuchu­ng gefordert. p Kommentar auf dSt.at/Meinung

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Foto: Reuters/Gripas Nancy Pelosi sitzt seit 1987 im US-Repräsenta­ntenhaus.

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