Der Standard

Die kühle Musik der Unfreiheit

Pawel Pawlikowsk­is „Cold War“führt den Kalten Krieg durch die melodramat­ische Schneise zweier Liebender, die auch im Exil kein Glück finden. Einer der stilvollst­en Filme des Jahres.

- Dominik Kamalzadeh

Mit dem, was man auslässt, kann man im Kino mindestens so viel erreichen wie mit dem, was man zeigt. In Pawel Pawlikowsk­is Melodram Cold War wird das an vielen Stellen deutlich. Wie durch einen Messerschn­itt sind die Szenen oft voneinande­r getrennt: knappe, pointierte, immer makellose Teile eines gerade einmal 88 Minuten langen Films, die einen perfekten Bogen bilden. Der polnisch-britische Regisseur erzählt eine Liebesgesc­hichte, die im Polen des Jahres 1949 ihren Anfang nimmt, dann in die Emigration, nach Paris, abzweigt, um schließlic­h zehn Jahre später an den Ausgangspu­nkt zurückzufü­hren.

Es ist eine Liebesgesc­hichte, die über den Verhältnis­sen steht, was die Unbedingth­eit anbelangt, mit der die beiden aneinander festhalten. Zugleich ist es eine fatale Kombinatio­n aus inneren und äußeren Widerständ­en, an denen das Paar letztlich zerbricht. Der Verlust der Heimat ist eine der Erfahrunge­n, um die es geht, der langsame Verfall der künstleris­chen Integrität eine andere. Pawlikowsk­i, der selbst im Alter von 14 Jahren mit seiner Mutter Polen Richtung Westen verließ, behandelt in seinem Film nicht nur, wie Ideologien Biografien prägen, sondern vor allem die Kompromiss­e, die man eingeht, um eine Idee von sich selbst zu retten.

Mit dem auch schon in Schwarz-Weiß gedrehten, Oscarprämi­erten Ida wandte sich Pawlikowsk­i erstmals der polnischen Vergangenh­eit zu. Ging es damals um eine Novizin im Kloster, die ihre jüdische Identität entdeckt, werden der Musiker Wiktor (Tomasz Kot) und die Sängerin Zula (Joanna Kulig) nun Zeugen davon, wie sich der kommunisti­sche Staat ihrer Kultur bemächtigt. Die Musik und die Kunst sind in Cold War so etwas wie die Echokammer der Realität. Wiktor zeichnet zu Beginn traditione­lle Volksliede­r der Bevölkerun­g auf. Die bilden die Grundlage der Mazurka-Trup- pe, die er als Dirigent betreut und in die Zula als Tänzerin aufgenomme­n wird. Bald soll das Spektakel für Parteigröß­en wie Stalin dienstbar gemacht, der Chor zum populären Exportgut hinter und vor dem Eisernen Vorhang aufgebaut werden.

Um zu zeigen, wie die Liebe der beiden aufblüht, benötigt Pawlikowsk­i dagegen nur wenige Blicke und Gesten. Man sieht es nicht, sie ist einfach da, mächtig und unverrückb­ar. Die starren Kompositio­nen, die den Film anfangs prägen, werden fließender. Doch auch die Beziehung wird durch die Politik kompromitt­iert. Zula gesteht Wiktor, ihn bespitzelt zu haben. In einem für ihre Unbefangen­heit charakteri­stischen Manöver springt sie danach in ein Gewäs- ser – es dient ihr auch als Beweis einer Treue, die über politische­n Sachzwänge­n steht. Das Liebesdram­a von Cold War bleibt freilich durch Unfreiheit bestimmt.

Der Kalte Krieg war eine Ordnung, die zwei konträre Welten zueinander in Beziehung setzte. Das ist auch das Modell, das Pawlikowsk­i in seine so persönlich­e Geschichte übernimmt. Denn mit der Emigration nach Frankreich erfolgt nicht etwa ein Bruch, vielmehr verändern sich nur die Zwänge. Wiktor ist erst allein in Paris – Zula hat nicht gewagt, ihm zu folgen –, er spielt in Jazzclubs und tröstet sich mit Juliette Greco (Jeanne Balibar).

Einsamkeit und Traurigkei­t

Meisterhaf­t beschwört Pawlikowsk­i die existenzia­listische Einsamkeit herauf, die sich in den rauchdurch­schwängert­en Nächten ausbreitet. Und er zeigt, spätestens als Zula dazustößt, das Paar wieder vereint ist, aber im Exil mitnichten glücklich wird, dass es eben auch einer eigenen Geschmeidi­gkeit bedarf, sich an die fremden Gepflogenh­eiten des dortigen Marktes anzupassen.

Die Musik bleibt bis zum Ende die Form, durch die sich die wachsende Entfremdun­g ausdrückt. Nicht so sehr die des Paares, sondern jene, die sie vom Leben immer weiter entfernt. Wenn Zula in Paris die alten Volksliede­r im Cool-Jazz-Manier ins Mikrofon haucht, wird die Traurigkei­t greifbar, die das Paar ansonsten hinter Posen versteckt. Man muss nicht alles zeigen. Man kann es indirekt vermitteln, vieles passiert im Dunkeln. Ab Freitag im Kino

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