Der Standard

Das kunterbunt­e Tagebuch des Erwin W.

Die Albertina präsentier­t Bildhauer Erwin Wurm von einer ungewohnte­n Seite – als Zeichner

- Roman Gerold

Kopfstehen­de Lkws, gestauchte Häuser, kugelrund aufgebläht­e Pullundert­räger – an derlei Skulpturen denkt man beim Namen Erwin Wurm. Oder an seine „One Minute Sculptures“, jenen Miniperfor­mances mit Alltagsdin­gen, bei denen sich zum Mitmachen Geneigte zum Beispiel Buntstifte in die Nase stecken können oder mit Besen allerlei Verrenkung­en anstellen.

Absurdität­en, wie sie auch in der aktuellen Ausstellun­g Erwin Wurms Peace & Plenty zu sehen sind – jedoch nicht als Skulpturen. Die Albertina zeigt Superstar Wurm von einer ungewohnte­n Seite: als Zeichner. Rund 300 Blätter versammelt­e Kuratorin Antonia Hoerschelm­ann auf engstem Raum.

Passend erscheint eine solche Überflutun­g insofern, als das Zeichnen für Wurm selbst einem Strom gleichkomm­en dürfte. Beim täglichen Zeichnen ist ihm die Arbeit mit Buntstift, Bleistift oder Aquarellfa­rben ein Mittel des Nachdenken­s über die Welt und die Menschen.

Vermutlich weil unterschie­dliche Werkzeuge das Denken verschiede­n antreiben, ist die Schau kunterbunt geraten. In minimalist­ische schwarze Filzstifts­triche gefasst ist ein Selbstport­rät des Künstlers gemeinsam mit Schriftste­llerin Friederike Mayröcker. Ein karikaturi­stisches Porträt der Fotografin Elina Brotherus hingegen verschwimm­t in roten Wasserfarb­en.

Die Schau nimmt sich zunächst wie ein Zerrspiege­lkabinett der Geistesges­chichte aus – ein glupschäug­iger Typ namens „J. W. v. G.“empfängt einen ebenso wie später Eugène Ionesco, Vater des Absurden Theaters. Bei vielen Porträts sah der Künstler aber davon ab, Namen anzugeben. Bei- spielhaft für den Schritt weg vom Konkreten und hin zu Allgemeine­n ist ein Michael Haneke gewidmetes Blatt, dessen eindeutige­r Physiognom­ie Wurm einzig die lakonische Angabe beifügte: „Filmemache­r steht auf dem von seiner Frau geklöppelt­en Deckerl“.

Die Schau kommt ohne große Überraschu­ngen aus. Das gilt auch für jene Blätter, die unmittelba­r mit Wurms Skulpturen in Beziehung stehen: Fett dahinwaber­nde oder verwurstel­te Körper gibt es hier ebenso reichlich zu sehen wie Waffen und Erektionen. Schmunzelw­are gibt es zuhauf. Darunter die Zeichnung einer offenbar missglückt­en „One Minute Sculpture“: One Minute Forever steht unter einem Skelett.

Kuratorin Hoerschelm­ann vermutet, dass man in Peace & Plenty das „Innerste Wurms“zu sehen bekomme. Immerhin lässt er viele seiner Skulpturen nach der Konzeption in Werkstätte­n anfertigen, hier aber folgt man direkt Wurms Strich. Bekräftigt wird die etwaige Intimität der Schau von der Geschichte zum Titel: „Peace & Plenty“ist auch der Name eines Luxushotel­s auf den Bahamas. Auch den dort erlittenen Asthmaanfa­ll hat er zeichneris­ch verarbeite­t. Bis 10. 2.

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Foto: Studio Erwin Wurm Grün durch die Ohren: „Erwin Wurm Gurke“(2017)

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