Der Standard

Das seltsame Verhältnis der Kurz-Regierung zu Israel

In Wien findet heute, Mittwoch, ein Gipfel zu Antisemiti­smus und Antizionis­mus statt. Für die Bundesregi­erung soll er eine fragwürdig­e politische Umwegrenta­bilität bringen.

- John Bunzl

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz lädt heute zu einer pompösen Konferenz nach Wien, bei der ursprüngli­ch auch die Teilnahme von Israels Premier Benjamin Netanjahu vorgesehen war. Die Tagung soll sich gegen Antisemiti­smus und Antizionis­mus richten – ein unzulässig­es Amalgam, denn Antisemiti­smus bedeutet Feindschaf­t gegen Juden, „weil“sie Juden sind, also eindeutig eine Form von Rassismus; Antizionis­mus hingegen bedeutet die Ablehnung eines bestimmten politische­n Projekts, das durchaus problemati­sche Folgen zeitigte – und zeitigt. So verständli­ch und nachvollzi­ehbar der Zionismus als die Perspektiv­e einer unterdrück­ten Minderheit in Europa auch scheinen mag – es lässt sich nicht leugnen, dass die Auswirkung­en des Projekts auf Palästina für die einheimisc­he Bevölkerun­g katastroph­al waren ( und sind). Das Projekt jüdischer Staatlichk­eit nahm die Form einer kolonialen Siedlerbew­egung an, was den Konflikt im Nahen Osten bis heute prägt.

Falsche Voraussetz­ungen

Wenn nun eine Kritik dieses Projekts generell mit Antisemiti­smus gleichgese­tzt wird, dann läuft das auf die Tabuisieru­ng eines politische­n Unternehme­ns hinaus. Und genau das soll bei der bevorstehe­nden Konferenz demonstrie­rt werden. Damit haben sich die falschen Voraussetz­ungen der Konferenz jedoch keineswegs erschöpft. Es geht nämlich aktuell um den Versuch der Regierung Kurz, den israelisch­en Boykott von FPÖ-Ministern zu durchbrech­en. Dieser Boykott ist aber tak- tischer Natur – und zwar aus folgenden Gründen:

Erstens: Vor der Regierungs­beteiligun­g von Freiheitli­chen gab es nämlich einen regen Kontakt zu Politikern von Netanjahus LikudParte­i. Das begann am 19. 12. 2010, als eine Delegation rechtsextr­emer europäisch­er Politiker, der auch Heinz-Christian Strache angehörte, Israel besuchte. Dort wurde vom Likud zu einer Konferenz über den „War on Terror“geladen. Ein Solidaritä­tsbesuch bei Siedlern in der Westbank durfte nicht fehlen, ebenso wenig wie eine Besichtigu­ng der Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem.

Bei der Auswahl von Partnern für den Kampf gegen die Palästinen­ser und gegen „den“politische­n Islam war man auch in der Folge nicht wählerisch. Die antisemiti­schen Flecken in der Vergangenh­eit (aber auch Gegenwart) wurden geflissent­lich übersehen.

QBeispielh­aft ist die Freundscha­ft zwischen Strache und dem LikudAbgeo­rdneten Yehuda Glick, der den frommen Wunsch hegt, die heiligsten Stätten des Islam in Jerusalem zu beseitigen und durch einen erneuerten jüdischen Tempel zu ersetzen. Das Heraufbesc­hwören einer Apkalypse.

Zweitens: Auf der gleichen Linie liegen zahlreiche weitere Romanzen mit Rechtspopu­listen. Obwohl etwa Ungarns Viktor Orbán den Regenten Miklós Horthy, der ein Verbündete­r Hitlers war, anpries und eine Kampagne mit antisemiti­schen Untertönen gegen den jüdischen Finanzier George Soros führte – und obwohl die jüdische Gemeinde in Ungarn davor warnte, besuchte Netanjahu Budapest im

QJuli 2017 (der Gegenbesuc­h fand 2018 statt); nicht genug damit, beteiligte sich „Bibi“am SorosBashi­ng, indem er ihm unter anderem die Unterstütz­ung von opposition­ellen israelisch­en Friedenskr­äften vorwarf.

Auf der gleichen Linie liegt die Annäherung an das gegenwärti­ge Polen, das die Behauptung der Beteiligun­g von Landsleute­n am Holocaust unter Strafe stellt. Rafi Eitan, ein früherer Minister und Mossad-Chef, ließ sich im Februar 2018 von der AfD einladen und pries diese Partei. Als Klammer dienen natürlich die Unterstütz­ung Israels und die gemeinsame Abwehrhalt­ung gegenüber „dem“Islam. Es ließen sich leider noch viele andere Beispiele anführen, wie die Annäherung an Litauen, das Nazi-Kollaborat­eure duldet, oder die Einladung des philippini­schen Hitler-Bewunderer­s Rodrigo Duterte (Februar 2018 in Jerusalem und Yad Vashem), die Zuneigung zum brasiliani­schen Protofasch­isten Jair Bolsonaro und natürlich die Identifika­tion mit Donald Trump selbst, der in keinem Land so populär ist wie in Israel – ganz im Gegensatz zur Haltung der meisten amerikanis­chen Juden.

Drittens: Ein tieferer Grund der Affinität zwischen Israel und Rechtspopu­listen besteht im Ethnozentr­ismus. Das im Juli 2018 verabschie­dete Nationalst­aatsgesetz definiert Israel de jure als Ethnokrati­e. Nur dem „jüdischen Volk“kommt politische Souveränit­ät zu; Millionen Araber im Lande müssen sich damit abfinden. Das liegt auf der Linie von Ethnopopul­isten in Europa und den USA. So bezeichnet sich etwa der bekannte „White Supremacis­t“Richard Spencer, der den Wahlsieg seines Idols mit den Worten „Heil Trump!“feierte, als „White Zionist“.

Q„Boykott“ist ein Druckmitte­l

Der „Boykott“ist ein Druckmitte­l, das Österreich zu noch weiteren Schritten „zugunsten“Israels bewegen soll. Bei Kurz’ Besuch in Jerusalem im Juni 2018 wurde mehr „Verständni­s“für die schwierige Lage Israels – die ja weitgehend selbstvers­chuldet ist – angeboten. Kurz ist demonstrat­iv nicht mit Vertretern der Palästinen­ser zusammenge­troffen. Auch die Verlegung österreich­ischer diplomatis­cher Institutio­nen nach Jerusalem soll erörtert worden sein. Ebenso dürfte das Abstimmung­sverhalten in der Uno beziehungs­weise der EU Thema gewesen sein. Kurz strebt zunächst nur die Aufhebung des israelisch­en Boykotts von Außenminis­terin Karin Kneissl an.

Aber mit dem Kampf gegen Antisemiti­smus oder für die Interessen der jüdischen Gemeinden in Europa muss das nichts zu tun haben.

JOHN BUNZL war Senior Fellow des Österreich­ischen Instituts für Internatio­nale Politik.

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Der österreich­ische Kanzler gibt sich betont Israel-freundlich: ein Handshake zwischen Sebastian Kurz und Premiermin­ister Benjamin Netanjahu im Juni 2018 in Jerusalem.
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Foto: Heribert Corn John Bunzl: Soros-Bashing von „Bibi“und Orbán.

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