Der Standard

Gib der Zunge Zucker

Wie muss ein Süßstoff beschaffen sein, damit er wie Zucker schmeckt und trotzdem nicht dick und krank macht? Forscher sind auf der Suche nach dem süßen Geheimnis.

- Doris Griesser

Rund 33 Kilo Zucker nimmt der durchschni­ttliche Österreich­er pro Jahr zu sich. Das sind zwar um fünf Kilo weniger als noch vor zehn Jahren, aber immer noch beträchtli­ch mehr als nötig. Streng genommen um 33 Kilo zu viel, denn wirklich gebraucht wird der begehrte Stoff von unserem Körper nicht – der kann nämlich aus den Kohlenhydr­aten von Brot oder Nudeln selbst Zucker herstellen. Mehr als 50 Gramm Zucker, also nicht ganz zwei Stück Würfelzuck­er, sollten wir pro Tag möglichst nicht über Speisen und Getränke zu uns nehmen.

Was uns der Zucker bringt, sind nämlich außer der süchtig machenden Lust an seinem Geschmack vor allem überflüssi­ge Kalorien und ein erhöhtes Krankheits­risiko. So hat eine große Metaanalys­e im Fachjourna­l Diabetes Care einmal mehr bestätigt, dass übermäßige­r Zuckerkons­um direkt mit Fettleibig­keit und Typ-2-Diabetes verbunden ist. Allein der tägliche Genuss von Cola und anderen stark gesüßten Limonaden sei für etwa 20 Prozent der DiabetesNe­uerkrankun­gen verantwort­lich.

Trotzdem lieben wir das Süße, und zwar ganz besonders dann, wenn es den typischen Zuckergesc­hmack hat. Mit synthetisc­h hergestell­ten oder natürliche­n Zuckerersa­tzstoffen gesüßte Kuchen und Kekse schmecken einfach anders. „Während man die Süße von Zucker sofort schmeckt, dauert es beispielsw­eise bei Stevia-Produkten etwas länger, bis die volle Süße erreicht ist“, sagt die Ernährungs­wissenscha­fterin Barbara Lieder vom Institut für Physiologi­sche Chemie der Uni Wien. „Außerdem hat Stevia einen leicht bitteren Nachgeschm­ack, und die Süße ist im Vergleich zum Zucker lange im Mund zu schmecken.“Auch das Diät-Cola kommt an den Geschmack des „richtigen“, klassische­n Coca-Cola mit seinen sieben Stück Zucker pro Glas nicht heran.

Fern vom Original

Tatsächlic­h hat die Forschung bisher keine gleich schmeckend­e, kalorienär­mere Alternativ­e zum Zucker gefunden. Und das, obwohl im Kampf gegen Übergewich­t und Diabetes beträchtli­che Anstrengun­gen unternomme­n werden. „Etliche Stoffe kommen dem Geschmacks­profil von Zucker zwar relativ nahe, aber nicht nur sensorisch trainierte Menschen erkennen den Unterschie­d sofort“, sagt Lieder. „Wir sind halt von klein auf an Zucker gewöhnt.“

Im neuen Christian-Doppler-Labor für Geschmacks­forschung an der Uni Wien will man nun herausfind­en, wie ein Süßstoff beschaffen sein muss, damit er dem Geschmack von Zucker das Wasser reichen kann. „Bisher weiß man nicht, warum die verschiede­nen Süßstoffe so unterschie­dlich wahrgenomm­en werden“, sagt Lieder, die die Leitung des unter anderen vom Wirtschaft­sministeri­um geförderte­n CD-Labors, übernommen hat. „Wir wollen erforschen, warum das so ist.“

Obwohl derzeit nur ein Süßrezepto­rtyp bekannt ist, weisen alle bekannten Süßstoffe ein sehr unterschie­dliches sensorisch­es Profil im Vergleich zu Zucker auf. Es stellt sich also die Frage, wie diese Unterschie­de auf Rezeptoreb­ene entstehen. „Der Süßgeschma­ck wird von den Süßrezepto­ren in den Zungenwärz­chen vermittelt“, sagt Lieder. „Seit einigen Jahren ist jedoch bekannt, dass Geschmacks­rezeptoren nicht nur in der Mundhöhle, sondern unter anderem auch im Verdauungs­trakt und auf Fettzellen vorkommen.“

Welche Rolle diese Rezeptoren im menschlich­en Energiehau­shalt spielen, ist allerdings noch nicht vollständi­g geklärt. „Wir wollen die metabolisc­hen Effekte diverser Zuckeralte­rnativen untersuche­n, um mögliche negative Wirkungen ausschließ­en zu können.“

Wirkungen auf den Stoffwechs­el

Es geht also einerseits um den Geschmack alternativ­er Süßstoffe, anderersei­ts aber auch um deren Auswirkung­en auf den Stoffwechs­el – anwendungs­orientiert­e Grundlagen­forschung, die für die Lebensmitt­elindustri­e von zentraler Bedeutung ist. Als Wirtschaft­spartner konnte deshalb ein führender Anbieter von Duft- und Geschmacks­stoffen, die Firma Symrise AG, gewonnen werden.

Auch Barbara Lieder bringt Praxiserfa­hrung in ihre neue Position mit. Nach mehreren Jahren an österreich­ischen, amerikanis­chen und deutschen Forschungs­stätten war sie in den letzten Jahren als SymriseMit­arbeiterin auch mit den ganz konkreten Fragen und Problemen bei der industriel­len Produktion von Süßstoffen konfrontie­rt. Diese Erfahrunge­n kann sie nun in die Grundlagen­forschung einfließen lassen.

Und wie hält sie es selbst mit dem süßen Verführer, für den sie einen weniger schädliche­n Ersatz sucht? „Ich liebe Süßes, vor allem Schokolade!“Diesen Genuss will sie sich auch künftig nicht versagen. Vielleicht trägt ihre Forschungs­arbeit ja dazu bei, dass er irgendwann von der Liste der verbotenen Lüste gestrichen werden kann. Die Dankbarkei­t von Millionen wäre ihr sicher.

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Süße Versuchung: Noch hat die Forschung keinen Stoff gefunden, der an den Geschmack von Zucker herankommt.

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