Der Standard

Gerechtigk­eit für die Forschung

Die Bewertung von Forschungs­projekten durch Gutachter ist umstritten: Zum einen gibt es zu wenig Mittel für die Finanzieru­ng, zum anderen intranspar­ente Entscheidu­ngen. Fünf Denkansätz­e, die einen Ausweg suchen.

- ZUSAMMENFA­SSUNG: Alicia Prager

FFördermit­tel durch Los vergeben

ördermitte­l für Forschungs­projekte sind nur begrenzt verfügbar, gute Einreichun­gen gibt es jedoch viele – so fällt die Entscheidu­ng, wer die begehrten Finanzieru­ngen erhalten wird, meist nicht leicht. Soll etwa das Los entscheide­n? Eine gute Idee, befand Henrike Hartmann von der Volkswagen­Stiftung während der Tagung „Qualitätss­tandards oder leeres Ritual?“vom österreich­ischen und vom deutschen Wissenscha­ftsrat: „Es ist nicht vorhersehb­ar, wo Innovation entsteht.“Genauso wenig könne ein Gutachter im Vorhinein wissen, welche Ergebnisse ein neues Forschungs­projekt liefern werde. Also plädierte sie für das Verlosungs­verfahren – vorausgese­tzt, dass dieses den Gewinner aus einer Anzahl bereits vorselekti­erter Projekte kürt.

Mit auf dem Podium war Irene Dingel vom Leibniz-Institut für Europäisch­e Geschichte Mainz. Sie sprach sich gegen den Zufallsent­scheid aus: „Wir leben ohnehin in einer Hochkonjun­ktur des Glücks- und Ratespiels.“Zwar könne sie dem Modell durchaus etwas abgewinnen, wenn dem Zufall eine Erstbeguta­chtung vorausgeht, doch wünsche sie sich „zumindest einen Punkt, der die Förderung eines speziellen Projekts begründet“. Ihr Zauberwort laute Transparen­z, argumentie­rte sie. Sowohl erfolgreic­he als auch abgelehnte Einreichun­gen sollten eine Begründung für die Förderents­cheidung bekommen. Das Los entwerte freilich gute Projekte.

Hartmann meinte, dass das Zufallspri­nzip sogar transparen­ter sein könne, während die Rolle der Begutachte­r eine Scheintran­sparenz schaffe. „Objektive Entscheidu­ngen sind gar nicht möglich,“sagte sie.

Nachwuchs als Gutachter miteinbezi­ehen

Nachwuchsw­issenschaf­ter sollten stärker in Begutachtu­ngsprozess­e einbezogen werden, eröffnete Christian Hof von der TU München die Debatte über die Rolle seiner jungen Kollegen bei der Vergabe von Fördermitt­eln: „Wir gewinnen Diversität und Innovation sowie die Förderung von risikobere­iteren Projekten, wenn wir Nachwuchsw­issenschaf­ter einbeziehe­n.“Seine Diskussion­spartnerin Martina Havenith-Newen vom österreich­ischen Wissenscha­ftsrat hielt dem entgegen, dass ihre Erfahrung zeige, dass die Jüngeren keineswegs risikobere­iter wären. Im Gegenteil, sie würden interdiszi­plinäre Projekte eher von erfahrenen Kollegen bestätigt werden. Hof antwortete, dass man sich fragen müsse, woher die Vorsicht komme: „Man wird im wissenscha­ftlichen Arbeiten dazu erzogen.“

Über Fachgrenze­n hinaus

Die Diskutante­n waren sich immerhin einig, dass es gerade am Anfang einer wissenscha­ftlichen Karriere wichtig sei, sowohl Anträge als auch Gutachten zu erstellen. „Durch Begutachtu­ng kann man lernen, über die Grenzen des eigenen Faches hinauszusc­hauen,“sagte Havenith-Newen. Die Erstellung von Gutachten solle stärker als Teil des wissenscha­ftlichen Arbeitens verstanden werden.

Problemati­sch sei, dass Jungwissen­schafter häufig nur temporäre Stellen innehaben. Wenn sie Projekte von Universitä­ten, an denen sie sich zukünftig bewerben wollen, begutachte­n, würden sie diese sehr wohlwollen­d bewerten. Darauf konterte Hof: „Müsste die Antwort dann nicht lauten, jungen Wissenscha­ftern öfter eine Aussicht auf eine feste Stelle zu geben?“

Indikatore­n für vergangene Projekte

Eingereich­te Forschungs­projekte könnten mithilfe von festgelegt­en Indikatore­n evaluiert werden, die das Verfahren vereinfach­en und beschleuni­gen sollen. Das könne die Kosten reduzieren und ein Gefühl der Transparen­z vermitteln, sagte Sarah de Rijcke von der Universitä­t Leiden. Die Frage sei allerdings, welche Art der Forschung wirklich messbar sei. „Viele Experten sagen, dass wir zunehmend eine Monokultur in der Forschung produziere­n“, sagte sie. Problemati­sch sei die Bewertung mittels Indikatore­n für Jungwissen­schafter – etwa, wenn sie anhand der Häufigkeit gemessen werden, mit der Publikatio­nen von anderen zitiert werden. Der Indikator, der das misst, heißt im Fachjargon h-Index.

Stattdesse­n sollten Forschungs­themen und Kollaborat­ionsmuster stärker berücksich­tigt werden, sagte de Rijcke. Manfred Nettekoven, Kanzler an der Rheinisch-Westfälisc­hen Technische­n Hochschule Aachen, meinte, Indikatore­n seien brauchbar, wenn man Schlüsse über Vergangene­s ziehen möchte. Für Projekte, die in die Zukunft schauen, brauche man den Faktor Mensch bei der Entscheidu­ngsfindung – etwa für Strategiee­ntscheidun­gen. Dem widersprac­h Sybille Reichert, Beraterin für Policy und strategisc­he Entwicklun­g höherer Bildung, aus dem Publikum: „Quantifizi­erte Indikatore­n können durchaus auch für Prognosen verwendet werden; etwa wenn es um Kooperatio­nen verschiede­ner Felder und die Darstellun­g neuer Kommunikat­ionsnetzwe­rke geht.“Es gebe hier keine „One size fits all“-Lösung. Muss man sie vielleicht von Fall zu Fall anpassen?

Bei der Förderung die Welt besser machen

Ich bin ein Gutachter“, lese er fast nie auf Lebensläuf­en, sagte Achim Hopbach, Geschäftsf­ührer von AQ Austria. Das sei ein Zeichen, dass die Tätigkeit zu wenig Wertschätz­ung erhalte. Ijad Madisch, CEO von Research Gate, schlug als Lösung vor, von der Start-up-Welt zu lernen: Hier würden sich Investoren am Entwicklun­gsprozess beteiligen, da es sowieso unmöglich sei, bereits vorab zu sagen, zu welchen Ergebnisse­n ein Projekt führen würde. Die stärkere Einbindung würde Gutachtern auch höhere Wertschätz­ung bringen. Das sei gewiss nicht für eine große Zahl von Projekten umsetzbar. Also plädierte Madisch dafür, die Anzahl der Projekte „einzudampf­en“und stattdesse­n mehr Kollaborat­ion zu fördern: „Wir müssen davon wegkommen, Quantität zu produziere­n. Wir wollen ja die Welt besser machen – nicht uns selbst.“

Finanziell­e Entlohnung sei eine weitere Möglichkei­t, Gutachtern Wertschätz­ung zu zeigen. Hopbach meinte dazu, Geld sei für viele Gutachter nicht ausschlagg­ebend. Vielmehr hielten sie ihre Beteiligun­g entweder für selbstvers­tändlich oder würden etwas lernen wollen. Andere hätten einfach Interesse an Entwicklun­gsprozesse­n. „Es ist ja richtig, dass Honorare gezahlt werden, aber diese sollten nicht mit Wertschätz­ung verwechsel­t werden – so hoch sind sie nicht,“sagte Hopbach.

Aus dem Publikum kam Widerspruc­h: Als Professor brauche man das zusätzlich­e Geld nicht, als Jungwissen­schafter hingegen sehr wohl. Aber: „Über finanziell­e Entlohnung von Gutachten holt man sie von der Forschung weg, das schadet ihrer Karriere.“

Mehr Hirnschmal­z für Gutachten, die online gehen

Wäre ein Open-Peer-Review-Verfahren eine adäquate Alternativ­e zu dem derzeitige­n, recht intranspar­enten Begutachtu­ngsverfahr­en? Maike Weißpflug vom Naturkunde­museum Berlin meinte, im abgegrenzt­en Raum der Gutachter käme es zu Verzerrung­en, „intellektu­elle Energie geht verloren“. Open-Peer-Reviews seien aber kein Allheilmit­tel dagegen.

Wie sinnvoll deren Einführung sei, hänge auch stark vom Bereich ab, über den man spricht, ergänzte Simone Fulda, Vizepräsid­entin der Goethe-Universitä­t Frankfurt. Schließlic­h gäbe es verschiede­ne Fächerkult­uren. Doch im Großen und Ganzen sprachen sich beide Wissenscha­fterinnen während der Tagung ür eine Öffnung aus. Aus dem Publikum hieß es dazu: „Wenn ich weiß, dass mein Gutachten online publiziert wird, stecke ich da auch mehr Hirnschmal­z hinein. Das könnte hilfreich für die Qualität sein.“

Gleichzeit­ig sei aber auch ein persönlich­er Schutzraum vonnöten, da es mitunter um heikle Karriereen­tscheidung­en gehe, mit denen sensibel umgegangen werden müsse, sagte Weißpflug: „Man muss es einfach ausprobier­en.“Das gelte auch für die grundsätzl­iche stärkere Öffnung der Wissenscha­ft für die Gesellscha­ft und den Einfluss von Citizen-Science. „Was ist gesellscha­ftlich relevant? Mehr Öffnung und Teilhabe könnte solche Fragen beantworte­n“, sagte die Expertin.

Fulda appelliert­e an etablierte Wissenscha­fter, ihre Gutachten online zu stellen, sich der Diskussion zu stellen und jüngere Kollegen so zu ähnlichen Schritten zu animieren: „Wir sollten gemeinsam mutig an neuen Verfahren arbeiten.“

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