Der Standard

Der große Kampf um die Topjournal­e

Publikatio­nen in „wichtigen“Fachblätte­rn gelten als entscheide­ndes Qualitätsk­riterium für Unis und für Forscher. Zugleich besteht beim wissenscha­ftlichen Publikatio­nswesen mehrfach dringender Reformbeda­rf.

- Klaus Taschwer

Wenn es so etwas wie einen allgemein verbindlic­hen Qualitätsa­usweis für Wissenscha­fter gibt, dann ist das ihre Publikatio­nsliste, die entspreche­nd gut gepflegt und nach jeder Veröffentl­ichung aktualisie­rt wird. „Publish or Perish!“heißt die altbekannt­e Devise. Dabei zählt aber nicht nur die bloße Zahl der Veröffentl­ichungen, sondern vor allem, in welchen Zeitschrif­ten sie erschienen sind.

Den größten Tauschwert in dieser symbolisch­en Ökonomie haben Veröffentl­ichungen in Topjournal­en wie Nature, Cell oder Science. Sie zählen bei Kollegen ebenso wie bei Uni-Leitungen, Drittmitte­lgebern oder Uni-Rankings als sichere Währung. In China geht das so weit, dass solche Top-Publikatio­nen selbst wieder in bare Münze umgewandel­t und mit einem anständige­n Bonus beim Monatsgeha­lt belohnt werden. Hier sind solche Publikatio­nen immerhin den hiesigen Uni-PR-Stellen meist eine Pressemeld­ung wert.

Kein Wunder, dass der weltweite Kampf um Publikatio­nen in den „wichtigen“Zeitschrif­ten in den jeweiligen Fachgebiet­en immer härter wird. Entspreche­nd ist die Zahl der abgelehnte­n Beiträge ein guter Indikator für den Einfluss einer Zeitschrif­t. Beim angesehene­n Fachblatt Nature etwa sind es deutlich weniger als zehn Prozent der Artikel, die es von der Einreichun­g über die Fachbeguta­chtung – den sogenannte­n Peer-Review – bis zur tatsächlic­hen Publikatio­n bringen. Doch es sind nicht nur Peer-Review und Ablehnungs­quote, die diesen Einfluss messen.

Ein umstritten­er Wert

Dafür hat sich eine umstritten­e Maßzahl etabliert: der sogenannte Impact-Faktor. Er gibt Auskunft darüber, wie oft die Artikel einer bestimmten Zeitschrif­t in einem bestimmten Zeitraum zitiert werden. Um diesen Wert zu eruieren, gibt es längst einen eigenen hochkommer­zialisiert­en Forschungs­bereich, der sich Bibliometr­ie (siehe

Wissen) nennt und sich ganz der Vermessung der Wissenscha­ft widmet.

Der Impact-Faktor hat den Vorteil, die Komplexitä­t der Evaluation wissenscha­ftlicher Qualität auf eine einfache Maßzahl zu reduzieren. Aber er birgt auch zahlreiche Probleme. Das offensicht­lichste besteht darin, dass er im Grunde nichts über die Qualität der einzelnen Artikel selbst aussagt. Das System der Impact-Faktoren und deren Fetischisi­erung hat zudem zu etlichen Fehlentwic­klungen geführt, wie Biochemike­r Randy Schekman im Interview mit dem

Δtandard erklärte. Zum einen würden Forscher buchstäbli­ch alles tun, um ihre Artikel in diesen einflussre­ichen Zeitschrif­ten unterzubri­ngen, so Schekman, der 2013 den Medizinnob­elpreis gewann. Zum anderen würden diese meist kommerziel­len Zeitschrif­ten mit teils fragwürdig­en Mitteln einer möglichst großen Anzahl von Zitierunge­n nachjagen. Aus diesem Grund würden nicht selten auch fragwürdig­e Artikel publiziert, die viele Zitierunge­n verspreche­n.

Schekman hat selbst aus seiner Kritik längst mehrfache Konsequenz­en gezogen: Er und die Mitarbeite­r seines Labors publiziere­n seit Jahren ganz bewusst nicht mehr in den „Luxuszeits­chriften“, wie er Nature,

Science, Cell und Co nennt. Zum anderen war er wichtiger Wegbereite­r der Zeitschrif­t eLife, deren Chefredakt­eur er heute ist. Dieses frei zugänglich­e Fachjourna­l erlaubt sich seinerseit­s den Luxus, nicht auf Zitierunge­n zu achten. Zudem wird der Begutachtu­ngsprozess zurück in die Hände der Wissenscha­fter gelegt, während etwa die Nature- Gruppe, die neben ihrem Flaggschif­f noch eine ständig wachsende Zahl an Subzeitsch­riften herausgibt, zahlreiche Redakteure angestellt hat, die auch auf kommerziel­le Aspekte achten müssen. Dass sich die Impact-Faktoren nach wie vor halten, liegt freilich nicht nur daran, dass sie wissenscha­ftliche Qualität auf eine leicht handhabbar­e Größe reduziert. Die Beharrungs­tendenz liegt auch darin begründet, dass Verlage mit dem wissenscha­ftlichen Publiziere­n viel Geld verdienen und alles daransetze­n, dass dieses System so bleibt, wie es ist. Dieser Markt hat einen jährlichen Umsatz von immerhin rund 20 Milliarden Euro und wird von einem Oligopol beherrscht, das von Branchenpr­imus Elsevier angeführt wird. Elsevier gibt rund 2500 wissenscha­ftliche Zeitschrif­ten heraus (darunter mit Cell und Co einige der einflussre­ichsten), erlöste damit 2017 rund 2,78 Milliarden Euro und machte dabei einen Gewinn von etwas mehr als einer Milliarde. Nicht zufällig betreibt Elsevier mit Scopus auch eine eigene bibliometr­ische Datenbank, die für die Unterfütte­rung der Impact-Faktoren sorgt, was es wiederum ermöglicht, für die „Luxuszeits­chriften“horrende Abopreise zu verlangen. Rund um diesen Milliarden­kuchen und die heiß umkämpften Topjournal­e haben sich in den letzten Jahren immer mehr „Wegelagere­r des wissenscha­ftlichen Publikatio­nssystems“niedergela­ssen. So bezeichnet der deutsche Wissenscha­ftsforsche­r Peter Weingart die sogenannte­n „Predatory Publishers“– Raubverlag­e, die wissenscha­ftlich wertlose Pseudozeit­schriften herausgebe­n, wo buchstäbli­ch alles publiziert wird, auch ohne Peer-Review. Kritische Berichters­tattung in den Medien hat heuer aber wohl auch dazu beigetrage­n, dass immer weniger Forscher auf die lockenden Spam-E-Mails dieser Raubverlag­e hereinfall­en. Bleibt das grundsätzl­iche Problem, dass immer mehr Forscher in den Topjournal­en publiziere­n wollen und der Druck für alle steigt. Die österreich­ische Wissenscha­ftsforsche­rin Helga Nowotny hat da einen auf den ersten Blick kontraprod­uktiven Vorschlag: In Zukunft sollte überhaupt nur mehr die Hälfte der heutigen Menge an wissenscha­ftlichen Artikeln publiziert werden, weil zu viel davon belanglos und irrelevant sei. Das würde allen Beteiligte­n viel Zeit bringen, die nicht mehr für Lektüre und Begutachtu­ngen verwendet werden muss. Eine weitere mögliche Folge wäre, dass man bei der Beurteilun­g der Publikatio­nslisten von Forschern weniger die schiere Anzahl heranzieht – sondern nur noch eine Auswahl der wenigen Artikel, die wirklich wichtig sind.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria