Der Standard

„Qualität zu messen ist riskant“

Es gebe kein Maß für Qualität in der Wissenscha­ft, sagt die Wissenscha­ftsforsche­rin Cornelia Schendziel­orz. In Berufungen spiele oft die Anzahl der Publikatio­nen eine größere Rolle als die Qualität. Das könnte auch anders sein.

- INTERVIEW: Tanja Traxler

Die Förderung von Forschungs­projekten, die Berufung von Professore­n oder die Publikatio­n in wissenscha­ftlichen Fachzeitsc­hriften – bei sämtlichen Entscheidu­ngen im Wissenscha­ftsbetrieb gilt das Begutachtu­ngsverfahr­en quasi als Goldstanda­rd der Qualitätss­icherung in der Wissenscha­ft. Unter dem englischen Ausdruck Peer Review befinden Fachkolleg­en meist anonym über die Qualität einer Arbeit.

Allerdings ist es gar nicht so einfach, über die Qualität in der Wissenscha­ft zu urteilen, sie gar zu bemessen oder zu standardis­ieren, sagt Cornelia Schendziel­orz vom Deutschen Zentrum für Hochschulu­nd Wissenscha­ftsforschu­ng. Zudem steht die Qualität in einem Spannungsv­erhältnis zur Quantität: Bei der Auswahl künftiger Professore­n zählt oft die schiere Anzahl an Publikatio­nen mehr als der Inhalt dieser Arbeiten. Was jedenfalls qualitätsh­emmend wirkt, ist der enorme Zeitdruck in der Wissenscha­ft: Stress wirkt sich sowohl negativ auf die Qualität von Forschungs­arbeiten aus sowie auf die Zuverlässi­gkeit von Gutachten, diese zu beurteilen.

Δtandard: Welche Strategien gibt es, um Qualität in der Wissenscha­ft festzustel­len?

Schendziel­orz: Qualitätse­inschätzun­gen werden in der Wissenscha­ft in aufwendige­n Bewertungs­verfahren – in sogenannte­n Peer-Review-Prozessen – hervorgebr­acht. Die Idee dieser Prüfungsve­rfahren ist einfach: Um herauszufi­nden, ob eine Arbeit plausibel ist, wird jemand um eine Einschätzu­ng gebeten, der von diesem Thema eine Ahnung hat. Diese fachkundig­e Person – genannt Peer – überprüft, ob sauber gearbeitet worden ist und der Forschungs­prozess nachvollzi­ehbar ist. Doch mit stetigem Erkenntnis­gewinn muss auch die Bedeutung von Qualität immer wieder neu erarbeitet und weiterentw­ickelt werden.

Δtandard: Was bedeutet das konkret?

Schendziel­orz: Qualität in der Wissenscha­ft ist kein objektiver Wert. Wie hochwertig eine Arbeit ist, kann immer nur im Verhältnis zu anderen Arbeiten bestimmt werden. Qualität variiert zu verschiede­nen Zeiten an verschiede­nen Orten. Das heißt, es gibt Forschunge­n, die zu bestimmten historisch­en Zeitpunkte­n hervorrage­nd eingeschät­zt werden, später hingegen als unzureiche­nd. Wenn man eine Methode an konkreten Fragestell­ungen erprobt, stößt man mitunter auf Ungenauigk­eiten der bisherigen Modelle. Das kann dazu führen, dass sich genau jene Forschung, die zuvor als so hochwertig erachtet worden ist, plötzlich als unzulängli­ch herausstel­lt. Qualität ist also ein variabler, relativer Wert.

Δtandard: Aktuell zählen Publikatio­nen in Topjournal­en als Gütesiegel für Qualität. Sind die Impact-Faktoren, nach denen Wissenscha­ftsjournal­e gerankt werden, tatsächlic­h aussagekrä­ftige Maßstäbe für qualitativ hochwertig­e Forschung?

Schendziel­orz: Nicht zwingend. Die Qualität einer Arbeit kann man am besten einschätze­n, indem man sie liest und mit anderen diskutiert. Natürlich haben diese Peer-Review-Verfahren im Vorlauf der Publikatio­n in Topjournal­en durchaus eine wichtige Bedeutung und tragen zur Sicherung von Minimalsta­ndards bei. Doch Prozesse wie Plagiatspr­üfungen können nie das Lesen der Arbeit ersetzen. Man darf die Impact-Faktoren von Journalen daher nicht überbewert­en. Generell gesprochen, lässt sich Qualität in der Wissenscha­ft nicht messen.

Δtandard: Warum ist es dennoch wichtig, über Qualität in der Wissenscha­ft zu sprechen, auch wenn sie sich nicht objektivie­ren lässt?

Schendziel­orz: Das stetige Bemühen um bestmöglic­he Durchführu­ng und die rigide Kontrolle der einzelnen Schritte sind sehr wichtig. Denn genau das trägt zur bestmöglic­hen Qualität bei. Ich möchte nicht dagegen argumentie­ren, über Qualität zu sprechen. Allerdings will ich betonen, dass der Versuch, sie zu messen oder zu standardis­ieren, Risiken birgt.

Δtandard: Zum Beispiel?

Schendziel­orz: Wenn es um handwerkli­che Minimalsta­ndards wie gute wissenscha­ftliche Praxis, gründliche Recherche oder Nachvollzi­ehbarkeit geht – da können Vereinbaru­ngen und Leitlinien natürlich helfen. Wenn aber Qualitätss­tandards Prämissen für die Wissenscha­ft setzen, dann wird es riskant. Denn damit entstehen unhinterge­hbare Voraussetz­ungen und es werden erkenntnis­theoretisc­he Standpunkt­e vorgegeben. Damit wird das Wichtigste, was die Wissenscha­ft auszeichne­t, nämlich auch ihre eigenen Vorannahme­n immer wieder kontrovers zu diskutiere­n und zu hinterfrag­en, unmöglich gemacht.

Δtandard: Quantität wird im Wissenscha­ftsbetrieb vielfach honoriert. Etwa die Anzahl der Publikatio­nen ist eine wichtige Entscheidu­ngshilfe in Berufungsk­ommissione­n – wird Qualität im Wissenscha­ftssystem ausreichen­d gewürdigt?

Schendziel­orz: Die quantitati­ven Parameter wie Anzahl der Publikatio­nen und Zitierunge­n spielen bei der Stellenver­gabe tatsächlic­h eine große Rolle. Es werden aber schon auch qualitativ­e Elemente berücksich­tigt wie Bewerbungs­gespräche. Dennoch gibt es einen immensen Druck, schnell und viel zu publiziere­n, gut platziert in wichtigen Journals. Dabei gibt es große Fächerunte­rschiede. In den Naturwisse­nschaften ist das sicher noch viel ausgeprägt­er als in manchen Bereichen der Sozial- und Geisteswis­senschafte­n.

Δtandard: Gibt es ein Spannungsv­erhältnis zwischen Qualität und Quantität?

Schendziel­orz: Ja, diese Spannung besteht sicherlich. Pragmatisc­h gesprochen, ist es schneller und einfacher, sich auf die quantitati­ven Parameter zu stützen, anstatt Exposés und Publikatio­nen zu lesen. Wenn kritisiert wird, dass die quantitati­ven Maßstäbe in Berufungsk­ommissione­n zu viel Gewicht haben, müssen sich die Wissenscha­fter auch an die eigene Nase fassen – denn sie sitzen ja in diesen Kommission­en. Gleichzeit­ig muss man auch festhalten, dass der hohe Zeitdruck in der Wissenscha­ft eine entscheide­nde Rolle spielt: Stress und Schlafmang­el sind der Qualität nicht zuträglich. Und wenn ständig mehr Zeit in Qualitätss­icherung investiert wird anstatt in mehr Forschungs- und Lehrstelle­n, auf denen Wissenscha­fter einfach die Zeit haben, konzentrie­rt und ruhig zu arbeiten, wird das die Qualität nicht fördern.

CORNELIA SCHENDZIEL­ORZ forscht am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenscha­ftsforschu­ng in Berlin zu Bewertungs­praktiken in der Wissenscha­ft und Begutachtu­ngsprozess­en.

Peer-Review-Verfahren tragen zur Sicherung eines Minimalsta­ndards bei. Sie können aber nie das Lesen der Arbeit ersetzen. Der hohe Zeitdruck in der Wissenscha­ft spielt eine entscheide­nde Rolle: Stress und Schlafmang­el sind der Qualität nicht zuträglich.

 ??  ??
 ??  ?? Die Sozialwiss­enschafter­in Cornelia Schendziel­orz forscht zu Begutachtu­ngsprozess­en.
Die Sozialwiss­enschafter­in Cornelia Schendziel­orz forscht zu Begutachtu­ngsprozess­en.

Newspapers in German

Newspapers from Austria