Rechtswidrige Mindestsicherung
EuGH kippte oberösterreichisches Gesetz
Wien – Die Kürzungspläne von ÖVP und FPÖ bei der Mindestsicherung haben einen weiteren Dämpfer erhalten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Mittwoch die oberösterreichische Regelung gekippt, laut der befristet Asylberechtigte deutlich geringere Leistungen bekamen.
Die Bundesregierung plant zwar ein anderes Modell, das Kürzungen im Fall von mangelnden Deutschkenntnissen vorsieht. Der Sozialrechtsexperte Walter Pfeil geht aber angesichts der EuGH-Judikatur davon aus, dass auch das aufgehoben würde. (red)
Es ist nicht so, dass nicht von zahlreichen Experten auf die mögliche Rechtswidrigkeit hingewiesen worden wäre. Seit Mittwoch hat es die schwarzblaue Koalition in Oberösterreich aber schriftlich. Die Kürzung der Mindestsicherung für Flüchtlinge, die nur einen befristeten Aufenthaltstitel haben, ist europarechtswidrig. Das Urteil hat auch Implikationen auf die von der Bundesregierung geplante Reform der Mindestsicherung. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen zum Thema:
Frage: Warum darf Oberösterreich Flüchtlinge nicht schlechterstellen? Antwort: Der EuGH stellt unmissverständlich fest: Die Mitgliedsstaaten müssen Flüchtlingen, denen sie diesen Status zuerkennen, Sozialleistungen in gleicher Höhe gewähren wie ihren eigenen Staatsangehörigen. Dabei spiele es keine Rolle, ob sie einen befristeten oder unbefristeten Aufenthaltstitel bekommen.
Frage: Wie war die Mindestsicherung für befristet Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte bisher in Oberösterreich geregelt? Antwort: Die Mindestsicherung wurde für diese Gruppe gekürzt. Während der Satz für Alleinstehende und Alleinerzieher normalerweise 921 Euro beträgt, erhalten befristet Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte in Oberösterreich seit 2016 nur noch 365 Euro plus einen an Auflagen gebundenen Integrationsbonus von 155 Euro.
Frage: Wie kam es überhaupt zu dem EuGH-Verfahren? Antwort: Konkret geht es um eine Klage des Flüchtlings Ahmad Shah Ayubi gegen die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land. Ayubi war am 30. September 2016 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Flüchtlingsstatus zugesprochen worden. Dabei wurde eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter gewährt. Mit einem am 10. April 2017 zugestellten Bescheid erkannte ihm die BH eine Hilfe zu, die sich an den reduzierten Sätzen orientierte. Ayubi erhob im Juni 2017 Beschwerde gegen diesen Bescheid. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich setzte das Verfahren zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH aus.
Frage: Hat der Europäische Gerichtshof nun auch die 2017 eingeführte Deckelung von 1512 Euro pro Haushalt gekippt? Antwort: Nein. Aufgehoben wurde vom EuGH nur die Kürzung für befristet Asylberechtigte, den „Deckel“für Familien prüft aber aktuell der Verfassungsgerichtshof. Eine Entscheidung wird im Dezember erwartet.
Frage: Gilt das EuGH-Urteil ab sofort? Antwort: Ja, das Land darf die Diskriminierung von Flüchtlingen ab sofort nicht mehr anwenden. Frage: Wie viele Personen sind in Oberösterreich von der Kürzung der Mindestsicherung betroffen? Antwort: Im September waren es laut dem Büro von Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer 597, 383 davon waren befristet Asylberechtigte.
Frage: Bekommen alle Betroffenen rückwirkend mehr Geld oder nur jene, die gegen die Kürzung berufen haben? Antwort: Das ist noch nicht geklärt. Die Juristen des Landes prüfen das momentan. Somit ist auch unklar, wie hoch die Gesamtkosten für die Nachzahlungen ausfallen und wie das genaue Prozedere für die Auszahlung aussieht.
Frage: Hat das Urteil Auswirkungen auf die Pläne der Bundesregierung? Will Türkis-Blau Flüchtlinge auch schlechterstellen? Antwort: Ja, aber anders als Oberösterreich. Bezieher sollen eine um 300 Euro niedrigere Leistung erhalten, wenn sie keine ausreichenden Sprachkenntnisse nachweisen können. Voraussetzung soll demnach Deutschniveau auf B1 oder Englisch auf C1 sein. Es wird aber nicht direkt auf Flüchtlinge abgestellt. Theoretisch bekämen also auch Österreicher mit Deutschdefiziten eine reduzierte Leistung.
Frage: Kann eine solche Regelung rechtlich halten? Antwort: Der auf die Mindestsicherung spezialisierte Sozialrechtler Walter Pfeil geht davon aus, dass auch dieses Modell vom EuGH gekippt würde. Es handle sich um eine „mittelbare Diskriminierung“, weil Flüchtlinge typischerweise viel stärker betroffen seien.
Frage: Wie könnte man dieses Problem lösen? Antwort: Die Abfolge müsste umgedreht werden, meint Experte Pfeil. Grundsätzlich müssten also alle die gleiche Leistung bekommen. Weigert sich jemand aber, binnen einer bestimmten Frist einen Sprachkurs zu absolvieren, dann wäre eine Kürzung zulässig. Das sei vergleichbar mit Kürzungen, die es jetzt schon bei Arbeitsunwilligkeit gibt.
Frage: Wird die Regierung ihre Pläne nun adaptieren? Antwort: Es sieht nicht so aus. Sozialministerin Beate HartingerKlein (FPÖ) ließ am Mittwoch ausrichten: „Wir befinden uns in den Endverhandlungen. Unser Vorschlag ist verfassungskonform und berücksichtigt die Problematik des EuGH-Urteils.“
Frage: Wollte die Regierung bei der Mindestsicherung nicht auch eine Obergrenze einführen? Antwort: Eine starre Grenze von 1500 Euro hat der Verfassungsgerichtshof bereits in Niederösterreich gekippt. Die Regierung will daher einen anderen Weg einschlagen. Es gibt keine fixe Obergrenze, aber die Kinderzuschläge sinken rasant. Für das erste Kind gibt es noch 25 Prozent des Grundbetrags, für das zweite nur noch 15 und ab dem dritten Kind maximal fünf Prozent. Pfeil hält aber auch das für verfassungswidrig, weil die Kürzung „unsachlich“sei. Es sei nicht zu argumentieren, dass die Kosten für das dritte Kind um so viel niedriger seien als für das erste. Ob sich die Regierung noch irgendwo bewegt, könnte nächste Woche klar sein. Dann soll nämlich ein konkreter Entwurf vorgelegt werden.
Steuerwettbewerb gilt unter einer kapitalismuskritischen Linken als Schlachtruf des Neoliberalismus. Nicht ganz zu Unrecht: Großkonzerne spielen Staaten gegeneinander aus, um möglichst geringe Abgaben herauszuschlagen. Innerhalb der EU gelten etwa die Niederlande, Irland und Luxemburg als schwarze Schafe.
Mit einem Vorschlag zur Harmonisierung der Unternehmenssteuern hat Brüssel auf diese Vorwürfe reagiert. Das Modell legt fest, wo Gewinne anfallen, und verhindert damit, dass Konzerne Profite in Steueroasen verschieben. Kritiker fordern darüber hinaus, dass die EU nicht nur komplizierte Regeln vereinheitlicht und transparent macht, sondern eine Mindeststeuer für Gewinne vorschreibt.
Das wäre jedoch problematisch. Denn das Unfaire an Steuerwettbewerb ist nicht die Höhe der Steuersätze an sich. Stattdessen sind es Tricks und Schlupflöcher, die nur mit einer Armada an Anwälten optimiert werden können. Somit haben vor allem Großkonzerne davon Gebrauch gemacht, während der Mittelstand durch die Finger schaut.
Sollte jedoch die EU eine Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne festschreiben, würde sie 27 Staaten über einen Kamm scheren. Damit wäre der positive Effekt des Wettbewerbs unterdrückt: Die Politik sollte einen Anreiz haben, einen attraktiven Standort für die Wirtschaft zu gestalten. Für Länder mit niedrigerer Produktivität, schlechterer Lage, weniger attraktiven Ortschaften und geringeren Sozialausgaben ist eine Senkung der Gewinnsteuern ein wichtiger Hebel, um Investoren anzulocken.
Ein Kompromiss, den etwa auch die Arbeiterkammer vorschlägt, wäre, temporäre Ausnahmen für osteuropäische Länder zuzulassen. Das wäre ein richtiger Schritt, löst aber nicht das Grundproblem: Nur ein transparenter Steuerwettbewerb diszipliniert Politiker, sparsam mit Steuergeldern umzugehen.