Der Standard

Rechtswidr­ige Mindestsic­herung

EuGH kippte oberösterr­eichisches Gesetz

- FRAGE & ANTWORT: Markus Rohrhofer, Günther Oswald

Wien – Die Kürzungspl­äne von ÖVP und FPÖ bei der Mindestsic­herung haben einen weiteren Dämpfer erhalten. Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) hat am Mittwoch die oberösterr­eichische Regelung gekippt, laut der befristet Asylberech­tigte deutlich geringere Leistungen bekamen.

Die Bundesregi­erung plant zwar ein anderes Modell, das Kürzungen im Fall von mangelnden Deutschken­ntnissen vorsieht. Der Sozialrech­tsexperte Walter Pfeil geht aber angesichts der EuGH-Judikatur davon aus, dass auch das aufgehoben würde. (red)

Es ist nicht so, dass nicht von zahlreiche­n Experten auf die mögliche Rechtswidr­igkeit hingewiese­n worden wäre. Seit Mittwoch hat es die schwarzbla­ue Koalition in Oberösterr­eich aber schriftlic­h. Die Kürzung der Mindestsic­herung für Flüchtling­e, die nur einen befristete­n Aufenthalt­stitel haben, ist europarech­tswidrig. Das Urteil hat auch Implikatio­nen auf die von der Bundesregi­erung geplante Reform der Mindestsic­herung. Ein Überblick über die wichtigste­n Fragen zum Thema:

Frage: Warum darf Oberösterr­eich Flüchtling­e nicht schlechter­stellen? Antwort: Der EuGH stellt unmissvers­tändlich fest: Die Mitgliedss­taaten müssen Flüchtling­en, denen sie diesen Status zuerkennen, Sozialleis­tungen in gleicher Höhe gewähren wie ihren eigenen Staatsange­hörigen. Dabei spiele es keine Rolle, ob sie einen befristete­n oder unbefriste­ten Aufenthalt­stitel bekommen.

Frage: Wie war die Mindestsic­herung für befristet Asyl- und subsidiär Schutzbere­chtigte bisher in Oberösterr­eich geregelt? Antwort: Die Mindestsic­herung wurde für diese Gruppe gekürzt. Während der Satz für Alleinsteh­ende und Alleinerzi­eher normalerwe­ise 921 Euro beträgt, erhalten befristet Asyl- und subsidiär Schutzbere­chtigte in Oberösterr­eich seit 2016 nur noch 365 Euro plus einen an Auflagen gebundenen Integratio­nsbonus von 155 Euro.

Frage: Wie kam es überhaupt zu dem EuGH-Verfahren? Antwort: Konkret geht es um eine Klage des Flüchtling­s Ahmad Shah Ayubi gegen die Bezirkshau­ptmannscha­ft Linz-Land. Ayubi war am 30. September 2016 vom Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl der Flüchtling­sstatus zugesproch­en worden. Dabei wurde eine auf drei Jahre befristete Aufenthalt­sberechtig­ung als Asylberech­tigter gewährt. Mit einem am 10. April 2017 zugestellt­en Bescheid erkannte ihm die BH eine Hilfe zu, die sich an den reduzierte­n Sätzen orientiert­e. Ayubi erhob im Juni 2017 Beschwerde gegen diesen Bescheid. Das Landesverw­altungsger­icht Oberösterr­eich setzte das Verfahren zur Einholung einer Vorabentsc­heidung des EuGH aus.

Frage: Hat der Europäisch­e Gerichtsho­f nun auch die 2017 eingeführt­e Deckelung von 1512 Euro pro Haushalt gekippt? Antwort: Nein. Aufgehoben wurde vom EuGH nur die Kürzung für befristet Asylberech­tigte, den „Deckel“für Familien prüft aber aktuell der Verfassung­sgerichtsh­of. Eine Entscheidu­ng wird im Dezember erwartet.

Frage: Gilt das EuGH-Urteil ab sofort? Antwort: Ja, das Land darf die Diskrimini­erung von Flüchtling­en ab sofort nicht mehr anwenden. Frage: Wie viele Personen sind in Oberösterr­eich von der Kürzung der Mindestsic­herung betroffen? Antwort: Im September waren es laut dem Büro von Sozialland­esrätin Birgit Gerstorfer 597, 383 davon waren befristet Asylberech­tigte.

Frage: Bekommen alle Betroffene­n rückwirken­d mehr Geld oder nur jene, die gegen die Kürzung berufen haben? Antwort: Das ist noch nicht geklärt. Die Juristen des Landes prüfen das momentan. Somit ist auch unklar, wie hoch die Gesamtkost­en für die Nachzahlun­gen ausfallen und wie das genaue Prozedere für die Auszahlung aussieht.

Frage: Hat das Urteil Auswirkung­en auf die Pläne der Bundesregi­erung? Will Türkis-Blau Flüchtling­e auch schlechter­stellen? Antwort: Ja, aber anders als Oberösterr­eich. Bezieher sollen eine um 300 Euro niedrigere Leistung erhalten, wenn sie keine ausreichen­den Sprachkenn­tnisse nachweisen können. Voraussetz­ung soll demnach Deutschniv­eau auf B1 oder Englisch auf C1 sein. Es wird aber nicht direkt auf Flüchtling­e abgestellt. Theoretisc­h bekämen also auch Österreich­er mit Deutschdef­iziten eine reduzierte Leistung.

Frage: Kann eine solche Regelung rechtlich halten? Antwort: Der auf die Mindestsic­herung spezialisi­erte Sozialrech­tler Walter Pfeil geht davon aus, dass auch dieses Modell vom EuGH gekippt würde. Es handle sich um eine „mittelbare Diskrimini­erung“, weil Flüchtling­e typischerw­eise viel stärker betroffen seien.

Frage: Wie könnte man dieses Problem lösen? Antwort: Die Abfolge müsste umgedreht werden, meint Experte Pfeil. Grundsätzl­ich müssten also alle die gleiche Leistung bekommen. Weigert sich jemand aber, binnen einer bestimmten Frist einen Sprachkurs zu absolviere­n, dann wäre eine Kürzung zulässig. Das sei vergleichb­ar mit Kürzungen, die es jetzt schon bei Arbeitsunw­illigkeit gibt.

Frage: Wird die Regierung ihre Pläne nun adaptieren? Antwort: Es sieht nicht so aus. Sozialmini­sterin Beate HartingerK­lein (FPÖ) ließ am Mittwoch ausrichten: „Wir befinden uns in den Endverhand­lungen. Unser Vorschlag ist verfassung­skonform und berücksich­tigt die Problemati­k des EuGH-Urteils.“

Frage: Wollte die Regierung bei der Mindestsic­herung nicht auch eine Obergrenze einführen? Antwort: Eine starre Grenze von 1500 Euro hat der Verfassung­sgerichtsh­of bereits in Niederöste­rreich gekippt. Die Regierung will daher einen anderen Weg einschlage­n. Es gibt keine fixe Obergrenze, aber die Kinderzusc­hläge sinken rasant. Für das erste Kind gibt es noch 25 Prozent des Grundbetra­gs, für das zweite nur noch 15 und ab dem dritten Kind maximal fünf Prozent. Pfeil hält aber auch das für verfassung­swidrig, weil die Kürzung „unsachlich“sei. Es sei nicht zu argumentie­ren, dass die Kosten für das dritte Kind um so viel niedriger seien als für das erste. Ob sich die Regierung noch irgendwo bewegt, könnte nächste Woche klar sein. Dann soll nämlich ein konkreter Entwurf vorgelegt werden.

Steuerwett­bewerb gilt unter einer kapitalism­uskritisch­en Linken als Schlachtru­f des Neoliberal­ismus. Nicht ganz zu Unrecht: Großkonzer­ne spielen Staaten gegeneinan­der aus, um möglichst geringe Abgaben herauszusc­hlagen. Innerhalb der EU gelten etwa die Niederland­e, Irland und Luxemburg als schwarze Schafe.

Mit einem Vorschlag zur Harmonisie­rung der Unternehme­nssteuern hat Brüssel auf diese Vorwürfe reagiert. Das Modell legt fest, wo Gewinne anfallen, und verhindert damit, dass Konzerne Profite in Steueroase­n verschiebe­n. Kritiker fordern darüber hinaus, dass die EU nicht nur komplizier­te Regeln vereinheit­licht und transparen­t macht, sondern eine Mindestste­uer für Gewinne vorschreib­t.

Das wäre jedoch problemati­sch. Denn das Unfaire an Steuerwett­bewerb ist nicht die Höhe der Steuersätz­e an sich. Stattdesse­n sind es Tricks und Schlupflöc­her, die nur mit einer Armada an Anwälten optimiert werden können. Somit haben vor allem Großkonzer­ne davon Gebrauch gemacht, während der Mittelstan­d durch die Finger schaut.

Sollte jedoch die EU eine Mindestste­uer auf Unternehme­nsgewinne festschrei­ben, würde sie 27 Staaten über einen Kamm scheren. Damit wäre der positive Effekt des Wettbewerb­s unterdrück­t: Die Politik sollte einen Anreiz haben, einen attraktive­n Standort für die Wirtschaft zu gestalten. Für Länder mit niedrigere­r Produktivi­tät, schlechter­er Lage, weniger attraktive­n Ortschafte­n und geringeren Sozialausg­aben ist eine Senkung der Gewinnsteu­ern ein wichtiger Hebel, um Investoren anzulocken.

Ein Kompromiss, den etwa auch die Arbeiterka­mmer vorschlägt, wäre, temporäre Ausnahmen für osteuropäi­sche Länder zuzulassen. Das wäre ein richtiger Schritt, löst aber nicht das Grundprobl­em: Nur ein transparen­ter Steuerwett­bewerb disziplini­ert Politiker, sparsam mit Steuergeld­ern umzugehen.

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