Michael Häupl über Forschung und Frösche
Michael Häupl widmet sich nach seiner Zeit als Bürgermeister wieder der Wissenschaft. Der Präsident des Wiener Wissenschaftsfonds sieht gerade bei den Geisteswissenschaften Aufholbedarf.
In den vergangenen Jahren ist Wien als Wissenschafts- und Forschungsstandort stetig gewachsen. Auch die Einrichtung des Wiener Wissenschaftsfonds WWTF fiel unter Ihre Zeit als Bürgermeister. Macht Sie das ein bisschen stolz? Häupl: Ich weiß nicht, ob Stolz der richtige Begriff ist. Aber es ist viel Gutes passiert. Wir haben uns vorgenommen, dass Wien nicht nur eine Weltstadt der Kunst, Kultur und Musik ist, sondern auch des Wissens. Wir sind nicht schlecht unterwegs, haben das Ziel aber bei weitem noch nicht erreicht. Dass wir die größte Universitätsstadt im deutschsprachigen Raum sind, ist gut für das Stadtleben. Das Forschungs- und Lehrpersonal ist sehr international, auch die Studierenden. Das ist großartig, auch wenn es andere stört.
In Hochschulrankings sind die österreichischen Unis zuletzt aber abgestiegen ... Häupl: Das liegt in hohem Ausmaß an der Messmethode. Sie beruht nahezu ausschließlich auf Publikationen und Zitierungen. Das ist ein bisschen dürftig. Zur Beurteilung sollte die Innovation zählen, die Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnis in die Wirtschaft.
Welche Baustellen sehen Sie bei der Forschung?
Häupl: Wir haben zwei absolute Highlights: Life-Sciences und Quantenphysik. Es gibt Selbstläufer wie Rechtswissenschaften und Theologie, die sich von selbst reproduzieren. Aber die Geisteswissenschaften müssen wir forcieren. Wir haben international anerkannte Koryphäen. Aber da könnten wir noch besser sein. Natürlich kostet das viel Geld.
Wenn wir in den Life-Sciences so gut sind, wieso kann man internationale Forscher, wie etwa den Genetiker Josef Penninger, nicht halten? Häupl: Dass Penninger nach Vancouver zurückgegangen ist, ist ehrlich gesagt für unseren LifeScience-Bereich ein Segen. Die Kooperationen, die sich mit den rund 80 Instituten, denen er vorsteht, ergeben, bieten uns enorme Möglichkeiten. Ansonsten muss man aber sagen: Die Strukturen der Universität sind auch oft noch im 19. Jahrhundert.
Meinen Sie die Machtkonzentration bei den Professoren, einst Ordinarien? Häupl: Die Ordinarienuniversität war in meiner Studienzeit eigentlich schon überholt. Es hat sich vieles positiv verändert, das ist aber nicht genug. Wenn international anerkannte Wissenschafter nach Wien kommen, kann es nicht sein, dass es so mühsam für sie ist, einen Lehrauftrag zu bekommen. Eigentlich sollte man sie in Samt und Seide wiegen und auf einem Thron herumtragen.
Liegt es an der Politik oder an den Unis selbst, dass sie sich nicht weiterentwickeln? Häupl: Die Universitäten sind autonom. Sie können sich nicht auf die Politik ausreden.
61 Prozent aller Studierenden arbeiten, großteils um ihr Studium zu finanzieren. Braucht es eine Beihilfenreform? Häupl: Es braucht ein Stipendiensystem, das zumindest annähernd soziale Gerechtigkeit herbeiführt. Bei den aktuellen Kriterien ist das nicht der Fall, Vermögen wird nicht einbezogen. Ein Bauernsohn kann ein Stipendium bekommen, aber ein Mittelstandskind, dessen Eltern Lehrer sind, bekommt keines. Aber auch eine völlige materielle Abhängigkeit von den Eltern ist nicht witzig. Mein Vater, Ehrenbandträger des MKV (Mittelschüler-Kartell-Verband, Anm.), bekam einen Tobsuchtsanfall erster Güte, als er in der Zeitung gelesen hat, dass ich zum Vorsitzenden des VSStÖ gewählt wurde.
Als Mittelschüler waren Sie bei einer schlagenden Schülerverbindung. An der Uni sind Sie dem VSStÖ beigetreten. Wie sehr hat die Uni Sie politisiert? Häupl: Eine Sozialistische Jugend hat es in Krems damals nicht gegeben. In dem Moment, als wir geschnallt haben, welche Ideologie dahintersteht, haben wir die Verbindung verlassen. Meine Studienzeit war die Zeit des Aufstiegs von Bruno Kreisky. Er war für uns Junge eine Lichtfigur. Die wirkliche politische Sozialisation hat für mich aber im Studentenheim begonnen. Dort haben sie uns ärger behandelt als im Schülerheim. Wenn mich meine Mutter besucht hat, musste sie beim Portier warten, weil Frauen nicht auf die Zimmer gehen durften. Wir haben eine Heimvertretung gewählt und das Heim dann übernommen. Als wir mit unserer Revolution des Alltags fertig waren, war es ein gemischtes Studentenheim, und der Portier war abgeschafft.
Die Beteiligung bei den ÖH-Wahlen sinkt. Sind die Unis unpolitischer geworden? Häupl: Der Druck ist größer geworden, die Hochschulen sind viel verschulter als früher. Wenn mehr als die Hälfte der Studierenden arbeitet, sehen viele die Uni als temporäre Zeit der Ausbildung. Es ist nicht unpolitischer geworden, aber es gibt ein anderes Politikverständnis und eine andere soziale Situation. Während meiner Studienzeit lag der Mief der ÖVPAlleinregierung und der Mief an den Unis in der Luft. Das war ganz eine andere Stimmung.
Als Sie studiert haben, gab es eine Mindeststudienzeit, die das Mindestausmaß an Semestern, die man braucht, um die Wissenschaft zu erlernen, festgelegt hat. Im aktuellen Regierungsprogramm ist die Idee einer maximalen Studiendauer zu finden. Was halten Sie davon? Häupl: Auf der einen Seite nimmt die Regierung still zur Kenntnis, dass die Hälfte aller Studierenden arbeitet, macht einen Schmarrn für ein soziales Studienförderungsgesetz und überlegt dann, eine Maximalstudienzeit einzuführen. Das ist eine intellektuellenfeindliche Herangehensweise. Es passt zu ihnen, nicht aber zu Wissenschaftsminister Heinz Faßmann, aber er macht sich mit- schuldig. Wenn man ein bibelfester Katholik wäre, könnte man nur sagen: „Herr, verzeih’ ihm nicht, denn er weiß, was er tut.“
Als Helmut Zilk Sie in die Stadtregierung holte, sagte er, Ihre „depperten Frösche“können Sie später zählen. Haben Sie noch Lust auf die Herpetologie? Häupl: Wenn ich das will, bin ich an meinem alten Arbeitsplatz im Naturhistorischen Museum jederzeit willkommen. Meine depperten Frösche zählen ... Da war ich kurz böse.
Alexander Van der Bellen hatte vor Ihnen sein Büro hier im WWTF. Ist das Büro auch für Sie Zwischenstopp auf dem Weg in die Hofburg? Häupl: Ha! Natürlich nicht. Ich denke nicht einmal darüber nach.
Die vergangenen Wochen waren bei der SPÖ gelinde gesagt turbulent. Wie beurteilen Sie den Wechsel in der Bundespartei? Häupl: Natürlich ist das nicht optimal gelaufen. Was Christian Kern gemacht hat, war nicht nur suboptimal, sondern geht eigentlich gar nicht. Danach ist aber alles relativ gut gelaufen. Es war sehr gut, dass man Pamela RendiWagner gebeten hat, diese Funktion zu übernehmen. Dass ein paar nicht mehr ganz so junge Herren gemeint haben, sie müssen paternalistisch sein, wäre entbehrlich gewesen. Sie wird am Parteitag sicher mit einer erheblichen Stimmenanzahl gewählt werden. Ich bin aber nicht dort, ich bin nur noch einfaches Vorstandsmitglied der Bezirkspartei Ottakring.
Und Ehrenvorsitzender der SPÖ Wien ... Häupl: Und Ehrenvorsitzender der Wiener SPÖ. Gut, okay. Wenn man schon auf einem Denkmal steht, soll man da oben bleiben und nicht herunterkommen, um deppert zu reden.
MICHAEL HÄUPL (69) ist Präsident des Wiener Wissenschaftsfonds WWTF. Er studierte Biologie und Zoologie an der Uni Wien. Seine Dissertation behandelt die Schädelkinetik bei Gekkoniden. Von November 1994 bis Mai 2018 war der ehemalige Vorsitzende der SPÖ Wien Bürgermeister der Bundeshauptstadt.