Der Standard

Die „Gelbwesten“Frankreich­s radikalisi­eren sich

Die Proteste gegen die Dieselsteu­er ufern aus – Der Präsident bleibt trotz Rücktritts­aufforderu­ng hart

- Stefan Brändle aus Paris

Auch nach fünf Tagen in bitterer Kälte halten die „Gelbwesten“neuralgisc­he Stellen in Frankreich besetzt – Kreuzungen und Autobahnab­schnitte, Supermärkt­e und Treibstoff­depots. Die „gilets jaunes“– die ihren Namen von den in jedem Auto obligatori­schen Warnwesten haben und gegen die Erhöhung der Steuer auf Benzin und vor allem Diesel protestier­en – sind weniger zahlreich als bei ihrem ersten Blockadeta­g am Wochenende. Dafür häufen sich die Gewaltausb­rüche. Vorläufige Bilanz: zwei Todesfälle bei Unfällen sowie 650 Verletzte, davon fast hundert Polizisten.

Die Polizei räumt ohne Unterlass Verkehrssp­erren weg, in erster Linie um Benzinlage­r, aber auch vor Einkaufsze­ntren und Stadtzufah­rten. Die PeugeotFab­rik in Sochaux blieb aber zum Beispiel am Mittwoch mangels Nachschubs geschlosse­n. Die Fernfahrer beteiligen sich nicht an den Protesten, vergrößern aber das Chaos, indem sie die Blockierer mit ihren Sattelschl­eppern selbst zu blockieren suchen.

Die Gelbwesten erhielten am Mittwoch erstmals Zulauf durch eine Gewerkscha­ft: Force Ouvrière stellte sich hinter ihre Forderung nach einer Senkung der Spritpreis­e, die zu 70 Prozent aus Steuern bestehen. Am Ärmelkanal schlossen sich Fischer an, in der Provence Mittelschü­ler. Andere Gruppierun­gen schwingen sich klammheiml­ich auf: In der Bretagne wurden vermummte Linksextre­misten mit Eisenstang­en und Molotowcoc­ktails verhaftet; in der Nähe von Bordeaux steckten vermutlich rechte Identitäre eine Autobahnza­hlstelle in Brand. Im Überseegeb­iet La Réunion im Indischen Ozean brandschat­zen Jugendlich­e seit Tagen, weshalb der Inselpräfe­kt eine nächtliche Ausgangssp­erre verhängt hat.

Bürger werden ungeduldig

Die Regierung in Paris zählte am Mittwoch nur noch 7000 Protestier­ende, ein Bruchteil der 290.000 von vergangene­m Samstag. Die meisten arbeiten allerdings unter der Woche. Am kommenden Samstag wollen sie erneut in Aktion treten – und dabei erstmals Paris oder zumindest die Ringautoba­hn um die Hauptstadt lahmlegen. Die anfänglich große Popularitä­t der „gilets jaunes“dürfte diese Woche über gelitten haben. Dazu tragen auch Fernsehbil­der von kleinen Kindern bei, die mit ihren Eltern im kilometerl­angen Autobahnst­au übernachte­n mussten.

Die Gelbwesten verlangen nach der Rücknahme der Steuererhö­hung neu auch den Rücktritt Macrons. „Das Volk ist souverän, und das Volk sagt ‚Stop‘!“, meinte eine ihrer Sprecherin­nen, Laetitia Dewalle, um zu einem Referendum für die Absetzung des Staatschef­s aufzurufen.

Macron unter Druck

Der Angesproch­ene bleibt indessen hart. Wie schon bei den Arbeitsmar­kt- und Eisenbahnr­eformen hat er ein paar flankieren­de Maßnahmen – so eine Abwrackprä­mie von 4000 Euro für Geringverd­iener – beschlosse­n. An der Steuererhö­hung selbst hält er hingegen fest. Gegen die schlecht organisier­ten Gelbwesten hat Macron an sich leichteres Spiel als gegen die mächtigen Eisenbahng­ewerkschaf­ten. Politisch aber dürfte er auf jeden Fall geschwächt aus dem Konflikt hervorgehe­n. Er hat nun auch das Image eines „Präsidente­n der Reichen“, der zwar die Vermögenss­teuer abbaut, aber für die verarmende Landbevölk­erung der Gelbwesten nur Brosamen übrig hat. Seine ökologisch­e Argumentat­ion für die höhere Besteuerun­g fossiler Brennstoff­e dringt nicht bis zu ihnen.

In Paris bilden „grüne Westen“nun eine Gegenbeweg­ung. Diese Umweltschü­tzer verlangen die Wiederaufn­ahme kleinerer Bahnlinien, die Unentgeltl­ichkeit der öffentlich­en Verkehrsmi­ttel und ein Moratorium neuer Autobahnst­recken. Um den „gelben Westen“entgegenzu­steuern, planen sie eine nationale Petition und für den 8. Dezember eine Großdemons­tration in Paris.

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Die französisc­he Polizei ist derzeit mit den zunehmend gewalttäti­gen Protesten gegen die Erhöhung der Treibstoff­steuer beschäftig­t.

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